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- Marathonläufer Arne Gabius
Laufende Kontraste
Auf der Flughafenstrecke in Siena platzt der Marathontraum von Arne Gabius, dafür überzeugt ein anderer
Irgendwie schien es Richard Ringer ja geahnt zu haben. Fürs Wochenende stellte der Läufer aus Überlingen in den Sozialen Medien ein Bild ein, auf dem er förmlich zu fliegen scheint. Dazu schrieb der 32-Jährige, beim Marathon im italienischen Siena auf einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Flughafenkurs zu einer Zeit unter 2:10 Stunden bereit zu sein. Den Worten sind am Sonntag Taten gefolgt: Der Leichtathlet vom Bodensee drückte seine persönliche Bestzeit um über zwei Minuten auf 2:08:49 Stunden. »Es war von mir echt ein besonders guter Wettkampf«, teilte der nunmehr viertbeste deutsche Marathonläufer der Geschichte danach mit, der sich die vergangenen Wochen auch in Kenia in Form gebracht hatte.
Der EM-Dritte über 5000 Meter von 2016 drang in einem Weltklassefeld nicht nur als einziger Nicht-Afrikaner in die Top 20 vor, sondern wirbelte zugleich die Rangfolge im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) für die begehrten drei Olympiatickets noch einmal völlig durcheinander. Hinter dem deutschen Rekordhalter Amanal Petros (2:07:18) wird nun Ringer gelistet, dahinter folgen Hendrik Pfeiffer (2:10:18) und Simon Boch (2:10:48) - damit haben vier Athleten die DLV-Norm für die Sommerspiele von 2:11:30 Stunden unterboten.
Wo Ringer einen Traumlauf hinlegte, erlebte der frühere Rekordhalter Arne Gabius einen Alptraum. Der 40-Jährige verlor nach wenigen Kilometern den Anschluss und stieg nach etwas mehr als zwölf Kilometern aus - der Olympische Marathon in Sapporo zum Karriereende bleibt ihm verwehrt. »Ich war nie drin in diesem Rennen. Das Gefühl, das ich über den Asphalt fliege, hat sich nicht eingestellt«, sagte der gebürtige Hamburger, der ursprünglich an diesem Sonntag in seiner Heimatstadt laufen wollte. Letztlich aber fiel das Massenevent an der Elbe wegen Corona erneut aus.
Gabius kündigte aus der Toskana an, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen. Der halbtags bereits als Assistenzarzt in der Kardiologie eines Stuttgarter Krankenhauses arbeitende Familienvater will keinen schnellen Zeiten mehr nachjagen (»diesen Druck mache ich mir nicht mehr«), würde sich aber gerne im Herbst mit Publikum in Berlin oder Frankfurt aus der Läuferszene verabschieden. Seine Nachfolger haben gerade die Coronkrise zur Beschleunigung genutzt. »Als ich vor sieben Jahren gesagt habe, ich will einen Marathon unter 2:10 Stunden laufen, haben mich alle komisch angeschaut. Jetzt muss man fast eine solche Zeit laufen, um zu Olympia zu kommen«, sagte Gabius, der Ringer ein Kompliment machte: »Sein Negativ-Split zeigt, welches Potenzial er noch hat.«
Der Mann vom LC Rehlingen lief auf dem Flugfeld bei Siena erst seinen zweiten Marathon, nachdem er im Dezember vergangenen Jahres in Valencia in 2:10:59 Stunden debütiert hatte. Sein Lernfortschritt auf der Straße schreitet in rasendem Tempo voran. »Im Vergleich zu Valencia habe ich einen Sprung gemacht. Und hinzu kommt noch, dass ich mit dem neuen Schuh laufe.« Viele führen neue Modelle mit Carbon-Sohlen tatsächlich auf die vielen Tempoverschärfungen zurück.
In Deutschland ist die Konkurrenz so groß wie lange nicht mehr: Obwohl das motivierende Element der Zuschauer am Streckenrand wegfällt, bieten sich mitten in der Pandemie für die 42,195 Kilometer neue Perspektiven. Zwar ist es vollkommen unrealistisch, bei den Olympischen Spielen eine Medaille zu erwarten, aber allein die (mediale) Präsenz eines deutschen Trios ist nicht zu unterschätzen. Wo es früher lautstarke Klagen über zu schwierige Normen gab, kommt es nun zu einem Hauen und Stechen in Zeitfenstern, die vor Jahren als unerreichbar galten.
Richtig flott sind auch die deutschen Frauen unterwegs: Bereits fünf DLV-Athletinnen haben die Norm von 2:29:30 Stunden unterboten: Melat Kejeta (2:23:57), Deborah Schöneborn (2:26:55), Katharina Steinruck (2:27:26), Anja Scherl (2:28:25) und Rabea Schöneborn (2:28:42). Die für die LG Eintracht Frankfurt startenden Steinruck und Schöneborn haben vor, kommendes Wochenende in Enschede ihre Olympia-Ambitionen zu untermauern. An der deutsch-niederländischen Grenze wird übrigens auch auf einem Flughafenkurs gelaufen.
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