Eingeschränkt - auch ohne Corona

Während der Pandemie erleben viele nichtbehinderte Menschen erstmals wie es ist, als behinderter Mensch in Deutschland zu leben, meint Verena Borchert

  • Verena Borchert
  • Lesedauer: 3 Min.

»Und fühlst du dich von Corona langsam mürbe gemacht oder tangiert dich das kaum?«, fragte mich kürzlich eine Freundin. Ich überlegte, was genau sie damit meinte. Natürlich verändert Corona auch meinen Alltag; auch ich mache mir fortwährend Gedanken, ob es jetzt wirklich notwendig ist, eine*n Freund*in zu treffen, oder ob ich wirklich unbedingt mit der Bahn irgendwohin fahren muss. Aber Fakt ist auch: als körperlich behinderte Person hat sich in meinem Leben nicht allzu viel verändert.

Während so gut wie alle meiner nichtbehinderten Freund*innen und Bekannten Anfang letzten Jahres wohl das erste Mal in ihrem Leben die Erfahrung machen durften, dass der Besuch von Freund*innen, essen im Restaurant oder das Verreisen plötzlich nicht mehr oder nur noch unter großem Aufwand möglich ist, ist dies für mich als Rollstuhlnutzerin schlicht Alltag. In die meisten Restaurants komme ich mit meinem Elektrorollstuhl nicht rein. Lockdown hin oder her.

Verena Borchert
Verena Borchert hat Sozialwissenschaft in Marburg und Gender Studies in Berlin studiert. Seit 2017 nutzt sie einen Elektrorollstuhl.

Während meine Mitbewohnerinnen 2020 anfingen, sich Gedanken zu machen, wie sie doch noch nach Italien oder Frankreich reisen könnten, wurde ich wütend, weil nichtbehinderte Menschen das, was seit Jahren mein Alltag ist, nicht mal für ein paar Monate auszuhalten scheinen. Für mich ist Reisen zwar möglich, aber immer noch weitaus schwieriger als für nichtbehinderte Menschen während der Pandemie: Bei der Deutschen Bahn muss man sich mehrere Tage vorher anmelden, um Hilfe beim Ein- und Ausstieg für eine bestimmte Verbindung zu erhalten. Und ob das dann alles funktioniert, steht auf einem ganz anderem Blatt. Flexibilität? Spontanes Verreisen? Na ja, lassen wir das.

Flugreisen sind ebenso möglich, allerdings stellt sich hier erstens die ernsthafte Frage, ob man wirklich das Risiko eingehen möchte, dass der oft teure und durch die Krankenkasse finanzierte Rollstuhl auf dem Flug womöglich Schaden nimmt. Zweitens muss man sich darüber Gedanken machen, ob das Zielland denn überhaupt geeignet ist für die eigenen Fähigkeiten der Fortbewegung.

Eine weitere Sache, die den Menschen in meinem Umfeld teilweise sehr zuzusetzen scheint, sind die Kontaktbeschränkungen: Manche verabreden sich aus Angst vor Corona nur noch selten mit anderen Menschen oder aber sie treffen sich ausnahmslos draußen. Bei einigen habe ich auch bemerkt, dass durchaus der Wille da ist, das eigene Verhalten an die Umstände der Pandemie anzupassen, am Ende jedoch trotzdem oft Freund*innen besucht werden. Es scheint vielen wirklich schwer zu fallen, das eigene Verhalten dauerhaft an die veränderte Situation anzugleichen.

Mir hingegen stellt sich die Frage, ob ich es durchhalte, meine Freund*innen nicht in ihrer eigenen Wohnung zu besuchen, seit Jahren nicht mehr. Einfach weil die wenigsten Wohnungen in Berlin barrierefrei sind, geschweige denn der Weg dorthin. Von vielen meiner Freund*innen wusste ich lange Zeit gar nicht, wie sie denn eigentlich wohnen.

Für uns behinderte Menschen ist es Realität unseren Alltag um die Barrieren herum zu planen die nicht- oder andersbehinderte Menschen erschaffen. Fängt man mit nichtbehinderten Menschen jedoch Diskussionen über Barrierefreiheit an, kommen häufig Aussagen wie es wäre »einfach zu teuer, die Privatwirtschaft dazu zu verpflichten, Geschäfte, Restaurants, Arztpraxen oder auch Wohnhäuser barrierefrei zu gestalten«.

Gesellschaftliche Teilhabe von behinderten Menschen, und damit meine ich auch die Wahrnehmung ihrer Grundrechte, scheint also für viele nur dann beachtenswert zu sein, wenn sie möglichst günstig umzusetzen ist. Sind wie bei Corona aber nun erstmals auch nichtbehinderte Menschen von Barrieren und Einschränkungen betroffen, wird stattdessen selbstverständlich das offensichtliche benannt und ganz richtigerweise von einer Beschränkung der Grundrechte gesprochen, die es sorgfältig abzuwägen gilt.

Während für Nichtbehinderte die momentanen Einschränkungen jedoch nach Ende der Pandemie passé sein werden, wird sich im Leben vieler behinderter Menschen vermutlich mal wieder nicht viel ändern.

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