- Wirtschaft und Umwelt
- Automark in China
Die Zukunft soll elektrisch sein
Der wieder boomende chinesische Automarkt hilft der gesamten Branche durch die Lockdown-Zeit
Auf der »Auto Shanghai« kämpfen knapp 1000 Firmen mit aufgedrehtem Lautstärkeregler und leicht bekleideten Hostessen um die Aufmerksamkeit der Besucher. Inmitten der Reizüberflutung sticht der Stand von Mercedes Benz als Superlativ heraus: Dutzende Luxuskarosserien werden auf der Fläche eines Fußballstadions präsentiert, die Lichtinstallation ist atemberaubend und die anstehende Pressekonferenz wird mit gleich mehreren kinoreifen Teasern beworben. Dass dort ein neues Luxusmodell vom Typ Maybach vorgestellt wird, während der Moderator Weisheiten von Konfuzius zitiert, passt da nur ins Bild: Die Dekadenz der Branche wirkt wie aus einer vergangenen Zeit.
Doch als am Montag in Shanghai die weltweit größte Automesse des Jahres ihre Pforten für die Presse öffnet, zeigt sich auf beeindruckende Weise die post-pandemische Zukunft: Zehntausende Besucher drängen sich in dem verschachtelten Areal, das mit seiner Architektur einem Cyperpunk-Filmset zu entstammen scheint. Bei den Präsentationen der Autobauer sammeln sich Menschenmassen an, als wäre Corona längst vergessen. Mehr Normalität geht derzeit kaum.
Die Videogrußworte der deutschen Vorstandschefs erinnern dann doch an die Pandemie. Keiner von ihnen wollte sich den Flug in die Volksrepublik antun, denn auch für VIPs gibt es keine Ausnahme von der zweiwöchigen Hotel-Quarantäne. Doch von BMW über Audi bis hin zu VW wird dieselbe Botschaft hinausposaunt: Man möchte digital werden, elektrisch und nachhaltig.
Grund zum Feiern gibt es für die Branche durchaus. Während sich weite Teile der Welt von Lockdown zu Lockdown hangeln, beschert der chinesische Automarkt auch den deutschen Konzernen Rekordzahlen. In diesem Jahr wird ein branchenübergreifendes Wachstum von sechs Prozent erwartet, der Bereich E-Mobilität soll gar um rund 70 Prozent steigen.
Die in China längst eingeleitete Transformation zeigt sich auch an der Ausstellerliste: Mit Huawei oder dem mit seiner Suchmaschine bekannt gewordenen Unternehmen Baidu sind etliche Internetimperien vertreten - gemäß dem Motto, dass das Auto der Zukunft nicht viel mehr ist als ein Smartphone auf vier Rädern.
»Unsere Zukunft ist eine elektronische«, sagt auch Stefan Wöllenstein. Der China-Chef von Volkswagen hat ins »Modern Art Museum« geladen, einen post-modernen Glasbau mit Blick auf den Fluss Huangpu, der zwischen der futuristischen Skyline des Finanzbezirks entlang mäandert. Präsentiert wird der ID.6, ein etwa fünf Meter langer batteriebetriebener SUV mit etwa 500 Kilometern Reichweite. Der 58-jährige Manager gibt zu, dass man den Transformationsprozess verschlafen habe, doch nun wolle man mit Milliardeninvestitionen im zweistelligen Bereich für die nächsten Jahre Vollgas geben. In zwei bis drei Jahren, so Wöllenstein, werde man Tesla, den bisherigen Markführer in China, eingeholt haben.
Wie überhitzt die chinesische E-Mobilitäts-Branche ist, zeigt sich auch am Beispiel Evergrande NEV: Die Autosparte des Immobilienimperiums aus Shenzhen hat im vergangenen Jahr an der Hongkonger Börse eine Wertsteigerung von über 1000 Prozent hingelegt. Mit 87 Milliarden Dollar ist das Unternehmen mehr wert als etwa Ford - obwohl es noch kein einziges Auto verkauft hat. Doch in China mit seinem konsumfreudigen Markt von 1,4 Milliarden Menschen reichen bloße Wetten auf die Zukunft, um die Anleger vom großen Geld träumen zu lassen.
Und doch schwebt eine drohende Halbleiterkrise wie ein Damoklesschwert über der Autobranche. Spätestens im zweiten Quartal dieses Jahres werden die Autohersteller die globalen Lieferengpässe an Computerchips zu spüren bekommen. Mehrere hunderttausend Autos werden dann wohl nicht fertig gebaut werden können, weil im Zuge der Lockdowns die Nachfrage an Halbleitern über alle Maße gestiegen ist.
Doch für ausländische Unternehmen wie Volkswagen hängt jede Zukunftsvision immer auch von der Gunst der chinesischen Regierung ab. Inmitten angespannter Beziehungen drohen sie zunehmend in die Schusslinie geopolitischer Konflikte zu geraten, wie der jüngste Boykott von H & M zeigt: Die schwedische Modekette hat den staatlich angefeuerten Zorn chinesischer Konsumenten auf sich gezogen, nachdem sie wegen möglicher Zwangsarbeit keine Baumwolle mehr aus der Region Xinjiang bezieht - jener Provinz also, wo nicht nur Hunderttausende Uiguren in Straflagern sitzen, sondern auch VW eine Fabrik betreibt.
»Wir können ausschließen, dass es bei uns zu Zwangsarbeit kommt, weil wir sämtliche Mitarbeiter direkt anstellen«, beteuert Wöllenstein. Das mag stimmen. Und doch machen es sich Unternehmen wie VW zu einfach, wenn sie ein unrentables Werk in der westchinesischen Wüste als rein betriebswirtschaftliches Thema abtun. In China vollführen ausländische Unternehmen einen Drahtseilakt - nicht Stellung beziehen zu müssen zwischen der Volksrepublik und dem Westen, wird indes immer schwieriger.
»Wir versuchen in unseren Entscheidungen so frei wie möglich zu sein«, sagt VW-Chef Wöllenstein. Doch für seine Branche scheint die Entscheidung im Zweifelsfall bereits getroffen: Wer Autos baue, der könne es sich nicht leisten, auf China zu verzichten.
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