Wie weit rechts darf's sein?

Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni geht die Angst um, dass der Einfluss der AfD wächst

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Platz von Reiner Haseloff im Magdeburger Landtagsgebäude blieb unbesetzt. Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt fehlte, als die Mitglieder des Landtags in dieser Woche zur letzten Sitzungsreihe der Legislaturperiode vor der Wahl am 6. Juni zusammenkamen. Haseloff, der zwischen Magdeburg und Halle seit fünf Jahren eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen leitet, befand sich zu Beginn der Woche zunächst in einer vorsorglichen häuslichen Quarantäne, weil in seinem erweiterten Umfeld zwei Coronafälle vermutet wurden. Am Donnerstag fuhr er dann – negativ getestet – nach Berlin, um sich in der Sitzung des Bundesrats mit dem zuvor im Bundestag beschlossenen neuen Infektionsschutzgesetz zu befassen.

Nachdem bereits größere Teile der CDU-Landesgruppe – entgegen der Mehrheit der Union – dem Gesetz im Parlament die Zustimmung verweigert hatten, rebellierte nun auch Haseloff und bezeichnete die sogenannte »Bundes-Notbremse« als »Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik Deutschland«.

Dass nun ausgerechnet der Chef jenes Bündnisses, das aufgrund divergierender Weltbilder der Koalitionäre nicht immer harmonisch agierte und zuweilen sogar vor dem Zerfall stand, gleich doppelt entschuldigt fehlte, passte durchaus ins Bild. Schließlich drängte sich in der ablaufenden Legislaturperiode nicht nur einmal der Eindruck auf, als zeige Haseloff, der die Kenia-Koalition nur mit Mühe und Not zusammenhalten konnte, gegenüber seiner dann und wann auf recht sonderbare Pfade ausscherende CDU-Fraktion zu wenig Präsenz.

Ein zentraler Streitpunkt, der die Koalition nicht nur einmal an den Rand des Scheiterns brachte: der Umgang mit der AfD, die bei der Landtagswahl 2016 aus dem Stand 24,3 Prozent geholt hatte. Jüngst verdeutlicht durch die Debatte um den neuen Rundfunkstaatsvertrag: Nur der Rückzug des Papiers verhinderte eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD, die beide gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags votieren wollten. Nun steht Sachsen-Anhalt einmal mehr vor der Frage, ob sich nach der Wahl eine demokratische Koalition bildet – oder, ob das befürchtete Szenario einer schwarz-blauen Zusammenarbeit tatsächlich eintreten könnte.

Am Mittwoch war es ausgerechnet jene seit Anfang März vom Verfassungsschutz als »Verdachtsfall« beobachtete AfD, die unter dem Titel »Verlorene Jahre« eine Bilanzierung der Kenia-Koalition beantragt hatte. Und: die mit dem aufbrausenden Fraktionschef Oliver Kirchner und dem eher ruhig vortragenden Parlamentarischen Geschäftsführer Robert Farle gleich zwei Redner in die Arena schickte – vermutlich, um ihre Fans in den Sozialen Netzwerken mit genügend Material versorgen zu können.

Die Koalitionsfraktionen waren derweil um Differenzierung bemüht. »Es ist kein Geheimnis, dass die Kenia-Koalition keine Liebeshochzeit war, sondern ein Zweckbündnis. Das war nicht immer einfach«, sagte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt und nannte die vergangenen fünf Jahre einen »Drahtseilakt«. Die Koalition habe »allen Beteiligten Rekordleistungen im Krötenschlucken und im Über-den-eigenen-Schatten-Springen abverlangt«, ergänzte die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle. Deutliche Kritik an der CDU kam von Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann: »Die Anlässe waren nicht trivial«, sagte sie und zählte auf: »unsicheres Abstimmungsverhalten der CDU nach rechts«, die viel beachtete Denkschrift der CDU-Fraktionäre Lars-Jörn Zimmer und Ulrich Thomas sowie »bundesweit peinliche Diskussionen um und in Teilen die Abkehr vom öffentlich rechtlichen Rundfunk«.

Insbesondere die Abgeordneten Zimmer und Thomas, die in ihrer Denkschrift »das Soziale mit dem Nationalen« zu versöhnen forderten, hatten die Liebäugelei von Teilen der CDU-Fraktion mit der extremen Rechten offenbart. In diesem Zusammenhang teilte dann auch Linken-Spitzenkandidatin Eva von Angern ordentlich aus, und zwar direkt gegen den abwesenden Ministerpräsidenten: Dieser habe sich »am Ansehen unseres Landes vergangen, indem er für eine politische Kultur gesorgt hat, für die man sich nur schämen kann. AfD-freundliches Verhalten wurde geduldet.«

Welche Problematik eine AfD-nahe Politik mit sich bringt, zeigte eine spätere Debatte über den Bericht des Untersuchungsausschusses zum rechtsextremen Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019. Damals hatte ein Attentäter aus Sachsen-Anhalt versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in die Synagoge in Halle einzudringen und ein Blutbad anzurichten. Nachdem er an der Tür gescheitert war, tötete er zwei Menschen. Der Bericht, der vergangene Woche veröffentlicht wurde, zeigt eine falsche Gefahreneinschätzung der Sicherheitsbehörden und Fehler der Polizei im Umgang mit Betroffenen. Was er nicht zeigt: die Motivation des Täters. Das war nämlich nicht der Untersuchungsauftrag des ausgerechnet von der AfD eingesetzten Ausschusses. Und genau das kritisierte die Linken-Obfrau Henriette Quade, als sie in ihrem Redebeitrag den großen Bogen spannte vom gewalttätigen Rechtsextremismus zur AfD über »ideologische Gemeinsamkeiten« – konkret: über die Ideologie des »Großen Austausches«, also der Falschbehauptung, die weiße Bevölkerung werde zunehmend durch Zuwanderer ersetzt. Auch der Ausschussvorsitzende Sebastian Striegel nutzte seine fünf Minuten Redezeit, um die AfD zu zerrupfen: »Der immer wieder vorkommende Versuch der AfD, sich von Antisemitismus und Rassismus freisprechen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Sie geben dem Attentäter mit Ihrem Handeln die Rechtfertigung für das, was er getan hat. Das Brandstiften mit Worten muss aufhören.«

Lesen Sie auch: Teile der CDU wollten nach rechtsaußen ausbrechen. Sebastian Striege , Ko-Landeschef der Grünen, sorgt sich kurz vor der Wahl um die Verlässlichkeit der Christdemokraten.

Bei der Wahl am 6. Juni geht es also darum, ob eine solche Ideologie noch mehr Einfluss gewinnt – nicht nur auf das Parlament, sondern auch auf die Regierung. Darauf machten auch die Aktivisten des Bündnisses »Unteilbar Sachsen-Anhalt« aufmerksam, die am Donnerstag vor dem Landtag eine symbolische »Rote Linie« zogen.

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