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Liga der Pleitegeier

Zum Start der Chinese Super League liegt der Fußballsport in der Volksrepublik brach - sowohl in sportlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht

  • Fabian Kretschmer, Shanghai
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach dem überraschenden 4:0 liegen sich die in grün-weiß gekleideten Fans jubelnd in den Armen. Im »Haxnbauer« in Shanghai, einem Wirtshaus mit Hirschgeweih-Deko, Maßkrügen und Kellnerinnen in Dirndl, haben sich an diesem Samstagabend Dutzende Fußballenthusiasten zum »Public Viewing« getroffen. Doch auf der Leinwand läuft keineswegs die heimische »Chinese Super League« (CSL), sondern Ballsport aus dem fernen Westen: Borussia Mönchengladbach gegen Eintracht Frankfurt.

Auch der 21-jährige Lu kann sich ausschließlich für die deutsche Bundesliga und die spanische »La Liga« begeistern. Chinesischer Fußball sei eben alles andere als cool, sagt der hagere Wirtschaftsstudent mit der randlosen Brille: »Die Mädchen stehen eher auf die großgewachsenen Basketballer, chinesische Fußballer sind nicht so beliebt. Und auch meine Verwandten können nicht so recht verstehen, dass man über Stunde lang ein Fußballspiel schaut, bei dem oftmals kein einziges Tor fällt«.

Wenn am Dienstag in China die neue Saison der Super League beginnt, hält sich die Euphorie merklich in Grenzen. Der heimische Ballsport liegt wirtschaftlich und sportlich brach, der Traum von der großen Fußballnation ist längst ausgeträumt. Sinnbild für den tragischen Status Quo ist die Tatsache, dass die CSL ohne den letztjährigen Champion auskommen muss: Der Jiangsu FC aus Nanjing wurde aufgelöst, nachdem sich der Sponsor zurückgezogen hat. Rund ein Dutzend weiterer Vereine aus den oberen drei Ligen sind in der letzten Saison ebenfalls pleitegegangen - immerhin weniger als noch 2019.

»Keiner von denen macht Geld. Das rächt sich natürlich irgendwann«, sagt ein deutscher Sportfunktionär, der in China einen Jugendverein leitet. Sportlich kickten die Chinesen unter ferner liefen, weit abgeschlagen hinter den benachbarten Fußballligen in Südkorea und Japan. »Dabei hast du unter den 12-Jährigen genauso viele Talente in China wie etwa auch in Deutschland«, sagt der Sportfunktionär, der anonym bleiben will. Dann jedoch setze der akademische Druck ein: Im hochkompetitiven Bildungssystem erlauben nur die wenigsten Eltern ihren Sprösslingen, eine Fußballerlaufbahn zu verfolgen.

Dabei hatte Generalsekretär Xi Jinping, selbst ein Fan des runden Leders, noch 2015 das Großprojekt Fußballmacht zur Chefsache erklärt. Spätestens 2050 werde man in der Weltspitze mitmischen, hieß es. Doch nun, sechs Jahre später, ist das Reich der Mitte von dieser Vision weiter entfernt denn je.

Zwar haben viele Unternehmen, vorwiegend aus der Immobilienbranche, für stolze Millionenbeträge Klubs aufgekauft. Doch dabei hatten die meisten von ihnen weder eine langfristige Strategie noch Ahnung von Sportmanagement. Stattdessen ging es vor allem darum, den politisch verordneten Willen durch vorauseilenden Gehorsam zu erfüllen. Der Eintritt in die chinesische Fußballliga, so lautete das Kalkül, würde Gefälligkeiten und Netzwerke unter den führenden Parteikadern ermöglichen.

Dutzende »Fußball-Expats« aus Südamerika und Europa wurden jedoch durch die absurd hohen Löhne angelockt, die Brasilianer Hulk und Oscar zählten zu den prominentesten von ihnen. Doch eine mittlerweile vom Staat herausgegebene Gehaltsobergrenze für ausländische Spieler von maximal drei Millionen Euro pro Jahr hat die internationale Anziehungskraft der CSL deutlich verblassen lassen.

Doch zumindest vorübergehend kreierte die Investitionswut der Chinesen einen regelrechten Hype. Dutzende ausländische Vereine - vom FC Bayern bis zu Manchester United - haben sich mit Büro-Zweigstellen in der Volksrepublik niedergelassen. Man möchte Merchandise verkaufen, durch Jugendarbeit Einnahmen kreieren und irgendwann einmal einen chinesischen Spitzenspieler heranzüchten. In der Branche spricht man vom sogenannten Yao-Ming-Effekt: Als der 2,29 Meter große Basketballspieler Yao Ming Ende der 90er Jahre in die NBA wechselte, sorgte dies für eine Goldgräberstimmung sondergleichen: Die Fernsehrechte schossen in die Höhe, Trikotverkäufe gingen durch die Decke und die Jugend begeisterte sich plötzlich für Basketball. China ist immerhin ein Markt von 1,4 Milliarden potenziellen Konsumenten.

Als es beim Fußball verheißungsvoll aussah, wurde Peter Stebbings 2017 nach China entsandt. Der einzige akkreditierte Sportjournalist berichtet für die Nachrichtenagentur AFP über den Fußballsport in der Volksrepublik. Im 26. Stock einer Anwaltskanzlei zieht der Brite bei einem »After-Work-Event« ein durchwachsenes Fazit: »Als ich vor vier Jahren hier ankam, dachten die Leute noch, die chinesische Liga sei eine Bedrohung für die englische Premier League. Mittlerweile frage ich mich manchmal: Worüber schreibe ich hier überhaupt noch?«

Und dennoch, sagt Stebbings, solle man nicht zu kritisch mit den chinesischen Fußballambitionen ins Gericht gehen. Noch stünde man am Anfang, der Aufbau nachhaltiger Strukturen brauche einen langen Atem. Frühestens in 20 Jahren werde China wohl nennenswerte Resultate erzielen können.

Bis dahin jedoch wird das Interesse der Jugend vermutlich weiter abflachen. »Für meine Eltern war das Schauen von chinesischen Fußballspielen noch ein willkommener Zeitvertreib nach einer anstrengenden Arbeitswoche«, sagt der 32-jährige Angestellte eines Pharmaunternehmens in Shanghai. Doch er selbst sei über die Europa- und Weltmeisterschaften zum Fußball gekommen, den Zustand der heimischen Liga hält er für hoffnungslos: »Es gibt ein gängiges Sprichwort: Fußball ist Fußball, aber chinesischer Fußball ist etwas ganz anderes«, sagt er.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch sehr wohl: Die Frauennationalmannschaft hat sich nach vielversprechenden Darbietungen auf dem Rasen jüngst für die Olympischen Sommerspiele in Tokio qualifiziert.

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