- Wirtschaft und Umwelt
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Union legt Olaf Scholz Rücktritt nahe
Der Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal wird zum Kampf zwischen CDU und SPD
Im Hinblick auf die Bundestagswahl im September wird der Wirecard-Untersuchungsausschuss in dieser entscheidenden Woche zum Kampfplatz zwischen CDU und SPD. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) mussten dem Untersuchungsausschuss des Bundestages bereits Antworten geben. Am Donnerstag folgt Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, am Freitag dann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Das Start-up Wirecard war 1999 in München von mehreren Finanziers gegründet worden. 2002 wurde der heute inhaftierte Markus Braun Vorstandsvorsitzender. Das Unternehmen begann als Zahlungsdienstleister für Glücksspiele und Pornografie im Internet. Daher spielte der Firmenname auch auf die Verbindung zwischen Kreditkarte und Internet an. 2008 führte Wirecard international virtuelle Prepaid-Kreditkarten für Onlinezahlungen ein - der scheinbar rasante Aufstieg als globaler Zahlungsdienstleister begann. Hilfreich war ein Netzwerk aus Promis, wie dem früheren »Bild«-Boss Kai Diekmann oder dem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Doch selbst in der Spitze beschäftigte Wirecard gerade mal etwa 5000 Menschen. Es dürfte damit das kleinste Dax-Unternehmen aller Zeiten gewesen sein.
»Wäre es nach der Bundesregierung gegangen, dann hätte es ihn nie gegeben: den Wirecard-Untersuchungsausschuss«, schreibt das »Handelsblatt«. Tatsächlich hat er Licht in viele dunkle Ecken des untergegangenen Zahlungsdienstleisters gebracht. Finanzministerium und Kanzleramt setzten sich für den Konzern, der sich als digitales Technikwunder auf Augenhöhe mit Alipay und Google präsentierte, sogar in China ein. Finanzaufsicht und Geldwäschekontrolle, welche beide Finanzminister Scholz unterstehen, tappten trotz früher Hinweise auf dubiose Finanztransaktionen lange im Dunkeln. Die Union legte Scholz daher vergangene Woche den Rücktritt nahe.
Wirtschaftsminister Altmaier wies am Dienstag eine Mitverantwortung von sich. Seine Partei lenkt den Blick lieber auf Finanzminister Scholz. Der frühere Hamburger Bürgermeister steht auch in der Hansestadt am Pranger: Ende April soll er vor dem CumEx-Ausschuss in der Bürgerschaft aussagen. Es geht um den möglichen Einfluss führender SPD-Politiker auf die steuerliche Behandlung der alteingesessenen Warburg Bank, die sich in dubiose Aktiengeschäfte verstrickt hatte. Im Unterschied zu anderen Bundestagsausschüssen hat dieser erhebliche Folgen. Im Ergebnis wird sich die Spitze der Finanzaufsicht Bafin verabschieden, die Aufsicht der Wirtschaftsprüfer (Apas) musste gehen und der Abschlussprüfer EY versetzte seinen Deutschland-Chef.
Auf EY wirft der Bericht des Sonderermittlers ein äußerst schlechtes Licht. Die globalen Abschlussprüfer scheinen offensichtlichen Hinweisen nicht nachgegangen zu sein. Diese Schlussfolgerung hat Gewicht: Der Bundestag hatte Martin Wambach als Sonderermittler eingesetzt. Wambach ist geschäftsführender Partner von Rödl & Partner, einer großen internationalen Prüfungs- und Beratungsgesellschaft aus Nürnberg, also quasi ein Kollege von EY (früher Ernst & Young).
Seinem Bericht zufolge haben die Wirtschaftsprüfer von EY nachlässig gearbeitet und ihre Pflichten teilweise verletzt. Für die SPD ist Wirecard daher vor allem ein Wirtschaftsprüferskandal. Mehr als zehn Jahre habe die Gesellschaft die Bilanzen testiert. Wenn am Ende 1,9 Milliarden Euro in den Büchern fehlten, könne bei der Prüfung nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein, sagte SPD-Obmann Jens Zimmermann. Minister Altmaier habe Reformen bei der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas blockiert, die für EY zuständig ist. Der Minister sagte nun im Ausschuss, er arbeite an schärferen Regeln für die Aufsicht.
Die Politik reagiert also wie auf jeden Skandal: Es wird eine Verschärfung von Gesetzen angekündigt, Sündenböcke aus der zweiten Reihe werden entlassen. Ob die Regierung auch dieses Mal mit ihrer Symbolpolitik davonkommt, bleibt abzuwarten. Das hängt auch von der Antwort auf die Frage ab, ob »geniale Betrüger« am Werk waren, wie Felix Holtermann in seinem Wirecard-Buch vermutet.
So fiel die Staatsanwaltschaft München offenbar auf eine dubiose Erpressungsstory herein, die ihr der inzwischen flüchtige Finanzchef Jan Marsalek auftischte, dem Geheimdienstkontakte nachgesagt werden. Oder ob das Wirtschaftssystem schuld am x-ten Bilanzskandal ist? Die Antwort liegt noch im Auge des Betrachters. Die Augen zugedrückt haben angesichts fantastischer Wachstumsraten von Wirecard jedenfalls nicht allein Politik, Bafin und EY. Großbanken gaben Millionenkredite, Investoren investierten in die »Wachstumsstory« und die Deutsche Börse öffnete ihren Leitindex Dax. Opfer sind häufig auch Täter.
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