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Die Fratze des Dutertismo
Der philippinische Präsident Rodrigo R. Duterte setzt auf den »Endsieg über den Kommunismus«
Erst am späten Montagabend meldete sich der philippinische Präsident Rodrigo R. Duterte nach zweiwöchigem Abtauchen wieder zu Wort. In einer aufgezeichneten Fernsehansprache beschied er seinen Landsleuten: »Würde das Militär mir erlauben zu regieren, wenn ich die Dinge so führe – ohne dass ich etwas tue?« Inmitten der schwersten Krise des Landes schürte Dutertes Abwesenheit neuerlich Gerüchte über seinen Gesundheitszustand.
Statt jedoch der zunehmend an Hunger, Elend und Verzweiflung leidenden Bevölkerung endlich konkrete Schritte zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie aufzuzeigen, hofierte der Präsident wieder ungeniert das Militär. Ihm und der Nationalpolizei hatte er nämlich am 5. März unmissverständlich klar gemacht, was in seinem letzten Amtsjahr prioritär die Agenda bestimmt. »Kill, kill, kill« lautete die präsidiale Order, um »die Kommunisten fertigzumachen.«
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Seitdem verging kein Tag, an dem nicht Regimegegner unterschiedlicher Couleur erschossen, festgenommen oder deren Büros durchsucht wurden. Die antikommunistische Paranoia geht so weit, dass jetzt auch Mitarbeiter und Angestellte des Senats als »subversiv« gebrandmarkt werden.
Besonders betroffen ist die Guerillaorganisation der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), die Neue Volksarmee (NPA), ein militärischer Verband, der jüngst seinen 52. Geburtstag feierte. Die Herrschenden im Lande – darunter zuvörderst Duterte in Personalunion Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte – sähen die NPA am liebsten sofort »ausradiert«. In der gesamten Region Südostasien sind die Philippinen das Land mit dem am Längsten währenden bewaffneten kommunistischen Widerstand. Als die NPA am 29. März 1969 – drei Monate nach Gründung der CPP – in Zentralluzon (nördlich der Metropole Manila gelegen) aus der Taufe gehoben wurde, umfasste der Trupp gerade einmal 60 Kämpfer.
Von der Provinz Tarlac aus begann eine langsame Ausbreitung der Massenbasis im Sog eines agrarrevolutionären Kampfes, dem es in der Endphase der Diktatur unter Ferdinand E. Marcos (1965-86) Mitte der 1980er Jahre gelungen war, landesweit verankert zu sein und nunmehr in seinen Reihen annähernd 30 000 Kombattanten zu vereinen. Zu der Zeit war die NPA die weltweit am Schnellsten wachsende Guerilla, was seinerzeit unter US-amerikanischen Militärstrategen und Politikern große Unruhe schürte und die Befürchtung aufkeimen ließ, ihre ehemalige Kolonie (1898-1946) könne »den Wölfen anheimfallen« – sprich: kommunistisch werden.
Spaltung der kommunistischen Bewegung
Schwere politische wie militärische Fehleinschätzungen waren verantwortlich dafür, dass die CPP/NPA, die seit Formierung des Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen am 24. April 1973 zu deren bedeutsamsten Mitgliedorganisationen zählen, an Bedeutung verloren und sich in heftigen internen Querelen und Konflikten verhedderten. Den Höhepunkt dieses erbitterten Streits bildete die sogenannte Zweite Große Berichtigungsbewegung zwischen Befürwortern der fortgesetzt maoistischen Linie des langwierigen Volkskrieges vom Hinterland aus und jenen Kräften, die im Zuge der Erosion des Realsozialismus in der vormaligen Sowjetunion sowie in den Ländern Osteuropas den maoistischen Kurs für obsolet erachteten und stattdessen den parlamentarischen Kampf protegierten.
Nannten sich Erstere »Reaffirmists«, also sich zum bewaffneten Kampf bekennend, betrachteten sich Letztere als »Rejectionists«, also den bewaffneten Kampf verwerfend, wobei die »Reaffirmists« erneut Zulauf verzeichneten und heute unter den radikalen Linken ideologisch, politisch und organisatorisch die Führungsrolle einnehmen. Hauptziel ist nach wie vor die Schaffung einer Volksdemokratischen Republik der Philippinen, solange im Lande die ihrer Meinung nach »drei Hauptübel Imperialismus, Feudalismus und bürokratischer Kapitalismus« fortbestehen und der Inselstaat durch Großgrundbesitz, schroffe soziale Gegensätze, grassierende Armut und Korruption und nicht zuletzt durch Militarisierung sowie Staatsterror geprägt bleibt. Nach eigenen Angaben verfügt das nationale operative NPA-Kommando gegenwärtig über 14 Regionalkommandos mit über 100 Guerilla-Fronten in 73 der landesweit 81 Provinzen.
Es war ausgerechnet Duterte, der, als er im Sommer 2016 als neuer Präsident in den Präsidentenpalast Malacañang zu Manila einzog, u.a. hoch und heilig versprochen hatte, als erstes »sozialistisches« Staatsoberhaupt des Landes in die Annalen eingehen zu wollen. Er werde deshalb als Zeichen seines Goodwills sämtliche politischen Gefangenen im Lande auf freien Fuß setzen und mit dem Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen das Gespräch suchen. Ja, mit ihr Friedensverhandlungen reaktivieren, um den längsten kommunistischen Widerstand in der Region zu beenden.
Tatsächlich kam es im Spätsommer 2016 unter der diplomatischen Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums zur Wiederaufnahme eben dieser Friedensverhandlungen – zunächst in Oslo und später dann in den Niederlanden, wo in Utrecht ein Großteil der Führungskader der Nationalen Demokratischen Front seit langem im Exil lebt. Darunter auch der mittlerweile 82-jährige José Maria Sison, Gründungsvorsitzender der CPP und seit Jahren politischer Chefberater des Untergrundbündnisses. Doch bereits ein Jahr später war die anfängliche Euphorie gewichen und Duterte machte keinen Hehl daraus, fortan – auf Drängen seiner meist an US-amerikanischen Militärakademien ausgebildeten Generalität – auf den »militärischen Endsieg« gegen die Nationale Demokratische Front samt CPP und NPA zu pochen.
Aufstandsbekämpfung über alles
Aus dem sich »sozialistisch« gebärdenden Wahlkämpfer Duterte war binnen zweier Jahre ein prototypischer Antikommunist geworden, der wie all seine Vorgänger – einschließlich des von ihm bis heute verehrten Diktators Marcos – auf die Zerschlagung der Guerilla setzt. Erst verkündete Duterte am 23. November 2017 qua Präsidialdekret Nr. 360 einen Stopp der Friedensverhandlungen mit der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen, um kurz darauf, am 5. Dezember 2017, die CPP und NPA über Nacht »terroristisch« zu brandmarken. Flugs erteilte er der Nationalpolizei sowie den Streitkräften die Order, gegen beide Organisationen unerbittlich vorzugehen. Mittels solcher Counterinsurgency- bzw. Aufstandsbekämpfungspläne wie dem Oplan Kapayapaan (Operationsplan Frieden) und Oplan Kapanatagan (Operationsplan Stabilität) sollten landesweit »die Hirne und Herzen« der Bevölkerung gewonnen und endlich »Ruhe und Ordnung« hergestellt werden.
Die schließlich am 4. Dezember 2018 unterzeichnete Exekutivorder 70 gab den Startschuss zur Counterinsurgency als »gesamtnationalen Ansatz«. Konkret: Seitdem obliegt der Nationalen Task Force zur Beendigung des lokalen kommunistischen bewaffneten Konflikts die Aufgabe, des Präsidenten Counterinsurgengy-Strategie zu exekutieren – koste es, was es wolle. Die Task Force wird dirigiert von hochrangigen Militärs und ehemaligen Generalstabschefs, die unter Duterte in Kabinettsposten gehievt wurden oder unter seiner Ägide zu hohen Beamten avancierten.
Es ist diese Task Force, die – gestützt auf ein ihr maßgeschneidertes Antiterror-Gesetz und üppig mit Geldern versorgt – weitgehend die alltäglichen Geschicke lenkt, über Leben und Tod von »subversiven Elementen und Kommunisten« befindet und alles in Gang setzt, um unter härtesten und langen Lockdown-Bedingungen während der Covid-19-Pandemie Protest und Widerstand zu ersticken sowie mit Blick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im Mai 2022 eine Duterte-Dynastie zu installieren.
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