Sinn und Seele
»Als wär man der und der«: Ein Buch mit nd-Interviews von Hans-Dieter Schütt
Wer nur lange genug schreibt, findet irgendwann die Form, die ihm gemäß ist. Die er sich aneignet, die er beherrscht, die auch ihn beherrscht. Bei Hans-Dieter Schütt ist diese Form das Interview. Wobei hier nicht das schnell eingefädelte, hastig geführte, flugs ins Blatt gerückte Interview gemeint ist, sondern eher ein Gespräch. Oder - altmodisch inzwischen, aber treffend - ein Gedankenaustausch. Wohl der einzige Tauschhandel, bei dem beide Partner danach mehr besitzen als vorher.
Schütt hat diese langen, wägenden, tastenden Gespräche zu seinem Metier gemacht. Drängend, aber nicht bedrängend. Tiefenbohrungen nach Sinn und Seele; nicht auf Effekt aus, sondern auf Erkenntnis. Die Zahl seiner Interviewbände mit Künstlern, Politikern, Wissenschaftlern ist Legion. Es war ein Glücksfall für das »neue deutschland«, dass er Anfang der 90er Jahre zu dieser Zeitung kam. Nach einem ersten Leben an vorderster propagandistischer Front nun eine zweite Etappe der Selbstbesinnung und Selbstbefragung, der freilich der Spaß am Denken und der brodelnde Formulierungsdrang nicht abhanden kamen. Er habe, sagte Schütt irgendwann in den 90ern, keine Antworten mehr, sondern nur noch Fragen. Das war natürlich damals schon kokett und ist es heute erst recht. Denn selbstverständlich hat ein Mensch seines Alters Antworten. Aber eben auch die Erfahrung, dass es zuweilen angeraten ist, diesen zu misstrauen.
Dutzende Gespräche hat Hans-Dieter Schütt in den letzten 30 Jahren für das »nd« geführt. Eine Auswahl ist nun in dem Buch »Als wär man der und der« versammelt. Die Dokumentarfilmerin Annekatrin Hendel, der Liedermacher und Poet Hans-Eckhardt Wenzel, die Publizistin Carola Stern, der Fußballtrainer Eduard Geyer, die Politikerin Jutta Ditfurth, der Regisseur Peter Stein - mit ihnen und vielen anderen hat Schütt sich zur Bereicherung der nd-Leser unterhalten; ein wenig über Gott, sehr viel über die Welt. Begegnungen, die als Sinnbild stehen können für die Entwicklung dieser Zeitung nach 1990: heraus aus einem betonierten Denken, hinein ins Offene, fragend nach einem neuen Selbstverständnis, einen neuen Ort suchend - einen Standpunkt, der kein Endpunkt ist, sondern ein Ausgangspunkt.
Zuweilen entlockt Schütt seinen Gesprächspartnern Sätze, von denen sie gar nicht wussten, dass sie in ihnen stecken. Ein Zeitalter wird da besichtigt - ein Zeitalter der mörderischen Kriege, der Systemauseinandersetzung, des Versuchs, eine bessere Welt aufzubauen, des neuerlichen Epochenumbruchs mit all seinen Entfremdungen und Befreiungen. Das Buch ist gleichsam ein guter Teil vom Lebenswerk des Hans-Dieter Schütt und ein Dokument der Entwicklung dieser Zeitung, der er nach wie vor verbunden ist. Wolfgang Hübner
Hans-Dieter Schütt: Als wär man der und der. nd-Gespräche aus drei Jahrzehnten. nd-Buchedition, 320 S., erscheint im Mai.
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