- Berlin
- Coronavirus
Eldorado Testzentrum
Private Betreiber verdienen ordentlich an der Eindämmungsstrategie des Senats
Aktuell können sich die Berliner*innen in 314 Testzentren und sogenannten Test-to-go-Stationen testen lassen. Das gab Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) jüngst via Twitter bekannt. Die Kapazität liege momentan bei wöchentlich 910.532 Tests, so die Senatorin: »Nutzen Sie das Angebot!«
Ein Blick auf die Übersichtskarte des Senats mit den verzeichneten Teststellen zeigt jedoch: Während man vor lauter Ortsmarken in den Innenstadtgebieten Mitte, Kreuzberg oder Prenzlauer Berg kaum noch Straßen erkennt, sieht es in den Außenbezirken schlecht aus. Der Linke-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg, der in Lichtenberg seinen Wahlkreis hat, berichtet: »Wir haben ein riesiges Problem in Hohenschönhausen.« Ihn haben in den letzten Tagen zahlreiche Klagen von Anwohnern über mangelnde Testkapazitäten erreicht.
Ähnlich mies ist die Situation in Treptow-Köpenick: Auch Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) hatte schon vergangene Woche die schlechte Versorgung bemängelt. Zwar habe der Senat für jeden Bezirk ein Testzentrum eingerichtet - aber nur als Ergänzung zu privaten Schnelltestzentren. »Leider haben sich die Testzentren dann fast ausschließlich innenstadtnah gebildet«, so Igel.
Der Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, Michael Grunst (Linke), fordert ein Nachsteuern seitens der Senatsgesundheitsverwaltung: »Das ist die Zuständigkeit von Frau Kalayci. In den nördlichen und östlichen Bezirken leben mehr als eine Million Menschen, für die die Gesundheitssenatorin auch zuständig ist«, sagt er zu »nd«. Grunst hat sich vor Kurzem auch in einem Brief an die Senatorin gewandt. Darin schreibt er, »dass der Senat in der Verantwortung steht, in den Bezirken außerhalb des S-Bahn-Ringes bevorzugt Testzentren einzurichten«.
Wie Sebastian Schlüsselburg sieht auch Grunst dringenden Handlungsbedarf vor allem in Hohenschönhausen. »Das Linden-Center steht bereit, ein Testanbieter auch«, so Grunst zu »nd«. »Manchmal habe ich den Eindruck, die Senatorin hat keine Wertschätzung für die Arbeit, die in den Bezirken geleistet wird.«
»Die Schlangen sind riesig an den wenigen Teststellen«, berichtet Schlüsselburg. Im Ortsteil Neu-Hohenschönhausens testen zwei Apotheken und eine Arztpraxis. »Wir reden von 50.000 Menschen, die dort leben. Der Staat muss gewährleisten, dass die Menschen auch dort ein Angebot bekommen«, so der Linkspartei-Politiker.
Die Berliner Teststrategie baut jedoch komplett auf privaten Anbietern auf - 180 an der Zahl. Einer von ihnen ist Benjamin Föckersperger, Gründer und Geschäftsführer der Medicorum TAM GmbH. Er betreibt mit Coronatest.de fünf Teststationen in Berlin und Potsdam. »Wir würden gern mehr Stationen auch in den Außenbezirken betreiben«, sagt Föckersperger zu »nd«. Konkret bemühe sich sein Unternehmen gerade um eine Station in Treptow-Köpenick. »Natürlich sehen wir den Bedarf vor allem in den Außenbezirken.«
Nun soll auch noch eines der wenigen Testzentren in Treptow-Köpenick, in der Spreestraße, geschlossen wurde. Zu den Gründen macht das Bezirksamt keine Angaben, es teilt »nd« jedoch schriftlich mit: »Dem Bezirksamt ist die Information bekannt. Auf die Einrichtung von Testzentren hat die Bezirksverwaltung keinen direkten Einfluss.« Man versuche, eine Lösung zu finden.
»Wir stehen jederzeit bereit«, sagt Föckersperger. In seinen Augen hakt es auch in der Kommunikation mit dem Dienstleister 21Dx der Senatsgesundheitsverwaltung. Das Unternehmen betreibt das Schnelltestnetzwerk Test-to-go.berlin, das für die kostenlosen Schnelltests gestartet wurde. Ein Blick in die Berliner Teststrategie verrät, wie lukrativ das ist: Insgesamt hat der Senat 63 Millionen Euro pro Monat dafür bereitgestellt, falls sich alle Berliner*innen einmal pro Woche testen lassen. Auf Antigen-Schnelltests allein entfallen 49,6 Millionen Euro, auf PCR-Tests weitere 9,8 Millionen Euro.
Ein weiteres großes Problem sieht Föckersperger auch in dem Abrechnungssystem, »da wir im Vorfeld eigentlich alle Kosten vorstrecken müssen«. Die Testanbieter bekommen ihr Geld erst im Nachhinein von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin. »Das führt dazu, dass vor allem die großen Anbieter einen Vorteil haben, weil sie es sich eher leisten können, in Vorleistung zu gehen«, so Föckersperger. Diese würden sich natürlich dann eher innerhalb des S-Bahn-Ringes konzentrieren.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Wolfgang Albers, findet klare Worte zu der Teststrategie: »Das ist ein Eldorado für Glücksritter geworden - man hätte das nicht den privaten Anbietern überlassen dürfen«, so der Arzt zu »nd«. »Unsere Idee war eigentlich, mit Tests wieder gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, wie einen Konzert- oder Kinobesuch.« Jetzt stütze man sich auf die Logistik der privaten Anbieter. »Für viele rechnet sich das einfach in den Außenbezirken nicht.« Ähnlich wie Michael Grunst in seinem Brief an Gesundheitssenatorin Kalayci schlägt Albers vor, verstärkt auch Apotheken in den Außenbezirken anzusprechen und in die Teststrategie einzubinden.
Eine Antwort hat der Lichtenberger Bezirksbürgermeister bisher nicht bekommen. Entsprechende Anfragen von »nd« ließ die Gesundheitsverwaltung bis Redaktionsschluss dieser Seite unbeantwortet.
Dem Abgeordneten Schlüsselburg antwortete Kalayci auf Twitter: »Einige Bezirksbürgermeister*innen packen mit an und andere schreiben Briefe und lehnen sich zurück. Wir rollen gerade massiv die Testmöglichkeiten aus und haben alle Bezirke angeschrieben, wo sie räumliche Möglichkeiten sehen.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.