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  • Geburtsstunde des »Neuen Deutschland«

Wahrheit und Mythos

Mit der Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands schlug die Geburtsstunde des »Neuen Deutschland«

  • Günter Benser
  • Lesedauer: 5 Min.

Als die Rotationsmaschine einer der wenigen noch funktionstüchtigen Druckereien in Ostberlin in der Nacht zum 23. April 1946 die erste Ausgabe der Zeitung »Neues Deutschland« ausspuckte und Postautos vorfuhren, um die ersten Exemplare auszufahren beziehungsweise zu Bahnhöfen zu transportieren zwecks Weiterverschickung in die noch vom Krieg gezeichneten Großstädte der sowjetischen Besatzungszone, war es geschehen - die Einheit der Arbeiterklasse vollbracht. So jedenfalls verkündete es das auf der Titelseite mit den Konterfeis von Karl Marx und Friedrich Engels werbende Organ der tags zuvor im Admiralspalast in der Friedrichstraße gegründeten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Wenngleich zeitgenössische Überhöhungen in der Bewertung dieses Vorgangs - des Vereinigungsprozesses von Kommunisten und Sozialdemokraten in den Wochen und Monaten zuvor sowie der Vereinigungsparteitag von KPD und SPD am 21./22. April 1946 - sowohl in diesem Blatt wie auch andernorts kritisch zu sehen sind, handelte es sich zweifelsfrei um eine herausragende, wirkmächtige Begebenheit in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung sowie der Nationalgeschichte.

In den dominierenden bundesdeutschen Medien ist dennoch - wenn überhaupt - wie eh je einseitig und Feindbilder bedienend von »Zwangsvereinigung« die Rede. Ohne die Frage zu stellen, wie sich in einer Bewegung, an der über eine Million Menschen mehr oder weniger bewusst und aktiv beteiligt waren, Überzeugung, Erfahrung, emotionale und rationale Erwägungen, Anpassung, Einschüchterung, Druck, Zwang und Widerstand zueinander verhalten haben: Ist es denkbar, dass eine Partei, der ein Jahr nach ihrer Gründung in der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin 14 Prozent der Einwohner über 14 Jahren angehörten - jeder vierte Industriearbeiter, jeder dritte Angestellte, jeder zehnte Bauer, jeder siebte Handwerker und Gewerbetreibende, jeder siebte Ingenieur oder Techniker und jeder dritte Lehrer - ihre Existenz ausschließlich oder in allererster Linie durch politischen Zwang bewerkstelligt hat?

Wissenschaftlich und auch gesellschaftspolitisch geboten, ist ein grundsätzliches Herangehen. Und da ist zunächst zu erörtern, inwieweit das Einheitsparteiprojekt seine historische Berechtigung besaß. Das war der Fall, allerdings nicht so historisch-gesetzmäßig, wie von den Verfechtern einer sozialistischen Einheitspartei seinerzeit gern propagiert. 1945/46 herrschte im antifaschistischen Lager weitgehend Übereinstimmung, dass die Zersplitterung und die gegenseitige Bekämpfung der Anti-Hitler-Kräfte entscheidend zur Machtergreifung der Faschisten beitragen hatten und dass die katastrophale Lage des deutschen Volkes nach der Zerschlagung ihres Tausendjährigen Reichs ein Zusammenwirken aller aufbaubereiten Kräfte erforderte. Auch christdemokratische und liberale Politiker betrieben die Sammlung ihrer Anhängerschaft über frühere konfessionelle oder parteipolitische Grenzen hinweg.

Um die Einheit der Arbeiterklasse war ein regelrechter Mythos gewoben, der seine Begründung in der Einheitlichkeit der Klassenlage und Klasseninteressen der Proletarier fand und die Differenzierungen und Fehden innerhalb der Klasse vor allem aus äußeren Einflüssen erklärte. So homogen war aber die deutsche Arbeiterklasse am Ende des Zweiten Weltkrieges nicht. Der Einbruch des Faschismus auch in die Arbeiterbevölkerung war nicht zu übersehen; der Krieg, faschistischer Terror, Vertreibungen, Bombardierungen hatten einstige proletarische Milieus verschwinden lassen oder ausgezehrt.

Und auch die Vergangenheit lastete auf dem Neubeginn. Unter den politisch engagierten Männern und Frauen wirkte der Nachhall der Auseinandersetzungen um den 4. August 1914, der Novemberrevolution, der Arbeiterregierungen des Jahres 1923, des »Blutmai« 1929 und der gegenseitigen Anschuldigungen und Anfeindungen. Aber die bitteren Erfahrungen lieferten auch die Argumente, um unter die als »Bruderkampf« verharmloste Vergangenheit einen Schlusspunkt zu setzen. Schließlich existierten zwei grundlegende verinnerlichte Überzeugungen, die Sozialdemokraten und Kommunisten miteinander verbanden: das Ziel einer auf gesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln beruhenden sozialistischen Gesellschaft und die Einsicht, dass dieses Ziel die Eroberung der politischen Macht zur Voraussetzung hat. Diese wurde auf dem Wege einer etappenweisen, alle Bereiche der Gesellschaft erfassenden antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, als von oben gelenkter revolutionärer Prozess angesteuert.

Ihre Ergänzung fanden diese Eckpfeiler der Programmatik einer Einheitspartei in der Überzeugung, dass mit einer auf solchen Fundamenten gegründeten sozialistischen Einheitspartei, die ja als gesamtdeutsche Partei vorgesehen war, den Gefahren einer Teilung Deutschlands begegnet werden kann. Das ist die Quintessenz der Programmatik, die der Vereinigung von KPD und SPD zugrunde lag. Sie fand ihren Niederschlag in den vom Parteitag angenommenen Grundsätzen und Zielen der SED, die übrigens weit mehr den von der SPD eingebrachten Entwürfen entsprachen als denen der KPD. Das Parteistatut beruhte auf demokratischen Prinzipien und sah die paritätische Besetzung aller wichtigen Funktionen mit ehemaligen Mitgliedern der KPD und der SPD vor.

So weit, so gut. Eine solche Partei hätte der deutschen Nachkriegsgesellschaft gutgetan und die Gestaltung des künftigen Deutschlands nachhaltig bestimmen können. Als gesamtdeutsche Partei wäre ihr Profil weit mehr von der Sozialdemokratie geprägt worden.

Leider lagen die Dinge nicht ganz so einfach. Hatten zunächst führende Sozialdemokraten eine sofortige Vereinigung angeboten, ging seit Herbst 1945 die Mobilisierung für die Einheitspartei von der KPD aus, was nicht zuletzt mit Verschiebungen im Kräfteverhältnis beider Parteien zugunsten der Sozialdemokratie zusammenhing. Andererseits trat die SPD den Kommunisten nun als eine zonengespaltene Partei gegenüber, in der zwei Zentren den Führungsanspruch erhoben: der grundsätzlich und zunehmend selbstbewusster für die Einheit eintretende Berliner Zentralausschuss unter Otto Grotewohl sowie das Büro der Westzonen in Hannover unter Kurt Schumacher, der jegliche Kooperation mit der KPD ausschloss.

Zudem verhielten sich die Besatzungsmächte zu dem Einheitsparteiprojekt keineswegs neutral. Die Westmächte erließen Verbote gegen Gründungsinitiativen. Rabiater und flächendeckender waren die Eingriffe der sowjetischen Besatzungsorgane, wobei es auch zu Verhaftungen und gezielten Ausschaltungen von Einheitsgegnern kam. Die Alliierten haben sich dann aber mit den faktischen Ergebnissen arrangiert und sich nicht deswegen entzweit. Am 28. Mai 1946 wurden die SED und die SPD in ganz Berlin zugelassen. Dennoch erwies sich der auf dem Vereinigungsparteitag beschlossene Gründungskonsens der SED auf Dauer nicht als tragfähig. Die damals gegründete Zeitung gibt es aber immer noch.

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