Strategielos nicht nur in Syrien
Die USA sind nunmehr drei Jahrzehnte direkte Kriegspartei bei den bewaffneten Konflikten im Mittleren Osten
Die Administration des neuen US-Präsidenten Joe Biden hat nicht lange gezögert, ihre Duftmarke im Syrien-Krieg zu setzen. Und - man hat es förmlich plumpsen hören in Berlin, Brüssel und Paris - dies entsprach offenbar den Vorstellungen der westeuropäischen Hauptverbündeten. Das heftige Bombardement syrischer Regierungstruppen und der sie unterstützenden iranischen Milizen im Nordosten des Landes vermittelte den Eindruck, dass Washington wieder stärker selbst mitmischen will im Kampf um den Ausgang des Syrien-Krieges.
Bei Joe Bidens Amtsvorgänger Donald Trump war bis zuletzt eine gegenteilige Tendenz zu bemerken gewesen. Dies hatte zu der paradoxen Situation geführt, dass besonders die Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Washington geradezu anflehten, die im nordostsyrischen Kurdengebiet operierenden US-Verbände ja nicht abzuziehen. Andernfalls hätte der syrische Staat wieder Zugriff auf seine wichtigsten Ölquellen erlangen und seine ökonomische Lage erheblich verbessern können - offenbar eine Horrorvorstellung für das Auswärtige Amt. Dass sich die US-Soldaten völkerrechtswidrig auf syrischem Boden befanden, hat bei derlei Überlegungen selbstredend keine Rolle gespielt, auch für Trump nicht. Er beließ sein Militär am Ende dort, auch weil Ankara durchblicken ließ, die »Leerstelle« sofort mit seinen Truppen zu besetzen. Aber einen vor allem von Macron - wie zuvor schon von dessen Amtsvorgänger François Hollande - unter immer neuen Vorwänden geforderten Luftkrieg gegen Syrien, ähnlich dem von 2011 gegen Libyen, hatte Trump bis zuletzt stets abgelehnt.
Der von Deutschland und Frankreich zu einem strategischen Hauptziel erklärte Sturz des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad hatte zum großen Verdruss von Außenminister Heiko Maas und seinem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian für die außenpolitischen Pläne Trumps, wenn er denn überhaupt welche hatte, keinerlei Bedeutung. Allenfalls über seinen notorischen Hass auf Teheran, das die syrische Regierung im Kampf gegen die dschihadistischen Banden unterstützt, vermochte Westeuropa Washington gegen Assad bei der Stange zu halten.
Das könnte sich mit Biden nun wieder leichter gestalten. Bei einer virtuellen Konferenz der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und der USA vergangene Woche anlässlich von zehn Jahren Krieg in Syrien fand offenbar eine strategische Verständigung statt, wie man künftig auf diesem Konfliktfeld aufzutreten gedenke. Die »Bekräftigung des Festhaltens am Kurs auf eine politische Lösung des Konflikts«, die danach verkündet wurde, darf man getrost ins Reich der Politlyrik verweisen. Aussagekräftiger für die zu erwartende Politik der USA und ihrer Nato-Epigonen ist da schon eher die Erklärung, dass es »nicht zu einer Normalisierung der internationalen Beziehungen mit dem syrischen Regime« kommen dürfe.
Da sich »das syrische Regime« aber zum großen Ärger von Maas und Kollegen zunehmend festigt und sich kaum auf Dauer mit der US-Besatzung seiner strategischen Ölquellen abfinden wird, stehen die Zeichen auf weiteren Krieg. Die nach außen hin vertretene Begründung der USA für ihre extralegale Präsenz in Syrien beruht auf zwei Thesen: Zum einen hat man wie auch Berlin für sich befunden, dass »das syrische Regime« nicht mehr legitimiert sei. Zum zweiten erklären sich die USA, was den Nato-Partner Ankara vor Wut schäumen lässt, zu Verteidigern der Kurden, um sie vermeintlich vor Assad zu schützen, wo ihnen doch allenfalls von der Türkei und den restlichen Banden des Islamischen Staats (IS) von Saudi-Arabiens Gnaden Gefahr droht.
Tatsächlich zeigt sich hier die strategische Ziellosigkeit der US-Politik auf dem mittelöstlichen Kampffeld. Alle involvierten Groß- und Mittelmächte der Region, besonders Iran, Russland und die Türkei, hatten frühzeitig »ihre« Partner im Syrien-Krieg beziehungsweise stehen selbst dort. Nicht so die USA. Zunächst puschte das Pentagon auf der Suche nach einem geeigneten Verbündeten die Assad-Gegner von der »Freien Syrischen Armee«. Seit diese sich allerdings im IS auflösten, gibt man sich nun als Retter der Kurden, um irgendwie einen Stiefel auf syrischem Boden behalten und die Präsenz der US Air Force im Luftraum darüber rechtfertigen zu können.
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