Hilfe muss warten

Integrationsprojekt für Geflüchtete darf pandemiebedingt nicht in Unterkünfte

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Stimme am Telefon klingt freundlich und zurückhaltend: »Die Menschen sind so froh, dass jemand kommt, der sich für ihre Belange interessiert«, sagt Mohammad Naanaa. Der 26-Jährige hilft seit drei Jahren geflüchteten Menschen in Berliner Sammelunterkünften Konflikte zu lösen - von denen er viele selbst sehr gut kennt. Angefangen hat das Ganze 2019, als der gelernte Übersetzer für Deutsch und Arabisch für das Projekt »Resolute« angefragt wird. In einer Gemeinschaftsunterkunft in Marienfelde bildeten ehrenamtliche Trainer in einem Intensivkurs über fünf Tage Menschen zu Konfliktlotsen aus, umso dazu beizutragen, häufig eskalierenden Streitereien lösungsorientiert zu begegnen. »Aber jetzt können wir wegen der Pandemie schon seit November nicht mehr in die Einrichtungen«, sagt Naanaa bedrückt. Dabei seien die Menschen gerade in der Coronakrise sehr viel mehr Stress und Konflikten ausgesetzt.

Es ist kein Geheimnis: In Unterkünften, in denen viele Menschen zusammen auf engem Raum leben müssen, gibt es auch viel Streit - um die Benutzung von Sanitäranlagen und Küchen, um Ruhebedürfnisse, um Lärm, um Platz. Im Fall von Flüchtlingen kommen in mindestens 50 Prozent der Fälle psychische Belastungen durch Traumatisierungen aufgrund von Gewalt- und Fluchterfahrungen, Perspektivlosigkeit wegen jahrelanger Unsicherheiten beim Aufenthaltstitel, strukturell erfahrener Rassismus, aber auch unterschiedliche Gewohnheiten im Hinblick auf kulturelle oder religiöse Bedürfnisse dazu. »Manchmal sind es auch nur Missverständnisse«, meint Naanaa.

Rote Brause - der Berlin-Podcast

Was war letzte Woche noch mal wichtig in Berlin? Plop und Zisch! Aufgemacht! Der Podcast „Rote Brause“ liefert dir alle wichtigen News aus der Hauptstadtregion in nur 15 Minuten. 

Solche »Missverständnisse« tauchen oft auch mit Heimleitungen auf, berichtet der junge Mann. In der Regel sollen dann Security-Mitarbeiter*innen intervenieren, die dafür jedoch nicht ausgebildet sind. Eskalieren die Konflikte weiter, tritt nicht selten die Polizei auf den Plan. Gewalterfahrung und gegenseitiges Unverständnis wiederholen sich. »Das lässt sich verhindern, wenn die Konfliktparteien schon vorher unabhängige Mediator*innen ansprechen können«, erklärt Naanaa. Er selbst war so begeistert von den erfolgreichen Schlichtungsprozessen in Marienfelde, dass er beschließt, sich ehrenamtlich den Konfliktlöser*innen anzuschließen und eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Trainer zu absolvieren.

Als Naanaa dazustößt, gab es die Initiative gerade mal ein Jahr, berichtet Gründerin Helen Winter. Die 30-Jährige ist gelernte Mediatorin, Konflikte zu lösen ist ihr Beruf. »Ich war 2016 zum Studium in den USA und konnte von dort gar nicht so helfen, wie ich es gern getan hätte, als die Menschen über die Balkanroute nach Deutschland kamen«, erinnert sie sich. Vor allem Konflikte, die in Nachbarschaften entstehen, wo Geflüchtete untergebracht werden sollen und Ressentiments nicht selten durch rassistischen Protest eingesammelt werden, bereiteten ihr Kopfzerbrechen. »Ich wollte mit den Mitteln helfen, die ich gelernt hatte«, erklärt Winter ihre Motivation, zusammen mit anderen Ehrenamtlichen ein Konzept für angeleitete Begegnungen von Konfliktparteien zu erarbeiten, als sie 2018 zurück in Berlin ist.

»Wir erlebten, wie schnell sich die Stimmung änderte, wenn Menschen die Gelegenheit bekommen, miteinander zu sprechen«, berichtet sie. Es gebe einen »Riesenbedarf«, betont Winter. Vor allem viele Frauen ermutige das Projekt. Deshalb gibt es auch Workshops nur für Frauen, die in den Unterkünften häufig durch Kinderbetreuung noch mehr eingeschränkt sind, wenn es darum geht, Angebote wahrzunehmen, die ihnen helfen und sie bestärken.

Weil die Einschränkungen der Pandemie die Workshops schon seit Monaten verhindern, kann das mehrfach ausgezeichnete Projekt nun die laufenden Kosten nicht mehr decken. Wie viele andere Initiativen, die wegen der großteils ehrenamtlichen Arbeit durch das Raster der staatlichen Hilfen fallen, hat der Verein am Dienstag eine Spendenkampagne auf der Plattform Betterplace gestartet. Unter dem Titel »Geflüchtete Menschen werden zu Streitschlichter*innen ausgebildet« hoffen nun diejenigen auf Unterstützung, die sonst anderen helfen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.