Wird der Tschad zu einem zweiten Libyen?

Langzeitpräsident Idriss Déby stirbt bei Kämpfen gegen FACT-Rebellen, die aus Libyen eingedrungen sind

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einer äußerst knappen Meldung versetzte die Armeeführung des Tschad die gesamte Sahel-Region in Schockstarre: Der seit 30 Jahren regierende Präsident Idriss Déby ist tot. Bei Kämpfen in der Stadt Mao, rund 280 Kilometer nördlich der Hauptstadt N‘Djamena, war der 68- Jährige am Sonntag verwundet worden und starb am Dienstag in einem Krankenhaus im benachbarten Kamerun.

Zehn Tage nach der Präsidentschaftswahl hatte das oberste Gericht Idriss Déby am Montag zum Sieger erklärt. Mit 79,3 Prozent der Stimmen hätte der 68-Jährige damit seine sechste Amtszeit angetreten. Mehrere Vertreter von Oppositionsgruppen weigerten sich, die Ergebnisse anzuerkennen. »Die offiziellen Zahlen widersprechen den Angaben unserer Wahlbeobachter«, sagte Brice Mbaimon Guedmbaye, der Kandidat der Bewegung tschadischer Patrioten (MPTR).

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Die vor drei Jahren beschlossene neue Verfassung des 16-Millionen-Einwohner-Landes erlaubte Déby zwei weitere sechsjährige Amtszeiten. Doch die Macht des jahrelangen Verbündeten der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich war bereits vor der Verkündung der Ergebnisse in Gefahr.

Wie aus dem Nichts näherte sich seit einer Woche die Rebellengruppe »Front für Wandel und Eintracht im Tschad« (FACT) N‘Djamena. Ihre Kämpfer waren noch im vergangenen Jahr in der Nähe der 3000 Kilometer entfernten libyschen Hauptstadt Tripolis im Einsatz. Die FACT liefert sich weiter heftige Kämpfe mit der Regierungsarmee. Da die Offiziere der Armee auf den Präsidenten und nicht aufs Land eingeschworen sind und fast alle der ethnischen Gruppe der Zaghawa angehören, musste Déby selbst zu den Waffen greifen. Ohne seinen persönlichen Einsatz hätte er kaum auf seine politisch gespaltene Armee setzen können. Das seit 30 Jahren auf ihn zugeschnittene System ist Déby nun zum Verhängnis geworden.

Nun soll sein ältester Sohn Mohamed Kaka für acht Monate einen Militärrat anführen und bis zu Neuwahlen einen nationalen Dialog führen, hieß es im Staatsfernsehen. Kaka hatte das Kommando über die in Mali gegen Islamisten eingesetzten tschadischen Truppen der G-5-Allianz, mit der Frankreich die Auflösung staatlicher Strukturen in der Region verhindern will.

Doch die FACT-Rebellen werden sich kaum aufhalten lassen. Mithilfe weiterer im libysch-tschadischen Grenzgebiet stationierter Rebellengruppen könnten sie für die Armee eine Gefahr werden. Auf über 400 Toyota Pick-ups und ausgerüstet mit modernen Panzerabwehrraketen waren die Tobu - wie die Tuareg eine der 200 ethnischen Gruppen im Tschad - aus Zentrallibyen in das südliche Nachbarland marschiert. Am Wahltag überquerte die auf mehr als 3000 Mann geschätzte Kolonne die Grenze.

Zwei Mal hatte die französische Armee in den letzten Jahren den Versuch der Machtübernahme durch Rebellen verhindert. Wie beim letzten Rebellenangriff aus dem Norden stiegen die bei N‘Djamena stationierten Rafaele-Kampfflugzeuge auf. Dennoch gelang es der FACT, mehr als 2000 Kilometer durch die wüstenartige Landschaft bis nach Mao vorzudringen. In der von den Tobu bewohnten Gegend wollen FACT-Kommandeure weitere Kämpfer rekrutieren. Ein Bewohner aus Mao berichtet, dass es der Regierungsarmee nicht gelungen ist, die Rebellen zurückzuschlagen. Dagegen meldete das Staatsfernsehen, 300 FACT Kämpfer seien ums Leben gekommen. Das Mediencenter der Tobu vermeldet hingegen den Tod mehrerer hochrangiger Armeeoffiziere.

Die US-Botschaft im Tschad schickte am Montag alle Mitarbeiter bis auf ein Kernteam außer Landes. Mohammed Hassan, ein in London lebender Tschader, sprach am Montag mit Regierungsmitarbeitern. Sie berichten von Panzern auf den Straßen N'Djamenas und nervösen Sicherheitskräften. »Wer es sich leisten kann, macht sich auf den Weg an die Grenze«, so ein Regierungsangestellter.

Ein Machtvakuum im Tschad würde auch die Lage in den Nachbarländern destabilisieren. Vor ihrem Einmarsch hatte die FACT in Libyen auf der Seite des Warlords Khalifa Haftar gekämpft. Der Feldmarschall musste trotz französischer und russischer Militärhilfe Ende letzten Jahres die Belagerung der libyschen Hauptstadt abbrechen. Nach der Ausbildung von russischen Militärexperten mit an Haftar gelieferten Waffen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ist unklar, mit wem sich die FACT-Truppen taktisch absprechen: Frankreich oder Russland.

Die Opposition in dem Land der 200 Volksgruppen wollte schon vor dem Tod Débys mit den Rebellen verhandeln, doch alle gegen den Déby-Clan antretenden Gruppen sind ethnisch zersplittert. »Dem Tschad droht ein Libyen Szenario«, sagt der politische Analyst Younis Issa aus der libysch-tschadischen Grenzregion.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.