Der Sportteil im Wandel

Nach 1990 änderten die nd-Kollegen immer mehr ihre Haltung zum Sport: Aus staatstragend wurde grundskeptisch

  • Lesedauer: 6 Min.

Boxen statt Burgenlauf in Thüringen

Der ehemalige nd-Sportchef erinnert sich an die 90er (Wolfgang Richter)

Es ist wahr: Wir dachten immer noch in 8 Punkt Erbar halbfett, kursiv. Das solcherart gezeichnete und mit der Maschine geschriebene Manuskript sauste per Rohrpost in die Setzerei, die Zeilen wurden wortgetreu an der grässlich klappernden, riesigen Setzmaschine in Blei gegossen und landeten als Druckvorlage in der Mettage, wo der Metteur die Seite zusammenbaute.

So war es immer. So war es auch noch kurz vor dem denkwürdig werdenden 9. November 1989. Auf Seite 7 frohlockte die Aufmachung: «Sechzehnmal erklang in Bonn die Nationalhymne der DDR». Es war das Fazit der Schwimm-EM; und der Erfolg wurde gefeiert wie immer. So hatten wir es gelernt. Und so wie der technische Standard den Erfordernissen der Zeit nachhinkte, so verharrte auch das Denken oft an der Schranke, die Altbewährtes vor Neuerungen stellte. Blinder Jubel verdrängte die Zeichen der Zeit.

Wer sich mit der Geschichte des Sportjournalismus im «nd» befasst, kommt um einen Namen nicht herum: Klaus Huhn. Der Sportteil wurde von ihm maßgeblich geprägt. Von der ersten simplen Nachricht in der letzten Spalte bis zum seitenfüllenden unverzichtbaren Bestandteil der Zeitung - seine Handschrift war unverkennbar.

So schuf sich der Sportteil seinen Stammplatz im Blatt. Und mit dem Sport wuchsen auch Qualität und Quantität des Ressorts. Zu den journalistischen Höhepunkten zählten regelmäßig die Friedensfahrt (unter Mitverantwortung des ND), die Turn- und Sportfeste, die Kinder- und Jugend-Spartakiaden, «Lauf dich gesund» und «Eile mit Meile» sowie zahlreiche weitere massensportliche Ereignisse, die von der ND-Sportredaktion mitgetragen und gestaltet wurden.

Natürlich gehörten Olympiaden, Welt-, EM- und DDR-Meisterschaften zum Standard der Berichterstattung, die stets dem Muster Vorschau - Wettkampfbericht - Nachwäsche« mit Kommentar, Interview, Analyse folgte. Oder die von Sportjournalisten - intensiv auch des ND - organisierte und durchgeführte Massensport-Veranstaltung »Sport, Spiel, Spaß«, an der landesweit mehr als 10 000 Freizeitsportler und Asse teilnahmen. Immer stand als ungeschriebenes Gesetz obenan: Aktualität und Qualität.

Das sollte sich ändern.

Die altgewohnte Art des Zeitungsmachens zählte nicht mehr. Inhaltlich und technisch wurden völlig neue Maßstäbe gesetzt. So büßte der Sport seinen Stellenwert im täglichen Platzverteilungsgerangel ein. Es galt, sich mit dem Profisport zu arrangieren. Boxen statt Burgenlauf in Thüringen, Formel 1 statt Kleine Friedensfahrt. Die sympathische Darstellung der Kleinteiligkeit des Sports, sie fand kaum noch Platz. In der Sportberichterstattung des neuen »Neues Deutschland« wurde ehemaligen, massensportlichen Höhepunkten so manche Träne nachgeweint. Der Sport und auch das ND schleppten schwer an den Dopingvorwürfen. Die überaus populären und leistungsfördernden Kinder- und Jugend-Spartakiaden hatten keinen Platz mehr im Sportgefüge; die Friedensfahrt stieg komplett in den Besenwagen. Ein täglicher - manchmal kläglicher - Kommentar als Neuerung vermochte kaum, Zeichen der neuen Zeit zu setzen.

Es war schwer, sich mit drastisch verringertem Personalbestand den neuen Anforderungen zu stellen. Der langjährige Sportchef Klaus Huhn war abgewählt worden. So klammerte sich die Sportredaktion an einstige Leuchttürme, die immer noch strahlten: Rennsteiglauf, Friedensfahrtmuseum, FC Hansa Rostock, Energie Cottbus.

Und dann entdeckte die Abteilung Sport, dass das Reisen zum Volkssport geworden war und bemächtigte sich rasch der bisherigen Brache Tourismus. Ein neuer Aktivposten war auch ein regelmäßiges Preisskatturnier mit jeweils hoher Beteiligung. Nicht zu vergessen die Wahl der ND-Sportler des Jahres, der aber erst mal die Puste ausging.

So schleppte sich das verschmälerte, aber im Impressum weiterhin aufgeführte Sportressort ins neue Jahrtausend.

Wolfgang Richter kam 1964 in die ND-Lokalredaktion. 1965 wechselte er zum Sport, wo er ab 1990 bis zu seinem Ausscheiden 1998 Ressortleiter war.

Abschied von der puren Begeisterung

Anfang der 2000er wurde Doping schlimmer denn je (Jirka Grahl)

Rohrpost, Setzerei, Metteur – den meisten, die nach 2000 beim »nd« begannen, waren diese Begriffe höchstens beim Kreuzworträtseln begegnet; jetzt ertönten sie manchmal noch in den lustigen Anekdoten von anno dazumal. Skurrile Überbleibsel, wie die Geschichten vom mitternächtlichen Redaktionsschluss dereinst oder vom nd-eigenen Fahrdienst. Oder wie der echte Karl-Marx-Orden, der im Großraumbüro die Wand zierte: Der war der nd-Sportredaktion für die Berichterstattung von den Olympischen Spielen verliehen worden. Anfang des neuen Jahrtausends allerdings konnte der wichtigste Verdienstorden der DDR nicht mehr als Ruhmesblatt herhalten.

Im Gegenteil: Spätestens jetzt galt es auch für ältere Kollegen, sich zu verabschieden von jener Begeisterung, die Sportjournalisten jahrzehntelang ziemlich ungehemmt ausleben durften, ja sogar sollten – im Osten wie im Westen Deutschlands. Stattdessen galt nun: professionelle Distanz! Die einzunehmen, war selbst für Altgediente nicht sonderlich schwer: Mit dem DDR-Doping-Unrecht musste man sich immer weniger befassen – der letzte Dopingprozess war 2000 zu Ende gegangen. Stattdessen rückte das aktuelle Dopinggeschehen mit aller Macht in den Mittelpunkt der Berichterstattung.

Es gab genug Anlass, sich zu empören und in Sachen Sport auf Abstand zu gehen. Zuerst den Balco-Skandal – ein US-Dopingnetzwerk, das namhafte amerikanische und europäische Stars mit Designer-Steroiden wie etwa THG und Wachstumshormon versorgt hatte. Die Amerikanerin Marion Jones, 2000 in Sydney dreimal zu Olympiagold gesprintet, war die berühmteste Kundin. Systematisches Doping war – das ist mittlerweile allerorts Konsens – keineswegs nur eine Ausgeburt der Medaillenschmieden des Ostblocks.
Im Gegenteil, das sollten die Deutschen schon bald erfahren, war man auch hierzulande weiterhin äußert versiert bei der Einnahme, wie sich am Beispiel des munteren Dopens beim ARD-gesponserten Telekom-Team zeigen sollte. Jan Ullrich, Tour-de-France-Sieger 1997 und seit 2003 als ehrenhafter Sportsmann gerühmt, nachdem er auf seinen unverschuldet gestürzten US-Rivalen Lance Armstrong gewartet hatte, wurde 2006 direkt vor dem Tourstart wegen Dopingverdachts für das Radrennen gesperrt. Ullrich, das sommersprossige Supertalent aus Rostock, sollte nie wieder Profirennen fahren.

Und anders als noch in den 90ern, in denen man im »nd« versucht hatte, das DDR-Doping einzuordnen in einen größeren Kontext – schließlich wurde auch in der Bundesrepublik seit den 70er Jahren ziemlich skrupellos mit Steroiden experimentiert –, wurde in Sachen Jan Ullrich schonungslos aufgedeckt, was es zu berichten gab.

So ist es bis heute geblieben, gerade bei den unbequemen Themen. Ob Claudia Pechstein oder das staatlich orchestrierte Doping in Russland: Die nd-Redakteure arbeiten sich durch Urteile des Internationalen Sportgerichtshofs oder untersuchen den McLaren-Report auf Stichhaltigkeit. Wenn die Argumente schlüssig erscheinen, müssen wir in Kauf nehmen, dass sich auch die bedingungslosen Russland-Freunde unter unseren Lesern darüber erregen.

Auf der anderen Seite sehen wir uns in einer Traditionslinie: Noch immer richten wir unser Augenmerk auf den Osten des Landes, dorthin, wo die meisten unserer Leser leben: Auch wenn Energie Cottbus und Hansa Rostock keine Leuchttürme mehr sind, kleine Leuchtfeuer, bestenfalls: Den Ostfußball beleuchten wir in unserem Drei-Mann-Ressort mit unseren Serien »Ostkurve« oder dem montäglichen »Klassentreffen«. Wir schauen auf die Geschehnisse im Internationalen Olympischen Komitee sowie in Fifa und Uefa; wir haben die Sitzungen im Bundestagssportausschuss ebenso im Blick, wie wir bei den Fachverbänden nachfragen, warum Trainerinnen weniger verdienen als männliche Kollegen. Gleichstellung – so wichtig und auch für uns eine klare Aufgabe für die nächsten Jahre: Höchste Zeit für die erste Frau im nd-Sportressort!

Jirka Grahl ist seit 2003 beim »nd«, seit 2009 leitet er das Sportressort.

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