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Die Reparationsfrage bleibt offen
Griechenland bekräftigt zum Jahrestag des Überfalls der Wehrmacht die Ansprüche auf Entschädigung
Den Überfall der Wehrmacht am 6. April 1941 begrüßen einige Auslanddeutsche wie Otto Kielmeyer, der in Thessaloniki die Leitung der deutschen Sprachschule übernimmt: »Wir sind nicht mehr die mehr oder weniger ungern geduldeten Ausländer, sondern die Herren des Landes.« Bis Oktober 1944 führen die »Herren« der Wehrmacht und Waffen-SS einen Vernichtungskrieg in Hellas, bei dem sie fast 800 Kleinstädte dem Erdboden gleichmachen und in Tausenden Märtyrerdörfern Massaker verüben. Mehr als eine halbe Million Menschen verlieren hier ihr Leben, etwa 50 000 im Widerstand. 160 000 Griech*innen werden in den Konzentrationslagern ermordet. Die lokale jüdische Gemeinde, die besonders in Thessaloniki vormals größte sephardische weltweit, wird überwiegend vernichtet. Als die Wehrmacht abzieht und ein materiell ausgebeutetes, in jeder Hinsicht braches Land hinterlässt, folgt mit Hungersnot und Krankheiten eine weitere Sterbewelle. 1946 schon »überschreibt« der Bürgerkrieg die NS-Besatzung, zumindest in der offiziellen Geschichtsschreibung.
»Zum 80. Mal jährt sich ein Tag, der für die griechische Bevölkerung nichts anderes als Vernichtung, Ausplünderung und Elend bedeutete - der Überfall der deutschen Wehrmacht«, so beginnt Heike Hänsel (Linke) am 25. März ihre engagierte Rede im Bundestag, der vor diesem Hintergrund über die Reparationsforderungen Griechenlands abstimmt. »Die Täter dieser Verbrechen wurden nie zur Verantwortung gezogen.« Jetzt müsse man »über Entschädigungen ins Gespräch kommen«, so Hänsel.
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Kurz vor dem Jahrestag an diesem Dienstag erklärte das griechische Außenministerium, dass die Frage der Entschädigung aus griechischer Sicht weiterhin offen sei. »Die Frage bleibt offen bis zur Erfüllung unserer Forderungen. Diese Forderungen sind gültig und aktiv und sie werden mit jedem Mittel geltend gemacht«, sagte Ministeriumssprecher Alexandros Papaioannou der dpa.
Heute beläuft sich die offene Rechnung Deutschlands gegenüber Hellas aus Athens Sicht auf etwa 270 Milliarden Euro. Besonders die Rückzahlung des Besatzungskredits halten renommierte Historiker*innen für folgerichtig. Mit der sogenannten Zwangsanleihe zahlte das besetzte Land ab 1942 zwei Jahre lang 476 Millionen Reichsmark an Nazideutschland. Wegen der Reparationen versuchte sich die griechische Seite vor und nach 1990 Gehör zu verschaffen - vergebens. Einmalig zahlt die BRD 1960 115 Millionen D-Mark. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag 1990, der zur deutschen Wiedervereinigung mit den vier Siegermächten geschlossen wird, sind - laut Bundesregierung - Reparationszahlungen passé. Juristisch eindeutig ist dies nicht. Das bestätigte ein Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom Juli 2019: Ein Vertrag zulasten Dritter, den Griechenland nie unterschrieb und der Reparationsansprüche nicht regelt, als Verzichtserklärung zu werten, sei fragwürdig.
Als der ehemalige Ministerpräsident Alexis Tsipras unter Syriza (2015-2019) das Thema aufs Tableau bringt, muss er sich verteidigen. Die Reparationsforderungen benutze er für die Verhandlungen mit der Troika um »Hilfskredite« - so der Verdacht. Vielmehr bricht die Syriza mit der Verbalnote an den Bundestag, nach der sozialdemokratischen Pasok 1995 unter Andreas Papandreou, einmal mehr das Schweigen gegenüber dem »großen Partner« Deutschland. Durch die krisenbedingt hohe Medienpräsenz entsteht erstmals eine größere Öffentlichkeit. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärt 2015, »dass alle Reparationen, einschließlich von Zwangsanleihen, rechtlich abgeschlossen geregelt sind«.
In der Bundestagsdebatte fordert die Linke die Anerkennung der griechischen Reparationsforderungen und die Grünen verlangen, »die erinnerungspolitische Zusammenarbeit zu intensivieren«, während das Parlament insgesamt gegen beide Initiativen votiert. Eine »gemeinsame Erinnerungsarbeit« hat in den vergangenen Jahren begonnen: Unter anderem aus den Mitteln des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds und der griechischen Stavros-Niarchos-Stiftung werden Projekte zum Thema unterstützt. Am 1. April hat das Deutsch-Griechische Jugendwerk mit Sitz in Leipzig und Thessaloniki seine Arbeit aufgenommen. Als Speerspitze der Erinnerungspolitik gilt das Oral-History-Projekt »Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland« (MOG), das ein Online-Archiv von Interviews mit Zeitzeug*innen und eine Bildungsplattform für den Geschichtsunterricht in den beiden Ländern erarbeitet hat.
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Doch die Fixierung auf den Erinnerungsdiskurs gilt in Griechenland als problematisch: der Nationalrat für die Reparationsfragen (ESDOGE), den Manolis Glezos mitgründete, sieht in dem Material eine einseitige Vereinnahmung, da die griechische Perspektive fehle. Ins gleiche Horn stoßen Riki Van Boeschoten, Sozialanthropologin, und Giannos Thanasekos, Soziologe, in einem Ende März in der griechischen Tageszeitung »Efsyn« veröffentlichten Text: Es sei kein Zufall, dass der einzige Hinweis auf die deutsche Reparation in den Abschnitt »Erinnerung« verbannt wurde. Für die Autoren drückt sich im Ziel der Stiftung EVZ, die »Erinnerung an totalitäre Regime« zu fördern, »der deutsche Wille, die Vergangenheit zu vergessen« aus. Erinnerung werde zu einem Alibi, um Opfer »moralisch« zu rehabilitieren. Doch Verbrechen an der Menschheit verjähren nicht. Die aus griechischer Sicht ungeklärte Angelegenheit gehört nicht der Vergangenheit an. Darin ist man sich in Griechenland lagerübergreifend einig.
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