Frankreich ist eindeutig mitverantwortlich
Präsident Macron ließ für Historikerkommission Archive zum Völkermord in Ruanda öffnen
Die Mitverantwortung Frankreichs für den Völkermord 1994 in Ruanda sei »der schlimmste Skandal der 5. Republik«, schätzte der sozialistische Europa-Abgeordnete Raphael Glucksmann nach Veröffentlichung des Berichts einer Historikerkommission zu diesem Thema ein. Sie war von Präsident Emmanuel Macron vor drei Jahren eingesetzt worden. Sie urteilt in ihrem 1200 Seiten starken Bericht, den sie am vergangenen Freitag dem Präsidenten übergeben hat, dass Frankreich eine »schwere und erdrückende Mitverantwortung« für den 1994 in Ruanda verübten Völkermord trägt.
Während in den meisten Reaktionen auf den Bericht begrüßt wird, dass Macron die Rolle Frankreichs an diesen Ereignissen konsequent aufarbeiten will, hat die Nichtregierungsorganisation Survivre (Überleben) Vorbehalte. Sie bemängelt, dass es in dem Bericht keine Hinweise auf eine Mitwirkung Frankreichs am Genozid gibt, und warnt davor, den französischen Staat »nachträglich noch reinwaschen zu wollen«.
Die Historiker haben festgestellt, dass es in den Jahren 1991 bis 1994 vonseiten Frankreichs eine »blinde und massive Unterstützung« der von der Bevölkerungsmehrheit der Hutu getragenen Regierung gab. Zu Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana hatte der französische Präsident François Mitterrand ein enges freundschaftliches Verhältnis. Ihn und sein Land wollte er mit einer 1991 eingeleiteten neuen französischen Afrika-Politik als Muster für eine demokratische Kurswende auf dem Kontinent »aufbauen«.
Dass in Wirklichkeit die Hegemonie der Hutu und die Korruption ihrer Politiker immer stärker wurde, während die Tutsi systematisch ausgegrenzt wurden, wollte Mitterrand nicht sehen. Frankreich hat weiter Waffen geliefert und vor Ort Militärs ausgebildet, die später in den Reihen der extremistischen Hutu-Milizen die schlimmsten Gräueltaten verübt haben. Mitterrand habe unkritisch die Propagandabehauptung übernommen, dass die Tutsi-Bewegung der Ruandischen Patriotischen Front (FPR) vom Ausland gesteuert und die größte Gefahr für das Land sei. Französische Diplomaten, Militärs und Wissenschaftler, die davor gewarnt haben, dass in Kigali die radikalsten Kräfte der Hutu die Oberhand gewinnen und dass das in ein Blutbad münden werde, hat Mitterrand nicht nur nicht angehört, sondern er hat im Gegenteil Kritiker kaltgestellt, mundtot gemacht oder strafversetzt. Mit einer kleinen Gruppe ihm blind ergebener Berater hat Mitterrand über das Parlament, die zuständigen Ministerien, die Armee und den Geheimdienst hinweg eine »parallele Afrika-Politik« mit »verhängnisvollen Folgen« betrieben, stellt die Historikerkommission fest.
Der Abschuss des Flugzeugs von Präsident Habyarimana am 7. April 1994, bei dem Experten von Anfang an und bis heute nicht überzeugt sind, dass er von Tutsi-Attentätern verübt wurde, war für die radikalsten Kräfte der Hutu und ihre Milizen das Signal zum Massenmord an den Tutsi und an jenen Hutu, die friedlich mit ihnen zusammenleben wollten. In knapp drei Monaten wurden schätzungsweise 800 000 bis eine Million Menschen ermordet. Das Blutbad wurde erst gestoppt, als französische Militärs mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates in Ruanda landeten. Doch statt die Mörder zu verhaften, verhalfen sie diesen nur zu oft noch zur Flucht ins Ausland.
Von Macrons Entschlossenheit, sich mit dieser finsteren Seite der Geschichte kritisch auseinanderzusetzen, zeugt seine Freigabe der Ruanda-Akten in den staatlichen Archiven, wo sie eigentlich bis 2044 - 50 Jahre nach dem Genozid - unter Verschluss bleiben sollten. Enttäuscht waren die Historiker über die dürftigen Dokumente, die sie dort vorfanden, weil - wie ein Beteiligter bezeugte - »das meiste nur mündlich besprochen oder angeordnet wurde, um keine schriftlichen Spuren zu hinterlassen«. Die Unterlagen von Präsidentensohn Jean-Christophe Mitterrand, den sein Vater zu seinem Afrika-Berater gemacht hatte, wurden nie dem Staatsarchiv übergeben, wie es das Gesetz vorsieht, sondern sind spurlos verschollen.
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