Karlsruhe kippt Mietendeckel

Das Bundesverfassungsgericht hat am Donnerstag seine Entscheidung zum Berliner Mietendeckel veröffentlicht. Er war ein zentrales Projekt von Rot-Rot-Grün.

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Aus für den Berliner Mietendeckel: Das Bundesverfassungsgericht hat das 2020 in zwei Stufen in Kraft getretene Landesgesetz gekippt. Das geht aus dem Urteil hervor, das »nd« vorliegt und am Donnerstag veröffentlicht wurde. In einer Mitteilung des Gerichts heißt es, dass Berliner Gesetz zur Mietbegrenzung im Wohnungswesen sei »mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig erklärt« worden.

Das Gericht entschied über eine Normenkontrollklage, die 284 Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und der FDP gemeinsam eingereicht hatten. Im Kern ging es bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes um die Frage, ob Berlin überhaupt dazu befugt ist, Gesetze zu erlassen, die die Miethöhe regeln.

Das Mietrecht falle in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und sei dort abschließend geregelt, argumentierten die Kläger. Durch Berlins Alleingang sei die »Einheit der Rechtsordnung« gefährdet. Damit sei das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung in Gefahr. Dieser Linie folgte das Bundesverfassungsgericht. Der Bundesgesetzgeber habe das Mietpreisrecht abschließend geregelt, weswegen die Länder hier keine Gesetzgebungsbefugnis hätten, argumentierten die Richter*innen.

Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen war vor der Entscheidung davon ausgegangen, dass Mieter in diesem Fall wieder die eigentliche, höhere Miete zahlen müssen. Für den Fall, dass das rückwirkend gilt, hatte sie Mieterinnen und Mietern bereits empfohlen, das gesparte Geld vorerst zurückzulegen. Unter Umständen sei die Differenz für die gesamte Vertragslaufzeit nachzuzahlen.

Die rot-rot-grüne Landesregierung hatte zum 23. Februar 2020 die Mieten für rund 1,5 Millionen Wohnungen eingefroren, auf dem Stand von Juni 2019. Das betrifft neun von zehn Mietwohnungen. Ab 2022 sollten Vermieter zumindest die Inflation ausgleichen dürfen.

Für den Fall, dass die Mieter wechseln, sah das Mietendeckel-Gesetz vor, dass es bei der alten Miete bleibt oder Obergrenzen greifen. Mieten, die um mehr als 20 Prozent über der für die Wohnung geltenden Obergrenze liegen, galten als zu hoch. Seit dem 23. November waren betroffene Vermieter gesetzlich verpflichtet, sie abzusenken.

Bei Verstößen drohte ein Bußgeld von bis zu 500 000 Euro. Der Mietendeckel galt nicht für neue Wohnungen, die seit 2014 fertig wurden. Die Regelung war auf fünf Jahre befristet, also bis 2025.

Der Berliner Bausenator Sebastian Scheel (Linke) kündigte an, der Senat werde am Dienstag über Konsequenzen beraten. Es gehe nun darum, »sozial verträgliche Lösungen für Mieterinnen und Mieter zu entwickeln«.

Die grüne Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, teilte mit: »Wir bedauern den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sehr und werden ihn eingehend prüfen.« Sie forderte den Bund auf, es den Ländern gesetzlich zu ermöglichen, Mietendeckeleinzuführen.

Sören Bartol, der stellvertretende Chef der SPD-Bundestagsfraktion, sprach von einem »schwarzen Tag« für die Berliner Mieterinnen und Mieter. Er forderte, das Bundesrecht »um einen verfassungsgemäßen Mietenstopp in angespannten Wohnungsmärkten« zu ergänzen.

Auch SPD-Vize Kevin Kühnert einen bundesweiten Mietendeckel, damit Mieten in angespannten Wohnungsmärkten rechtssicher gesenkt werden könnten.

»Bei der Bundestagswahl am 26. September macht die SPD den Mieterinnen und Mietern ein klares Angebot: In der nächsten Bundesregierung wollen wir einen Mietenstopp in allen angespannten Wohnlagen durchsetzen.« Das Kippen des Berliner Mietendeckelssei »eine verlorene Schlacht, aber der Kampf gegen explodierende Mieten ist dadurch noch lange nicht entschieden«, so Kühnert.

SPD-Chefin Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, ihre Partei werde sich für Erhalt und Entstehung von bezahlbarem Wohnraum einsetzen. »Die Menschen, die unser Leben am Laufen halten, die Kranke pflegen, für Sicherheit sorgen, unsere Briefe austragen, an der Kasse im Supermarkt sitzen, unsere Kinder unterrichten oder löschen, wenn es brennt, die müssen es sich auch in Zukunft leisten können, in den Städten zu wohnen, wo sie arbeiten.«

Der Linken-Politiker Victor Perli kommentierte das Urteil als eine große Niederlage »für alle Mieterinnen und Mieter bundesweit«. Alle Umfragen hätten gezeigt, dass eine große Mehrheit für die Regulierung der Mietpreise sei.

Der Mietenexperte und Sozialwissenschaftler Andrej Holm betonte, eine rechtliche Klärung in Karlsruhe sei keine Problemlösung. Die Wohnungsfrage bleibe weiter dringlich. Die Politik sei nun gefordert, Mieter*innen vor Nachzahlungen zu schützen, einen Mietenstopp im Bund durchzusetzen und öffentliche Bestände auszubauen.

Der Präsident des Deutschen Mieterbunds, Lukas Siebenkotten, bezeichnete die Entscheidung als »bitter«. Sie sei ein »lauter Weckruf an den Bundesgesetzgeber, endlich zu handeln und die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen«. Der Deutsche Mieterbund forderte einen bundesweiten sechsjährigen Mietenstopp. Eine wirksame Mietenbegrenzung auf Bundesebene sei überfällig, erklärte der Verein.

Verschiedene linke Gruppen rufen zu Demonstrationen auf, beispielsweise am Donnerstagabend um 18:00 auf dem Hermannplatz in Berlin. Der Mietendeckel war auch ein zentrales Projekt der Mieter*innenbewegung. fhi/nd

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