Sitzgruppe mit Dame

Andreas Koristka über die diplomatischen Feinheiten eines Besuchs in Ankara

Pompöse Gemälde, Sessel, allerhand Klimbim - gemütlich schaut’s aus bei Recep Tayyip Erdoğan. Der Mann hat sich etwas bei der Einrichtung seines Präsidentenpalastes gedacht. Das ist nicht der einfallslose sachlich-nüchterne Stil, den man beispielsweise in den Wartezimmern unserer Bürgerämter präsentiert bekommt. Da wurde nicht irgendein Praktikant mal eben mit einem Lkw zu Ikea geschickt, um Möbel zu besorgen. Nein, das hätte der gelernte Oberbürgermeister von Istanbul und passionierte Hobby-Inneneinrichter nicht zugelassen. Denn von erlesener Qualität und allerfeinstem Geschmack muss sein Inventar sein. Er weiß: Ein guter schottischer Whisky brennt auf der Zunge - eine vorzügliche Inneneinrichtung muss im Auge weh tun.

So ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Erdoğan Ursula von der Leyen auf seinem Sofa sitzen ließ. Aber man kann die Präsidentin der Europäischen Kommission wohl kaum bitten, im Körbchen auf der Erde Platz zu nehmen und sich für die Zeit, in der sich die Männer unterhalten, mit einem Kauspielzeug zu beschäftigen. Es ziemt sich noch nicht einmal, der Frau eine Decke unterzulegen, um das Polster zu schützen. Nach fast 20 Jahren an der Spitze des türkischen Staates ist sich Erdoğan dieser diplomatischen Gepflogenheiten durchaus bewusst. Und er trägt ihnen Rechnung!

Frau von der Leyen durfte sich nämlich ausnahmsweise aufs Sofa setzen. Immerhin! Dass sie dabei so aussah, als wäre sie jeden Moment auf dem Sprung, um den Männern ein paar salzige Knabbereien und die Käse-Weintrauben-Spieße aus der Küche zu holen, kann man dem Präsidenten der Türkei wohl kaum ankreiden. Denn eigentlich verfügt von der Leyen über genügend Berater, die ihr auch in Sachen Körpersprache den einen oder anderen wertvollen Tipp geben könnten. Doch anstatt Kampfeslust und eine positive Grundhaltung auszustrahlen, wirkte sie viel mehr so geknickt, als hätte sie gerade erfahren, dass Rewe ihre Lieblingsparmesansuppe aus dem Sortiment gestrichen hat.

Um in ihrer Verzweiflung nicht umzukippen, rammte sie sich ein zufällig dahergelaufenes Kissen zwischen Sofalehne und Rücken. Wahrscheinlich steht ihr dieses laut Protokoll zu. In der Folge musste sie ihren Hals ein wenig recken und den Kopf leicht nach links drehen, um den Worten ihres Gastgebers folgen zu können. Das weckt auf so einer großen Couch natürlich Assoziationen: Ursula von der Leyen könnte der erste Gast des Abends sein, und Moderator Erdoğan sagt gerade Sätze wie »Der 42-jährige Bauarbeiter Herbert Walter aus Betzdorf an der Sieg wettet, dass er innerhalb von drei Minuten 40 Moscheen auf seiner Baggerschaufel jonglieren kann.« Aber bei »Wetten, dass ...?« stand natürlich der Tisch viel näher an der Couch und die Hagener Stadthalle spielt in einer ganz anderen architektonischen Liga.

Nein, man kann nicht sagen, dass sich Ursula von der Leyen bei Erdoğan kleiner als nötig gemacht hat. Ganz im Gegenteil: Sie hat ihre Würde gewahrt. Das ist gar nicht so leicht, weil die Gespräche mit den Türken immer heikel sind. Jeden Moment könnte der türkische Machthaber beleidigt aus dem Verhandlungsraum stürmen und seine Grenzen Richtung EU öffnen. Das kann ja keiner wollen. Wenn das Sitzen auf einer weichen Couch die Gegenleistung dafür ist, dass dahergelaufene Nafris nicht in unsere Sozialsysteme einwandern, dann zahlt die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin, die schon ganz andere Krisen ausgesessen hat, den Preis dafür gerne mit ihrem Hintern. Das ist schließlich nicht zu viel verlangt. Was sollen andere Leute sagen? Zum Beispiel die in den türkischen Gefängnissen. Die haben bestimmt weitaus unbequemere Sitzgelegenheiten.

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