Impfungen mit Astra-Zeneca ausgesetzt

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) spricht von vorsorglicher Maßnahme für alle unter 60-Jährigen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Entscheidung fällt auf dem Weg zur Senatspressekonferenz. »Die Termine, die mit Astra-Zeneca vergeben wurden, werden abgesagt«, erklärte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Dienstag überraschend nach der Senatssitzung. Den Senat hatten zuvor neue Erkenntnisse zu dem betreffenden Impfstoff erreicht. Für alle Personen, die unter 60 Jahre alt sind, sollen alle vereinbarten Termine mit diesem Impfstoff unmittelbar abgesagt werden. Am Dienstagmorgen hatten bereits die Universitätsklinik Charité und die landeseigene Krankenhausgesellschaft Vivantes erklärt, dass sie keine Frauen unter 55 Jahren mehr mit Astra-Zeneca impfen lassen wollen. Hintergrund ist, dass es nach Verabreichung des Impfstoffs in einigen Fällen zu Hirnvenenthrombosen gekommen ist.

Ob der kurzfristig verhängte landesweite Impfstopp in den Impfzentren, Krankenhäusern und Arztpraxen auf Dauer Bestand hat, war am Dienstag zunächst unklar. Gesundheitssenatorin Kalayci betonte, dass es sich um eine vorsorgliche Maßnahme handeln würde. In Berlin sind bislang keine gefährlichen Thrombosen nach Impfungen aufgetreten, hieß es. Noch am Dienstag wollte Kalayci an einem Treffen der Gesundheitsministerinnen und -minister mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) teilnehmen. »Wir müssen die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission abwarten«, sagte Kalayci. Auch die Expertise des Paul-Ehrlich-Instituts solle eingeholt werden, das für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel zuständige Bundesinstitut. Am Ende könnte eine neue Empfehlung stehen, die bundesweit untersagt, Menschen unter 60 Jahren mit dem Vakzin des britisch-schwedischen Pharmakonzerns zu impfen. Unklar ist auch, wie mit denjenigen Menschen verfahren wird, die bereits eine Impfdosis mit Astra-Zeneca verabreicht bekommen haben.

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Für Berlins Impfkampagne, die in den vergangenen Wochen deutlich an Fahrt aufgenommen hat, bedeutet der Impfstopp mit den Vakzinen von Astra-Zeneca einen herben Rückschlag. »Wir haben insgesamt 1,5 Millionen Menschen ermöglicht, sich impfen zu lassen«, sagte Kalayci. 796 000 dieser Impfcodes seien bereits vollzogen oder terminiert hieß es. Nur: Als die SPD-Politikerin diese Angaben macht, hatte sie den Impfstopp noch nicht bekannt gegeben, mit dem ein Teil der Impfverabredungen wieder aufgehoben wurde. Insgesamt liegt Berlin aktuell mit einer Impfquote von 11,3 Prozent ungefähr auf dem Niveau des Bundes, wo 10,8 Prozent der Bevölkerung bereits einen Impfschutz haben. Da die einzelnen Bundesländer gleich mit Impfstoffen versorgt werden, können die einzelnen Länder auch nur so viel verimpfen, wie sie zugewiesen bekommen. Ziel Berlins ist eine Impfquote von 70 Prozent der Bevölkerung, um die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen. Weil es bislang keinen Impfstoff für unter 16-Jährige gibt, würde das bedeuten, dass insgesamt 2,18 Millionen Berlinerinnen und Berliner geimpft werden müssten. Bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg.

Für den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, Wolfgang Albers, sind die Folgen des Impfstopps verheerend. »Das hat katastrophale Auswirkungen auf die Akzeptanz dieses Impfstoffes«, sagte Albers am Dienstag zu »nd«. Schließlich gehe es jetzt bereits zum dritten Mal darum, ob Astra-Zeneca verimpft werden könne. »Ein wesentlicher Baustein zur Eindämmung der Corona-Pandemie, dessen Vorteile die leichte Lagerung und die vergleichsweise günstige Beschaffung waren, ist damit zerstört«, so der Gesundheitsexperte der Linksfraktion.

Um eine erneute Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, erwägt der Senat offenbar, die Regeln zum Infektionsschutz weiter zu verschärfen. »Bisher haben einige nur Ausgangsbeschränkungen gesehen, es gibt aber noch andere Varianten«, sagte Kalayci. Ziel des Senats ist es, über Ostern größere Gruppenbildung im öffentlichen Raum und private Partys zu unterbinden. Angesichts der hohen Inzidenz – berlinweit lag der Wert am Dienstag bei 146,6 für die vergangenen sieben Tage – müsste Berlin eigentlich eine mit dem Bund vereinbarte »Notbremse« ziehen, die auch Ausgangsbeschränkungen vorsieht, für die es im rot-rot-grünen Senat aktuell aber keine politische Mehrheit gibt. Neben Linken und Grünen sind offenbar auch Teile der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus gegen eine Ausgangssperre.

Das Virus kümmert sich derweil nicht um die Debatten im politischen Raum, es verbreitet sich in Berlin immer mehr. »Die epidemologische Lage in Deutschland und Berlin ist dramatisch«, räumte auch die Gesundheitssenatorin ein. Nahezu 67 Prozent der Fälle sind Ansteckungen mit der Mutation »B.1.1.7«, die im vergangenen Herbst erstmals in Großbritannien festgestellt wurde. »Die britische Variante hat die Führerschaft übernommen«, sagte Kalayci. Sie löse viel schneller eine Infektion aus, auch die Krankheitsverläufe können deutlich schwerer sein als bei der ursprünglichen Coronavirus-Variante. Deshalb sei das Tragen von FFP2-Masken auch wichtiger denn je.

Damit sich alle Menschen in Berlin diese teuren Masken leisten können, hat der Senat eine Verteilung von 1,6 Millionen dieser Schutzmasken an Bedürftige beschlossen. Anspruch auf kostenlose Masken haben die mehr als 600 000 Berlinerinnen und Berliner mit einem »Berlinpass«, den Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung bekommen. »Wir wollen aber, dass alle Berlinerinnen und Berliner die gleichen Möglichkeiten zum Infektionsschutz vor Corona haben«, erklärte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).

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