Schwerbehinderte Bewerber sind zum Gespräch einzuladen
wie arbeitsgerichte über diskriminierung und beleidigung urteilen
Dies gilt selbst dann, wenn eine Stellenbewerberin eine Einladung zum Vorstellungsgespräch nur dann für sinnvoll erachtet, wenn sie in die engere Auswahl kommt, wie das Bundesarbeitsgericht (Az. 8 AZR 59/20) entschied. Die Erfurter Richter sprachen damit einer schwerbehinderten Frau wegen einer unterbliebenen Einladung eine Diskriminierungsentschädigung in Höhe von 3581 Euro zu.
Die Frau hatte sich im November 2017 auf eine Sachbearbeiterinnenstelle in einem Jugendamt beworben und in ihrem Schreiben erklärt, dass sie sich auf ein persönliches Gespräch freue. Sie wies auf ihre Schwerbehinderung hin, ohne allerdings den Grad der Behinderung zu nennen. Außerdem schrieb sie: »Bitte laden Sie mich nur dann zu einem Vorstellungsgespräch ein, wenn Sie mich in die engere Wahl nehmen, alles andere macht meines Erachtens wenig Sinn.«
Als die Frau ohne Einladung eine Absage erhielt, fühlte sie sich wegen ihrer Behinderung diskriminiert. Sie habe in dem Bewerbungsschreiben keinen Verzicht zur Einladung zum Bewerbungsgespräch erklärt.
Laut BAG sei die unterbliebene Einladung ein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Öffentliche Arbeitgeber seien verpflichtet, fachlich geeignete schwerbehinderte Bewerber zum Bewerbungsgespräch einzuladen. Ein Verzicht auf die Einladungspflicht - auch gegebenenfalls von einem Stellenbewerber vorgebracht - sei nicht möglich. Hier habe die Stellenbewerberin in ihrem Bewerbungsschreiben zum Ausdruck gebracht, sehr gerne zum persönlichen Gespräch eingeladen zu werden, auch wenn sie dies später nur im Fall einer engeren Auswahl wünschte. Ein Verzicht auf das Gespräch sei dies aber nicht.
Schließlich habe die Klägerin in ihrem Bewerbungsschreiben auch nicht ihren Grad der Behinderung dem Arbeitgeber mitteilen oder ihm eine Kopie ihres Schwerbehindertenausweises übersenden müssen. Es reiche allein die Mitteilung über das Bestehen einer Schwerbehinderung aus, so das Bundesarbeitsgericht. epd/nd
Kündigung wegen rassistischer Äußerungen gerechtfertigt
Ein schwerbehinderter Facharbeiter beleidigte einen türkischen Mitarbeiter von einer Fremdfirma. Auf diesen Vorfall hin erhielt der Mann die Kündigung.
Die Kündigung des 55-jährigen schwerbehinderten Facharbeiters wegen rassistischer Äußerungen ist nach Auffassung des nordrhein-westfälischen Landesarbeitsgerichts in Düsseldorf gerechtfertigt. Eine Klage, die der Mann gegen seine Entlassung einreichen wollte, hatte das Gericht abgewiesen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei »sozial gerechtfertigt« gewesen, begründete die Kammer ihre Entscheidung.
Der Beschuldigte - ein zu 50 Prozent schwerbehinderter Facharbeiter - war seit 1981 bei einem Unternehmen der chemischen Industrie beschäftigt gewesen. Ihm wurde im Mai vergangenen Jahres gekündigt, weil der Konzern dem Mann »schwere rassistische und beleidigende Äußerungen« gegenüber türkischstämmigen Mitarbeitern einer Fremdfirma vorwarf. Der beschuldigte Mann bestritt die Äußerungen und ging daraufhin gerichtlich gegen die Kündigung vor.
Nach Angaben des Gerichts ergab die Beweisaufnahme, dass der 55-Jährige auf die Frage eines Kollegen, was er zu Weihnachten bekommen habe, unter anderem gesagt haben soll: »Ich habe mir eine Gaskammer gewünscht, diese aber nicht erhalten.«
Bereits zuvor soll der Facharbeiter andere Personen mit rassistischen Ausdrücken beleidigt haben. Die Betroffenen hätten sich nicht beschwert, weil der Kläger sich wegen seiner Behinderung als »unantastbar« und »unkündbar« geriert habe.
Angesichts der Schwere des Fehlverhaltens sei eine Abmahnung vor der Kündigung »unzumutbar« gewesen, urteilte das Landesarbeitsgericht. Zudem habe es sich nicht um einen einmaligen Vorfall gehandelt. Sowohl der Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertretung seien ordnungsgemäß am Kündigungsprozess beteiligt gewesen.
Die Revision gegen das Urteil ließ das zuständige Landesarbeitsgericht nicht zu. AFP/nd
Kliniken müssen Hintergrunddienst nicht wie Bereitschaft vergüten
Klinikarbeitgeber müssen nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts Ärztinnen und Ärzten einen sogenannten Hintergrunddienst nicht wie einen Bereitschaftsdienst vergüten.
Macht der Arbeitgeber für den außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit geleisteten Hintergrunddienst keine Vorgaben, wo sich der Beschäftigte aufzuhalten hat, könne dieser regelmäßig nicht die tariflich vorgesehene höhere Vergütung für Bereitschaftsdienste verlangen. So urteilte am 24. März 2021 das Bundesarbeitsgericht (Az. 6 AZR 264/20).
Im konkreten Fall hatte ein Oberarzt eines Uniklinikums knapp 40 000 Euro als Lohnnachschlag für seine Hintergrunddienste verlangt, die als Bereitschaftsdienste vergütet werden müssten. Nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken kann ein Arbeitgeber außerhalb der normalen Arbeitszeit Bereitschaftsdienste anordnen. Dabei werden dem Beschäftigten Vorgaben gemacht, wo er sich örtlich aufhalten muss.
Hierzu hatte der Oberarzt zwar keine Vorgaben erhalten. Er machte jedoch geltend, dass er zeitlich bei seinen Hintergrunddienst sehr eingespannt sei. Faktisch führe dies dazu, dass er in der Nähe der Klinik bleiben müsse und nicht frei über seinen Aufenthaltsort bestimmen könne. epd/nd
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