Polizei weist »Querdenken« in die Schranken

Keine Bühne für Corona-Skepsis vor dem Hessischen Rundfunk am Sonntag in Frankfurt am Main

  • Paul Gäbler
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Boden im Frankfurter Rebstockpark ist durchnässt und es riecht ein wenig nach Festival. »Folgt dem Herzen«, ruft jemand und hält ein Schild hoch. Einige hundert »Querdenker*innen« laufen ihm und dem roten Pappmaschee hinterher. Die Stimmung an diesem 11. April ist trotzdem schlecht. Der Plan geht nicht auf. Weder erreicht man die sofortige Aufhebung der Corona-Maßnahmen, noch ist man dem eigentlichen Ziel näher gekommen: dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in dem Fall dem Hessischen Rundfunk. Dass es die Menschen, die Corona für eine große Lüge halten, zu diesem zog, ist kein Zufall. In den vergangenen Wochen waren wiederholt Journalist*innen auf den »Querdenken«-Demonstrationen angegriffen worden.

Es ist nicht lange her, da hatte sich der WDR-Intendant vorsorglich entschuldigt, weil ein Kinderchor Omas als »Umweltsäue« bezeichnete. Zum Jahresbeginn stürmten rechtsgesinnte Menschen in Horden die Hallen des Kapitol in Washington. Die ARD brach ihre Live-Übertragung ab, um ihre Reporter*innen in Sicherheit zu bringen. Ähnliches ereignete sich in Stuttgart, wo am vergangenen Wochenende das Team des Südwestrundfunk von Teilnehmer*innen einer »Querdenken«-Demonstration mit Steinen beworfen wurde. Nun geht es also in Hessen los.

Die Veranstalter*innen hatten an diesem Sonntag etwa tausend Teilnehmer*innen in der Bertramstraße erwartet. Die Stadt Frankfurt jedoch untersagte den Protest direkt vor dem Hessischen Rundfunk und wies die »Querdenker*innen« in einen Park am Stadtrand. Über Telegram, die Hauptinformationsquelle der Bewegung, riefen die Initiatoren Nana Domena und Eva Rosen weiter dazu auf, sich direkt vor der Sendeanstalt zu treffen. Doch weit kam man nicht. Die Polizei war vorbereitet und hatte den Bereich bereits hermetisch abgeriegelt.

Nana Domena ist Moderator und Entertainer und ruft seit Monaten zu »Querdenken«-Demonstrationen auf und hält dort Reden. So ist der 39-Jährige zu einem der bekanntesten Gesichter der Bewegung geworden. Früher arbeitete er mit dem Schokoladenhersteller Lambertz zusammen. Dieser trennte sich jedoch im Januar wegen Domenas Nähe zu »Querdenken«. Das Recherchenetzwerk »Correctiv« veröffentlichte bereits im Oktober vergangenen Jahres einen Hintergrundartikel, in welchem langjährige Verbindungen zwischen Domena und Neonazis aufgezeigt wurden.

Bei Eva Rosen handelt es sich um eine Frau, welche die Coronaskepsis in die Parteienlandschaft Deutschlands tragen möchte. Zunächst war sie Vorsitzende der Partei »Wir2020«, mit besten Verbindungen zu Querdenken. Oftmals rief sie zu Spenden für diese Partei auf, ohne das ersichtlich wurden, wofür genau die Gelder gebraucht würden. Mittlerweile ist sie der neuen Partei »Die Basis 2021« beigetreten, die ebenfalls »Querdenken« nahe steht. »Die Basis 2021« verfolgt das Ziel, dass alle Kleinparteien fusionieren, die aus der »Querdenken«-Bewegung entstanden sind, um den Einzug in den Bundestag zu schaffen.

Parallel zu der Ansammlung in der Nähe der Bertramstraße, probierten die »Querdenker*innen« am Sonntag ihr Glück an der Weseler Werft, nur unweit entfernt von der Europäischen Zentralbank in der Frankfurter Innenstadt. Dort mischten sie sich unter eine andere Demonstration. Diese hatte allerdings nichts mit Corona zu tun, sondern forderte die Freilassung des Whistleblowers Julian Assange. Als die Initiator*innen der Demonstration mitbekamen, dass ihre Veranstaltung gekapert wurde, sagten sie diese einfach ab. Dort kam es am Sonntagmittag zu einem Gerangel mit einer antifaschistischen Gruppe, die eine Gegendemonstration veranstaltete.

Der »Querdenken«-Anwalt Marcus Haintz wurde gegenüber einer Frau sogar gewalttätig und deswegen kurzzeitig in Polizeigewahrsam genommen. Später klagte er sein Leid über die erlittene »Polizeigewalt« in ein Mikrophon des Norddeutschen Rundfunks (NDR) – auf einer Demonstration, welche die öffentlich-rechtlichen Medien der »Gleichschaltung« bezichtigte. Der Hashtag #HaintzTrittFrauen trendete bei Twitter.

Doch nochmals zu Beginn des Sonntagsvormittags in Frankfurt. Als die Entourage um Domena und Rosen im Rebstockpark eintrifft, ist man bereits im Verzug. Die Polizei hat den Zeitplan genau vorgegeben. Weil man gehofft hatte, die Demonstration in der Innenstadt durch ihre Größe zu erzwingen, hatten die Veranstalter das Event bereits abgesagt. Nana Domena ist enttäuscht, ein aus seiner Sicht untrügliches Zeichen dafür, dass seine Meinung »unterdrückt« würde. Nun regnet es auch noch. Notgedrungen meldet er eine Spontanversammlung an. Eine Polizistin nickt kurz und gibt eine Weisung per Funk durch. Alles wieder auf Anfang.

Wie aus dem Nichts wächst am Nachmittag eine Bühne aus dem Boden, Absperrgitter werden verschoben, damit die Teilnehmenden genug Platz haben. Die Polizei kontrolliert, ob die Maskenpflicht einhalten wird. Wer kein Attest hat und sich dem Mundschutz trotzdem verweigert, muss gehen. Als ein Mann auch den Platzverweis ignoriert, wird er von mehreren Polizist*innen zu Boden gerungen. »Faschismus« brüllen die Demonstrierenden. Eva Rosen kommentiert von der Bühne, die Festnahme sei inszeniert, damit »die Presse ihre hässlichen Fotos« bekomme. »Aber wir sind friedlich!«, brüllt sie ins Mikrofon. Nicht umsonst laufe die Demonstration unter dem Motto »We are Love«.

Unweit der »Querdenker*innen« kommt am Nachmittag eine andere Gruppe zusammen. »Wir impfen euch alle« steht auf einem Schild, das ein paar Gegendemonstrant*innen mitgebracht haben. Fünf Mitglieder der Satirepartei »Die Partei« nehmen die »Querdenker*innen« beim Wort und erinnern sie daran, dass es zu Kaisers Zeiten eine allgemeine Impflicht gab. »Ihr beteiligt euch an einem Völkermord!«, brüllt ihnen ein älterer Mann zu. Was er damit meine, fragt der Autor dieser Zeilen. »Das müssen sie selber rauskriegen, aber sie recherchieren heutzutage ja gar nicht mehr vernünftig.«

Die Bühnenshow erreicht einen neuen Höhepunkt, als Björn Banane sein Lied »Schluss mit dem Lockdown« anstimmt. Eine Gitarre scheppert im Playback und klingt ähnlich verzerrt wie die Stimme des Sängers. Wirklich aufhellen tut sich die Stimmung aber nicht, genauso wenig wie das Wetter. Eimerweise schüttet es vom Himmel und nach dem stundenlangen Stehen kommt die Kälte unter die Multifunktionsjacken gekrochen. Die Demonstrierenden sind immer noch enttäuscht vom Verlauf des Tages. »Das nächste Mal«, sagt Nana Domena auf der Bühne, »kriegen die vom Hessischen Rundfunk was auf den Deitz – aber friedlich natürlich.«

Am Sonntagabend bemüht sich Nils Altland im Rebstockpark Ruhe zu bewahren. Der Reporter des NDR versucht, ein Schlussstatement aufzunehmen, wird aber von einigen Umstehenden permanent unterbrochen und in sinnentleerte Debatten verstrickt. »Ihr lügt euch doch eh was zusammen«, brüllt ihm ein junger Mann zu. Altland bricht ab, bittet darum, einfach nur seinen Job machen zu dürfen. »Such dir einen anderen Job«, ruft eine ältere Frau. Die Umstehenden lachen hämisch. Die Menschen benehmen sich wie im Zenit einer späten Pubertät.

Der Verlauf dieses Sonntags zeigt, dass ein konsequentes Vorgehen von Polizei und Stadt funktionieren kann. Die Meinungsfreiheit, die es auch Menschen erlaubt, ihren Hang zur Faktenresistenz ausleben zu dürfen, soll geschützt werden – solange es mit den aktuellen Hygiene-Regeln vereinbar ist. Doch dazu sind wegen des Mobilisierungspotenzials mehrere hundert Einsatzkräfte notwendig, um eine ähnliche Anzahl »Querdenker*innen« unter Kontrolle zu kriegen. So erscheint es rückblickend lachhaft, dass man bei der Stuttgarter Polizei Ende März davon ausgegangen war, dass wenige hundert Polizist*innen für über zehntausende Demonstrierende ausreichen würde. Über Pfingsten haben sich die »Corona-Rebell*innen« für Berlin angekündigt.
Mitarbeit Katharina Schwirkus

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