Es konnte einem das Küssen verleiden

Geteiltes Deutschland, geteilter Film in den 50er und 60er Jahren

  • F.B. Habel
  • Lesedauer: 5 Min.

In den 50er Jahren war der »eiserne Vorhang« noch durchlässig. Im Spielfilm bemühte man sich in beiden deutschen Staaten, das Publikum mit Unterhaltung ins Kino zu locken. Während in der BRD der kitschtriefende Heimatfilm die Vergangenheit vergessen machen sollte, versuchte man in der DDR, eher eine sozialistische Heimatverbundenheit zu propagieren - nicht immer mit durchschlagendem Erfolg. Konrad Wolf drehte nach seinem Studium in Moskau 1954 im Vogtland und Umgebung den Film »Einmal ist keinmal«, in dem junge Leute lieber frische Volksmusik machen, als sich mit Boogie-Musik zu beschäftigen.

Liebesgeschichten wurden gern im Brigadewettbewerb angesiedelt, wobei in der Regel mehr über die Planerfüllung als über Gefühle gesprochen wurde. Als das Defa-Lustspiel »Sommerliebe« mit Gisela May in einer Hauptrolle 1955 auf die Leinwand kam, mäkelte Karl-Eduard von Schnitzler im »Filmspiegel«: »Aber geliebt und geküsst wird doch endlich einmal! Gewiss, aber doch nicht so, Freunde! Es scheint, als ob die Defa auf einen Schlag alles nachholen wollte, was sie darin bisher versäumt hat. Und das ist dazu so unkünstlerisch gestellt und fotografiert und so übertrieben an Dauer und Intensität, dass es peinlich wirkt und einem das Küssen verleiden kann.«

Auch der Aufbau von Komikerstars bereitete der Defa Probleme. Erst in den 60ern standen Komödianten wie Rolf Ludwig (»Der Mann mit dem Objektiv«, »Seine Hoheit Genosse Prinz«) und Rolf Herricht (»Geliebte weiße Maus«, »Der Reserveheld«) im Mittelpunkt von Lustspielen. Ansonsten bediente man sich beim westdeutschen Film, etwa mit teils satirischen Komödien von Kurt Hoffmann. Als aber Hoffmann in den 60er Jahren Tucholskys »Rheinsberg« mit Defa-Hilfe am authentischen Ort drehen wollte, ließ man ihn aus welchen Gründen auch immer abblitzen. Er wich auf Drehorte in Schleswig-Holstein aus.

Als 1948 in den drei Westzonen, aus denen ein Jahr später die BRD entstand, die Währungsreform durchgeführt wurde, war die Deutsche Mark der DDR nicht konvertierbar, was die Handelsbeziehungen erschwerte, aber durch Sonderregelungen aufgefangen wurde. Die Defa mit ihren traditionellen Standorten in Berlin-Johannisthal und Potsdam-Babelsberg beschäftigte viele Berliner, die im Westteil der Stadt wohnten und doch mit Mark der DDR bezahlt wurden. Ein geringer Teil der Künstlergagen wurde auch in westlicher D-Mark ausgezahlt. In Westberlin gab es die Einrichtung der »Ausgleichskasse« - für alle Westberliner, die im Osten arbeiteten. Die hier auszuzahlende Summe war aber begrenzt, und zudem wurde nach politischem Gutdünken gehandelt.

1955 berichtete der »Spiegel« über den Fall des Schauspielers Harro Tenbrook. Der Deutsch-Amerikaner konnte Dialoge mit amerikanischem Akzent sprechen und wirkte in entsprechenden, meist kleinen Rollen in Filmen wie »Geheimakten Solvay« über einen wahren Fall von Industriesabotage oder in »Ernst Thälmann - Sohn seiner Klasse« mit. Ihm wurde der Umtausch in D-Mark mit der Begründung verwehrt, kommunistische Propagandisten hätten keinen Anspruch auf den vergünstigten Lohnumtausch im Verhältnis 1:1.

Ein anderer Fall aus den frühen 50er Jahren ist der der Schauspielerin Alice Treff. In ihrem dritten Defa-Film »Die Unbesiegbaren« über Genossen der SPD zur Zeit des Bismarck’schen Sozialistengesetzes spielte sie 1953 eine aufrechte Arbeiterfrau und war für einen Nationalpreis der DDR im Gespräch. Sie bat jedoch darum, auf diese Auszeichnung zu verzichten, da sie berufliche Repressalien im Westen fürchten musste.

Das war durchaus realistisch. Wolfgang Staudte, in Westberlin lebend, hatte bei der Defa mit »Die Mörder sind unter uns« und »Der Untertan« Welterfolge gedreht und war mit einem Nationalpreis ausgezeichnet worden. Als er im Herbst 1951 von einem westdeutschen Produzenten als Regisseur des Films »Gift im Zoo« nach Hamburg zum Tierpark Hagenbeck geholt wurde, intervenierte das Bundesinnenministerium. Ihm wurde wahrheitswidrig vorgeworfen, »im Osten politische Hetzreden« gehalten zu haben. Auf den Produzenten wurde Druck ausgeübt, Staudte nicht zu beschäftigen, falls der nicht gegenüber dem Bundesinnenministerium erkläre, nicht mehr für die Defa zu arbeiten und anschließend einen deutlich antikommunistischen Film zu machen. Staudte weigerte sich, klein beizugeben. Der Produzent sah sich gezwungen, den Regisseur zu ersetzen, nachdem dieser schon eine Woche lang gedreht hatte.

Sein berühmter Film »Der Untertan«, dessen Kritik an den Zuständen der Kaiserzeit in der BRD nicht wohlgelitten war, kam erst nach knapp sechs Jahren in dortige Kinos. Der »Spiegel« klatschte Beifall für die damalige Zensur: »Ein Paradebeispiel ostzonaler Filmpolitik. Man lässt einen politischen Kindskopf wie den verwirrten Pazifisten Staudte einen scheinbar unpolitischen Film drehen, der aber geeignet ist, in der westlichen Welt Stimmung gegen Deutschland und damit gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik zu machen.« Freigegeben wurde der Film erst nach Kürzungen von elf Minuten und dem Hinzufügen eines politisch relativierenden Vorspanns.

In der Zusammenarbeit zwischen Filmfirmen beider deutscher Staaten hätte es einen Quantensprung geben können, denn als es an die Verfilmung der »Buddenbrooks« ging, sprach Thomas Mann gegenüber Defa-Direktor Hans Rodenberg den Wunsch aus, dass es eine deutsch-deutsche Gemeinschaftsproduktion werden solle. Daraufhin gab es lange Verhandlungen zwischen westdeutschen Produzenten, darunter die Göttinger Firma Filmaufbau, und der Defa. Eine deutsch-deutsch gemischte Besetzung stand schon fest. So sollte Wilhelm Koch-Hooge, damaliger DDR-Leinwandliebling, den Thomas Buddenbrook spielen. Leider stellte sich die Bundesregierung, speziell das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, quer und entzog einer Gemeinschaftsproduktion jegliche Unterstützung, sodass der Film ohne die Defa gedreht wurde, die doch das Projekt angestoßen hatte.

Für andere Stoffe gründete der westdeutsche Filmkaufmann Erich Mehl eigens eine Firma in Schweden, damit er ohne Restriktionen der Bundesregierung mit der Defa an Filmen wie Staudtes »Leuchtfeuer« oder dem Henny-Porten-Film »Das Fräulein von Scuderi« zusammenarbeiten konnte.

Als erste echte deutsch-deutsche Gemeinschaftsproduktion wurde 1967 Ehm Welks Jugendroman »Die Heiden von Kummerow« an der Ostseeküste durch die Neue Real-Film des antifaschistischen Produzenten Walter Koppel adaptiert. Stars waren Paul Dahlke und Ralf Wolter aus der Bundesrepublik und Angela Brunner aus der DDR. Auch wenn die Defa-Seite nur für »Technische Unterstützung« genannt wurde, war es doch der erste bundesdeutsche Film, der ganz und gar in der DDR realisiert werden konnte.

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