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Friede den Kurven, Krieg den Verbänden
Politische Ideen zum Glücklichsein - für Fußballfans
Zuschauer, Stimmung, Emotionen: All das fehlt seit fast einem Jahr im Fußballkosmos. Und doch geht das Spiel weiter. Weil es von Fernsehgeldern und oft von Millionen der Investoren lebt, nicht von den Fans auf der Tribüne. Wo die Prioritäten im modernen Fußball liegen, führte jüngst auch die ZDF-Dokumentation »Der Prozess. Wie Dietmar Hopp zur Hassfigur der Ultras wurde« vor: Milliardäre werden geschützt, kritische Fans drangsaliert, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) möchte sie am liebsten ganz aus den Stadien vertreiben. Denn Ultras und aktive Fans stehen der kommerziellen Weiterentwicklung im Weg, sie wehren sich gegen die RB Leipzigs und die Dietmar Hopps, aber das vergangene Jahr und die Dokumentation zeigen: Sie sind machtlos. Und sie waren es auch schon davor. Ihr Widerstand ist am Ende - und das ist auch ihre eigene Schuld.
Nehmen wir die bundesweiten Proteste gegen Dietmar Hopp - mit dem Kopf des Hoffenheimers im Fadenkreuz: Viel diskutiert, aber nicht so, wie es die Ultras beabsichtigt hatten. Nicht der moderne Fußball und seine alles verschlingende Profitgier standen am sonntäglichen Stammtisch und in der medialen Öffentlichkeit zur Debatte, sondern die Grenzen des guten Geschmacks im Stadion. Kein Gebiet, auf dem die Ultras gewinnen können. Das zeigt auch die erwähnte TV-Dokumentation: Wo die rote Linie bei Beleidigungen sei, wurde Fanvertreter Jan-Hendrik Gruszecki gefragt. Er schwieg, ratlos.
Auch wenn Ultras mit ihrem martialischen Auftreten die breite Masse eher abschrecken, ist ihr Einfluss nicht zu unterschätzen. Mit ihrer Liebe für den Fußball und den Verein können sie nicht nur ganze Stadien, sondern auch Städte anstecken. Und mit ihrem Enthusiasmus haben sie den Fußball vorangebracht. Dass Rassismus in den deutschen Stadien kein allgegenwärtiges Problem mehr ist, haben wir ihnen zu verdanken. Ebenso, dass sich Verfall und Entrückung des Profifußballs Fußballs ins Bewusstsein der Öffentlichkeit schieben: wenn über zweifelhafte Vereinskonstrukte gesprochen wird, die voranschreitende Kommerzialisierung oder den Irrsinn von Trainingslagern in Katar. Aktive Fans schaffen Aufmerksamkeit für Dinge, die vielen anderen nicht so bewusst sind. Dennoch haben sie ein Problem: Es ändert sich nichts.
Woran hapert es? Es fehlt die Theorie. Was man nicht versteht, kann man auch nicht bekämpfen. All der Aktivismus der vergangenen Jahre hat für eine Unschärfe gesorgt. Und für ein falsches Bewusstsein. Ein gutes Beispiel ist Dortmund. Seit Jahren begreifen sich Borussias Fans als Bewahrer der Tradition. Deutlich gezeigt hat es das erste Aufeinandertreffen mit RB Leipzig: Steine flogen, auf Spruchbändern hieß es: »Die Wand der Schande grüßt die Schande der Liga«. Warum die BVB-Ultras RB ablehnen? Fehlende Tradition und die Profitgier des Brausekonzerns. Aber: Ihr eigener Verein ist Teil des Problems. Die »Football Leaks« beweisen, dass die Dortmunder Funktionäre lange über eine Teilnahme an der geplanten und von Fans verhassten europäischen Super League nachdachten. Und Borussias Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Bundesliga nur kurz nach Ausbruch der Pandemie wieder starten konnte. Der börsennotierte BVB ist in vielen Punkten ein Paradebeispiel des modernen Fußballs und seiner Auswüchse. Statt diesen Widerspruch zu reflektieren, ziehen sich die Ultras auf den altbewährten Spruch »Tradition versus Kommerz« zurück. Symbolpolitik ersetzt eine umfassende Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs. Aber wer RB Leipzig bekämpft, rettet nicht den Fußball - der bekämpft Symptome eines marktkonformen Sports anstatt sich auseinanderzusetzen mit den Ursachen für solche Vereinskonstrukte.
An diesem Punkt müssten Ultras umdenken und aktiv werden, nicht mit Spruchbändern auf Tapeten in den Kurven, sondern mit inhaltlicher, theoretischer Arbeit. Denn nicht RB Leipzig ist schuld an der Entwicklung des Fußballs. Es sind die Verbände wie der DFB oder die Deutsche Fußball-Liga (DFL). Sie sind die Agenten der Kommerzialisierung. Die DFL ist sogar ganz offiziell als Kapitalgesellschaft geführt und damit nicht nur reine Interessenvertretung der Erst- und Zweitligavereine. Der Verband ist keineswegs darauf ausgerichtet, die Vereine auf eine gemeinsame Linie zu bringen und die sportliche Organisation des Profifußballs zu leiten. All das mag auch Thema sein, in erster Linie aber ist die DFL für eines verantwortlich: mehr Profit!
Allein die 1. Bundesliga hat in der Saison 2018/2019 mehr als vier Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Auch dank der medialen Vermarktung, die mittlerweile fast 37 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht. Für die Vereine geht es nicht mehr darum, die Stadien zu füllen. Es geht darum, einen lukrativen Fernsehdeal abzuschließen und neue Märkte in Asien oder den USA zu erobern. Die heimischen Fans werden bei den Expansionsplänen schnell in die Ecke gedrängt und vergessen. Denn sie werden immer unwichtiger: Die Einnahmen durch den Ticketverkauf spielen in den Etats der Klubs eine immer kleinere Rolle.
Die Motive von DFB und DFL - auch von vielen Vereinen - sind klar, und doch versuchen Ultras immer wieder, mit ihnen zu verhandeln. Sie verlangen Erleichterungen bei Auswärtsfahrten, mehr Freiheiten in den Kurven. Verständlich: Lieber Verbesserungen im Hier und Jetzt als mit leeren Händen dastehen. Doch diese Strategie wird sie nicht wirklich glücklich machen. Ultras sollten sich an diesem Punkt beim Politikwissenschaftler Johannes Agnoli bedienen. Der Inhalt seines Buches »Die Transformation der Demokratie« lässt sich sehr gut auf den modernen Fußball übertragen: Agnoli analysiert nicht inhaltliche Veränderungen einer Struktur, er fragt nach den konkreten Institutionen, die dafür verantwortlich sind. Und stellt fest: Institutionen verhelfen nicht zum Wandel. Ganz im Gegenteil: Sie verhindern einen Wandel. Wer das versteht, sieht in der »Taskforce Zukunft Profifußball« keinen Hoffnungsschimmer. Denn die ist ein gutes Beispiel für die fehlgeleitete Annahme, dass man innerhalb von Institutionen wie der DFL für tiefgreifende Veränderungen sorgen kann. Doch der Ligaverband ist wie der DFB Ankerpunkt eines Fußballs, der nach Profiten giert.
Es gibt Faninitiativen, vor allem vereinsübergreifend, die die Ursachen der Fehlentwicklungen im Fußball erkannt und eigene Konzepte erarbeitet haben. Dafür muss man aber Mehrheiten gewinnen. Wie kann man es beispielsweise schaffen, »normale« Stadionbesucher zu überzeugen? Eine mögliche Antwort hat die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe in ihrem Essay »Für einen linken Populismus« gegeben. Sie plädiert für die Schaffung klarer Fronten, um griffig und einfach die Ursache von Problemen zu erkennen - und damit Mehrheiten für den Ausbruch aus den jetzigen Strukturen zu gewinnen. Auf den Fußball übersetzt bedeutet das: Die Ultras sollten nicht verkürzt einen Brausekonzern zum großen Feind machen. Sie müssen allgemeinverständlich diejenigen in den Fokus rücken, die den Kommerz in diesen Sport lassen und ihn organisieren. Das sind nicht Privatpersonen wie Dietmar Hopp, Hans-Joachim Watzke oder oder Fifa-Präsident Gianni Infantino. Es sind die Institutionen des modernen Fußballs.
Diese sollten ins Fadenkreuz der Ultras rücken. Dann teilt sich ein Stadion nicht Lager, in denen manchen verbissen die Tradition verteidigen, andere Verständnis für einige Auswüchse des Kommerzes aufbringen oder über Grenzen des Geschmacks persönlicher Beleidigungen diskutieren. Stattdessen wäre ein Populismus darauf ausgerichtet, Fans aller Art zusammenzubringen - gegen den Fußball im Ist-Zustand. Friede den Kurven, Krieg den Verbänden!
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