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»Kuba könnte grundsätzlich China und Vietnam folgen«
Der Wirtschaftswissenschaftler Carmelo Mesa-Lago vermisst die Umsetzung der tiefgreifenden Strukturreformen in der Ära von Raúl Castro
Was bedeutet der Abtritt Raúl Castros?
Zum ersten Mal seit der Revolution 1959 wird keiner der Brüder Castro an der Macht sein. Auch andere Vertreter der historischen Garde, die ein ähnliches Alter haben, wie (der 90-Jährige, Anm. d. Red.) Ramón Machado Ventura, treten ab. Damit vollzieht sich zum ersten Mal in realer Form ein Generationenwechsel an der Führungsspitze der Partei. In der Regierung hat dieser bereits stattgefunden.
Wie sieht die Bilanz Raúl Castros aus?
Eine positive und sehr wichtige Sache ist, dass er mit den strukturellen Reformen begonnen hat, die absolut notwendig waren und in die richtige Richtung gingen. Aber sie waren nicht tiefgreifend und schnell genug; es gab zu viele Hindernisse und fehlende Anreize. Das hat zunächst zu einer Stagnation der Wirtschaft im Jahr 2019 geführt und zu einem Rückgang um elf Prozent im Jahr 2020 (im Corona-Jahr, Anm. d. Red.) – der größte Wirtschaftseinbruch seit der Spezialperiode Anfang der Neunziger.
Wie beurteilen Sie die bisherige Regierungsführung des Präsidenten Miguel Díaz-Canel?
Das Wichtigste war natürlich die Währungsneuordnung, also die Zusammenführung des kubanischen Pesos (CUP) und des konvertiblen Pesos (CUC). Eine andere Maßnahme ist die Beseitigung von Beschränkungen für die Ausübung von Tätigkeiten auf eigene Rechnung. Eine wichtige Aufgabe bleibt, ein Gesetz zu erlassen, das kleine und mittlere Unternehmen reguliert. Das wird seit Jahren diskutiert und ist grundlegend für das Funktionieren des Privatsektors.
Funktioniert die Währungsneuordnung?
Die Währungszusammenführung für sich allein löst die wirtschaftlichen Probleme Kubas nicht. Nötig sind tief greifende Strukturreformen, die Raúl nicht gemacht hat oder nicht machen konnte – angefangen bei Reformen in der Landwirtschaft, das von mir angesprochene Unternehmensgesetz, Veränderungen im Gesetz zu ausländischen Investitionen. Nötig ist eine generelle Preisreform, vor allem angesichts der Inflation. Das britische Forschungsinstitut Economist Intelligence Unit prognostiziert für dieses Jahr einen Preisauftrieb von 500 Prozent. Die Inflation übersteigt bei Weitem die Anhebung der Löhne und Renten, und das muss angegangen werden.
Die von Ihnen erwähnte Inflation, Corona-Pandemie, Einbruch des Tourismus, Neujustierung des Verhältnisses zu den USA – Kuba steht vor vielfältigen Herausforderungen. Worauf wird es ankommen?
Kuba befindet sich in seiner schwersten Krise seit der Spezialperiode. Im vergangenen Jahr sind die Einnahmen aus dem Tourismus um 64 Prozent zurückgegangen, die Auslandsüberweisungen um 37 Prozent, der Export von Dienstleistungen um 16 Prozent. Das Haushaltsdefizit hat sich erhöht. Die Zahlen stammen vom früheren kubanischen Wirtschaftsminister José Luis Rodríguez (1995-2009, aktuell Vizepräsident des Exekutivkomitees des Ministerrates, Anm. d. Red.).
Kuba konnte nach mehreren Jahren erstmals seine Schulden gegenüber dem Pariser Club (Zusammenschluss von Gläubigerländern, Anm. d. Red.) nicht mehr bedienen und sieht sich zudem Forderungen internationaler Banken wegen Zahlungsrückständen von mehr als zwei Milliarden US-Dollar gegenüber. Es gibt also eine sehr, sehr angespannte Situation. Das verlangt dringend nach starken, konkreten Maßnahmen, die diese Probleme angehen …
Welche konkreten Maßnahmen könnten das sein?
Da wäre zunächst die Landwirtschaft. Kuba ist mit einem Mangel an Nahrungsmitteln konfrontiert, ähnlich wie in den 90er Jahren. Das Land importiert rund zwei Drittel seiner Lebensmittel; die Landwirtschaft ist im vergangenen Jahr um zwölf Prozent geschrumpft. Die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen, ist essenziell. Dafür muss das System der Produktion und Verteilung komplett reformiert werden. Kuba könnte grundsätzlich den Beispielen China und Vietnam folgen. Es gab drei Maßnahmen, die in diesen beiden Ländern ergriffen wurden. Erstens, es den landwirtschaftlichen Akteuren – auf Kuba übertragen wären das Kleinbauern, Kooperativen, Landpächter – zu überlassen, was angebaut wird, an wen verkauft wird und zu welchem Preis. Das impliziert, die Monopolstellung des staatlichen Abnehmers Acopio (an den festgelegte Lieferquoten zu festgelegten Preisen verkauft werden müssen, Anm. d. Red.) zu beenden. Sowohl China als auch Vietnam haben das getan – und das hat dazu geführt, dass sich beide Länder heute selbst mit Lebensmitteln versorgen können. Zweitens, der nicht-staatliche Sektor muss ausgeweitet werden. Es ist der dynamischste Sektor – sowohl in China als auch Vietnam. Der Markt kann nicht ignoriert werden. Drittens, das Unternehmensgesetz muss erlassen werden, denn es ist entscheidend, um Garantien und Anreize für den Sektor kleiner und mittlerer Unternehmen zu schaffen.
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