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Hindu-Pracht im Ruhrgebiet
Die Lage ist ebenso ungewöhnlich wie die Einrichtung selbst: Inmitten eines Gewerbegebietes in Hamm-Uentrop sorgt in Sichtweite des Datteln-Hamm-Kanals ein hinduistischer Tempel für asiatisches Flair
Die Gläubigen verbeugen sich beim Betreten des Tempels mit zusammengefalteten Händen, um den Göttern Respekt und Dank zu erweisen. Mit dem tamilischen Gruß »Vanakkam« heißt Siva Sri Arumugam Paskarankurukkal die Gäste im Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel, einem der wohl ungewöhnlichsten Bauten im westfälischen Hamm, willkommen. In dem prachtvollen Tempel residieren verschiedene Gottheiten. Es riecht nach fremdartigen Gewürzen und frischen Früchten. Ein für die meisten Europäer wohl völlig unverständlicher Sprechgesang des Priesters erklingt und lädt gleichzeitig dazu ein, am Rande des Ruhrgebiets in eine völlig unbekannte Welt abzutauchen.
Gäste sind im Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel jederzeit - auch während der aktuellen Corona-Pandemie - willkommen, sofern sie denn einige simple Grundregeln befolgen: So ist das Tragen von Schuhen untersagt, Handys müssen ausgeschaltet sein. Zudem darf weder geraucht, noch Fleisch verzehrt oder Alkohol getrunken werden. Auch Haustiere müssen draußen bleiben. Ferner dürfen Frauen während ihrer Periode aus religiösen Gründen den Tempel nicht betreten. Ansonsten gibt es keinerlei Einschränkungen, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass das Betreten der Schreine der Gottheiten allein den Priestern vorbehalten ist. Ansonsten müssen Besucher Corona-konform natürlich Abstand halten und Masken tragen.
Die Geschichte des zweitgrößten hinduistischen Tempels in Europa (nach dem Londoner Neasden-Tempel) ist eng mit der Flucht von Zehntausenden Angehörigen der tamilischen Minderheit aus ihrer Heimat Sri Lanka und speziell mit der Person Siva Sri Arumugam Paskarankurukkals verbunden. Der Priester war 1985, wie unzählige seiner tamilischen Landsleute, vor dem damals herrschenden, erbitterten Bürgerkrieg aus Sri Lanka geflohen. Auf Umwegen fand der Priester in die westfälische Provinz. In einem Asylbewerberheim in Hamm organisierte er erste Andachten.
Fern der Heimat zogen die »Pujas«, wie die religiösen Zeremonien heißen, immer mehr Hindus in ihren Bann. Schnell drohten die Räumlichkeiten aus allen Nähten zu platzen. Aus der Not eine Tugend machend, richtete Siva Sri Arumugam Paskarankurukkal im Keller eines Wohnhauses einen ersten provisorischen Tempel ein. Als auch dieser zu klein wurde, erfolgte der Umzug in die Räumlichkeiten einer Wäscherei. Doch in der dortigen Nachbarschaft stießen die religiösen, oftmals auch lauten Zeremonien auf wenig Verständnis. So reifte die Idee, einen eigenen Tempel nach der Vorlage und im Stil des Kamakshi-Tempels im südindischen Kanchipuram zu errichten.
Als Architekt wurde der Hammer Heinz-Rainer Eichhorst mit einer für unsere Breiten eher ungewöhnlichen Methode auserkoren: Mit geschlossenen Augen hatte Siva Sri Arumugam Paskarankurukkal im Branchenverzeichnis geblättert und war mit dem Finger auf dem Namen Eichhorst gelandet. Der Architekt nahm die Herausforderung an und versuchte den Spagat zwischen deutschen Bauvorschriften und hinduistischer Tempelsymbolik bestmöglich zu meistern.
Rund 1,7 Millionen Euro Spendengelder flossen in den Bau des 27 mal 27 Meter großen Tempels. Allein das Tempelportal, Gopuram genannt, ist 17 Meter hoch. Der Gebäudekomplex ist nach strengen rituellen Vorgaben nach Osten auf die aufgehende Sonne ausgerichtet. Im Inneren des gut 700 Quadratmeter großen Baus sind die Granitstatue der namensgebenden Göttin, verschiedene Schreine sowie über 200 weitere Figuren von Gottheiten zu finden. Sri Kamadchi Ampal bedeutet aus dem Sanskrit abgeleitet etwa so viel wie, »die, die Wünsche von den Augen abliest«.
Besonders groß ist die Verehrung für Adi Shankara, auch als Aathisangara bekannt. Der Guru, der im 8./9. Jahrhundert lebte, soll 72 religiöse Richtungen zusammengeführt haben. Sein zentrales Credo mit Blick auf die Weltseele Brahman hieß: »Es gibt nur einen Gott. Jeder kann auf seine Art die Gottheit anbeten.« Eine Haltung, die den Gläubigen viele Wege öffnete und Spielraum für alle Glaubensrichtungen bot. Entsprechend groß ist bis heute die Hochachtung für Adi Shankara, dem eine Skulptur im Hauptschrein des Hammer Tempels gewidmet ist. Auch ein Wandbild des Gurus ist hier zu finden. Seit wenigen Tagen steht auf dem Vorplatz des Tempels zudem ein drei Meter großer Schrein, der Adi Shankara gewidmet ist, und der am 17. Mai, dem Geburtstag des großen Lehrers, offiziell eingeweiht werden soll.
Die Hinduistische Gemeinde in Deutschland zählt gut 6000 Mitglieder. Sie versteht sich als Vereinigung aller in Deutschland praktizierten, hinduistischen Richtungen mit dem Tempel im Hammer Stadtteil Uentrop als zentraler Begegnungsstätte. Die Lage des Tempels unweit des Datteln-Hamm-Kanals wurde bewusst gewählt. In dem künstlichen Gewässer wird das Bildnis der Göttin Kamadchi zum Abschluss des jährlichen Tempelfestes gewaschen. Das zweiwöchige Fest, zu dem mehrere Zehntausend Hindus nach Hamm pilgern, findet in diesem Jahr zwischen dem 28. Juni und 11. Juli 2021 statt - sofern es die aktuelle Corona-Pandemie zulässt.
Auch für Nichtgläubige ist der Besuch des Tempelfestes ein faszinierendes Erlebnis, insbesondere die abschließende Prozession zum Kanal. Gläubige rollen sich dann auf der Straße, Frauen in traditionellen Saris tragen brennende Opferschalen auf dem Kopf und Männer mit Spießen durch Mund und Wangen tanzen sich in Trance und ziehen den Wagen der Göttin Kamadchi bei ihrer vier Kilometer langen Ausfahrt an Seilen um den Tempel herum.
Allerdings hatte schon 2020 Covid-19 massiven Einfluss auf die Traditionsveranstaltung. So waren zum eigentlichen Höhepunkt des Festes, der Prozession, gerade einmal 150 Gläubige zugelassen. Den Segen der Göttin bekamen weitere Gläubige im wahrsten Sinne des Wortes im Vorbeifahren. Ob und wie das Fest 2021 über die Bühne gehen wird, vermag angesichts der Pandemielage noch niemand abzuschätzen. Aber auch abseits der Feierlichkeiten lädt ein Abstecher nach Uentrop ganzjährig in eine ganz andere, überaus faszinierende Welt ein.
Tipps
Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel, Siegenbeckstr. 4-5, 59071 Hamm, Tel. 02388/302223, www.kamadchi-ampal.de und www.hinduistische-gemeinde-deutschland.com. Geöffnet täglich von 8 bis 13 Uhr sowie von 17 bis 19 Uhr. Gottesdienste finden täglich um 8 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr statt. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten.
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