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Digitale Erinnerung an Naziverbrechen

Die Stiftung brandenburgische Gedenkstätten nutzt zunehmend das Internet für ihre Aufklärungsarbeit

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Sommer 1942 stieß die Wehrmacht in den Kaukasus vor. Am 21. August hissten Soldaten auf dem 5633 Meter hohen Gipfel des Elbrus die Reichskriegsflagge. Die zeitweilige Besetzung des Nordkaukasus hatte dort für Patienten psychiatrischer Kliniken und für jüdische Ärzte schlimme Folgen. Schätzungsweise 1700 von ihnen wurden von den Nazis ermordet. Eine Ausstellung über die damaligen Ereignisse soll nun am 1. September in Brandenburg/Havel eröffnet werden - in der Gedenkstätte für die Opfer der faschistischen Krankenmorde. Angesichts der Corona-Pandemie ist sie als Freiluftausstellung geplant.

Über dieses Vorhaben und viele andere Pläne berichtete am Montag die Stiftung brandenburgische Gedenkstätten. »Corona ist für die Jahresplanung ein entscheidender Faktor«, sagte Direktor Axel Drecoll. Einige Termine, die im vergangenen Jahr wegen der Pandemie ausfallen mussten, sollen nun dieses Jahr nachgeholt werden. Da die Gefahr einer Ansteckung jedoch weiterhin besteht, ist das oft nur im Internet möglich.

Besucherzahlen und Haushaltsmittel

In der Gedenkstätte Sachsenhausen waren im Jahr 2020 coronabedingt nur 715 Führungen möglich. Im Jahr zuvor hatte es dort 2695 Führungen gegeben.

In der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück sank die Zahl der Führungen von 372 auf 140.

Die Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde (Krankenmorde) in Brandenburg/Havel zählte im vergangenen Jahr 3112 Besucher. Im Jahr zuvor waren es 5607.

4961 Menschen besuchten im vergangenen Jahr die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam, in der sich von 1945 bis 1991 ein Gefängnis des sowjetischen Militärgeheimdienstes befand. Im Jahr 2019 hatte diese Gedenkstätte 11 765 Besucher registriert.

Im Gedenkort Zuchthaus Brandenburg-Görden sank die Gästezahl von 2278 auf 1147.

Im laufenden Jahr kann die Stiftung brandenburgische Gedenkstätten voraussichtlich über Mittel in Höhe von 6 Millionen Euro verfügen. 3,3 Millionen Euro kommen vom Land Brandenburg, 2,7 Millionen Euro gibt der Bund. 1,3 Millionen Euro investiert die Stiftung in verschiedene Baumaßnahmen. af

So war die Ausstellung »Bruchstücke ’45« für den schon elf Monate zurückliegenden 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus geplant. Wegen Corona konnte sie aber nicht gezeigt werden und ist nun seit einigen Tagen online in einer 360-Grad-Variante unter www.bruchstuecke45.de zu besichtigen. Auch der 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück kann am kommenden Sonntag nicht wie üblich mit Überlebenden und ihren Angehörigen gefeiert werden. Stattdessen werden die Ansprachen von Ambra Laurenzi, der Präsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees, und von Dik de Boef, dem Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, um 10 Uhr und um 15.30 Uhr live im Internet übertragen. Um 18 Uhr wird ein vorher aufgezeichnetes Konzert des Moka Efti Orchestra veröffentlicht. Das Orchester spielt unter anderem Lieder, die von den KZ-Häftlingen gesungen wurden, und Stücke von Kurt Weill, der 1928 die Musik für Bert Brechts »Dreigroschenoper« komponierte und 1933 emigrierte, als Adolf Hitler an die Macht kam.

Die Lockdowns im Jahr 2020 hatten für die KZ-Gedenkstätten gravierende Auswirkungen. Für Sachsenhausen wurden nur 145 000 Besucher gezählt. In den Jahren zuvor waren es immer mehr als 700 000. In Ravensbrück sank die Besucherzahl von 110 000 auf 32 000. »Die meisten Veranstaltungen mussten abgesagt werden«, erklärt Drecolls Stellvertreterin Andrea Genest.

Genest sieht die Krise auch als Chance. Mit den digitalen Angeboten können Menschen erreicht werden, die nicht als Besucher in die Gedenkstätten kommen. Max Vogel, Volontär der Stiftung, startet im Mai einen Podcast. In 30 bis 45 Minuten langen Folgen begrüßt er als Gast jeweils einen Kollegen, der über seine Tätigkeit berichtet und die Biografie eines Opfers oder auch Täters vorstellt. Die erste Folge gibt es am 16. Mai. Dazu ist ein Mitarbeiter der »Euthanasie«-Gedenkstätte eingeladen. Alle zwei Monate soll es eine neue Folge geben.

Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle (SPD) bezeichnet dergleichen Aktivitäten als Rückeroberung des Internets, in dem die historischen Tatsachen leider oft verfälscht werden. Das rückt die Stiftung nun zunehmend gerade. Dazu dient auch die Digitalisierung von 45 Nachlässen ehemaliger Häftlinge des KZ Sachsenhausen, von 30 000 Foto-Negativen und etwa 2000 Objekten aus der Sammlung.

Kulturministerin Schüle beobachtet antisemitische Hetze und die Instrumentalisierung von Naziopfern im Zusammenhang mit den Corona-Einschränkungen. Sie sagte am Montag: »Wer ausgefallene Kindergeburtstage mit Anne Frank vergleicht, verhöhnt die Naziopfer und tötet sie ein zweites Mal.«

Stiftungsdirektor Drecoll hegt keinen Zweifel, dass Corona-Maßnahmen notwendig sind. Er verwies aber darauf, wozu das führt. Besucher aus aller Welt bleiben weitgehend aus. Selbstständige, die Führungen in den KZ-Gedenkstätten anbieten, verlieren durch die Schließung der Museen eine Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auch der Stiftung entgehen Einnahmen, etwa aus dem Verkauf von Büchern im Besucherzentrum von Sachsenhausen. Derweil können Baumaßnahmen ungestört vonstatten gehen. Geplant sind etwa die Restaurierung der Figurengruppe des Bildhauers René Graetz am Obelisken in Sachsenhausen und die Sanierung eines Teils der Lagermauer in Ravensbrück.

www.stiftung-bg.de

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