Schuld sollen die Ärmsten sein

In Kapstadt brannte der Busch am Tafelberg. Dort leben auch Obdachlose, die aus der Stadt verdrängt wurden

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 9 Min.

Plötzlich wurde es dunkel in Kapstadt, am Sonntag vor einer Woche gegen halb elf. Als hätte die Dämmerung mit äußerst orangefarbenem Licht schon am Vormittag eingesetzt. Der Blick vom Balkon offenbarte eine riesige Rauchwolke, die vor der Sonne aufstieg: Der Berg stand in Flammen, genauer gesagt die tieferen Hänge des Devil’s Peak, der als Teil des Tafelbergmassivs über den südlichen Vororten der Hafenstadt emporragt.

Feuer sind in der Fynbos-Landschaft am Kap der Guten Hoffnung keine Seltenheit. Das extrem artenreiche Biom braucht sie sogar, um im Boden verborgen liegende Samen zu aktivieren und auf abgebrannten Flächen neues Wachstum zu ermöglichen. Doch durch menschliche Einflüsse brennt es inzwischen viel zu oft - und aufgrund eingeschleppter Busch- und Baumarten auch viel zu heiß. Viele einheimische Pflanzen kommen kaum noch dazu, groß genug zu werden, um Samen zu bilden. Das Ökosystem ist bedroht - und wenn die Feuer zu groß werden, dann sind auch Menschen in Gefahr.

Ein Verdächtiger wurde gestellt

Das Feuer, das nun vor einer Woche von Sonntag bis Dienstag drei Tage lang an den Hängen des Devil’s Peak wütete, ist dafür ein mahnendes Beispiel. Angefacht von einem warmen, trockenen Fallwind breitete sich der Buschbrand rasant in Richtung Stadt aus. Als Erstes fiel ihm ein beliebtes Ausflugsrestaurant im Tafelberg-Nationalpark zum Opfer. Dann fraß sich die Feuerwalze durch den Campus der Universität, übersprang gar eine vierspurige Schnellstraße und richtete bis einige Hundert Meter in die Stadt hinein große Schäden an. Etliche Fakultätsgebäude, eine historische Bibliothek und die 1796 erbaute Mostert’s Mill, die letzte funktionsfähige Windmühle im südlichen Afrika, wurden vernichtet. An zwei Wohnheimen auf dem Campus brannte es, etliche weitere waren von dichtem Rauch umhüllt. Insgesamt 4000 Studenten mussten evakuiert werden.

Als der Wind dann am Montag drehte und aus Südost immer stärker wurde, bedrohte das Feuer die dicht bewohnten Viertel Walmer Estate und Vredehoek nahe der Innenstadt. Die Bewohner, die um ihre Häuser bangten, kamen mit dem Schrecken davon. Doch die verbrannten Büsche wenige Meter vor den ersten Grundstücken zeugen davon, wie dramatisch die Lage war. Kapstadt hat deutlich sichtbare Brandnarben davongetragen, ihr Postkartenpanorama ist verkohlt.

Als die Feuerwehr noch mit den Flammen kämpfte, präsentierte die Politik bereits Schuldige. »Nahezu alle Feuer in den vergangenen Jahren in der Gegend hingen mit Obdachlosen zusammen, die Feuer machen, um zu kochen«, erklärte JP Smith, in der Kapstädter Stadtverwaltung für den Bereich Sicherheit zuständig. In einer Pressekonferenz am Montag vor einer Woche verkündete er zudem, dass ein Angehöriger einer Stadtteilbürgerwehr »mit Hilfe seiner Söhne und der Hunde der Familie« einen verdächtigen Obdachlosen gestellt und an Polizeikräfte übergeben habe. Hieß es zunächst, der Mann sei dabei beobachtet worden, fernab des Hauptfeuers neue Brände zu legen, so erzählte Smith im Interview mit dem Radiosender CapeTalk, der Festgenommene habe noch bei der ersten Befragung durch die Beamten an Ort und Stelle gestanden, das ursprüngliche Feuer ausgelöst zu haben.

Smith bedient damit die Ressentiments derjenigen, die schon vor dem Brand nach einem härteren Durchgreifen gegen Obdachlose riefen. Dass in dem Nationalparkareal oberhalb der Stadt immer mehr Menschen nächtigen und dort auch Feuer machen, hatte auch der Feuerwehrchef der Parkverwaltung, Philip Prins, bereits im Dezember beklagt. In einer Stellungnahme wenige Stunden nach Ausbruch des Feuers »vermutete« die Parkverwaltung »nach ersten Ermittlungen« ebenfalls, dass die Brandursache »ein verlassenes Landstreicherfeuer« gewesen sei.

Zweifelsfrei belegt ist die Brandursache bis heute nicht. Fakt ist allerdings, dass die Zahl der Obdachlosen in Südafrika insbesondere durch den pandemiebedingten Lockdown, in dessen Folge rund drei Millionen Menschen ihre Arbeit verloren haben, stark angestiegen ist. Etwa 14 000 Menschen seien allein in Kapstadt inzwischen obdachlos, aber nur für 2400 von ihnen stünden Betten in Notunterkünften bereit, erklärt Jonty Cogger von der Rechtshilfeorganisation Ndifuna Ukwazi. Gemeinsam mit seiner Kollegin Danielle Louw vertritt der Anwalt derzeit elf Obdachlose in einer Klage gegen die Stadt Kapstadt. Es geht um diskriminierende Verordnungen, um zermürbende Repressalien, hanebüchene Bußgelder und um nächtliche Razzien, bei denen Polizisten den Schutzlosesten noch die letzten Habseligkeiten genommen haben. Kurzum: Es geht um die Menschenwürde.

Diskriminierende Verordnungen

So begrenzt die Hilfe für Obdachlose in Kapstadt ist, so erbarmungslos lässt die Stadt sie verfolgen. Die Ordnungshüter handeln auf Grundlage zweier kommunaler Verordnungen, die dem Namen nach eigentlich dazu da sein sollen, Lärmbelästigung zu vermeiden, Straßen und Plätze sauber zu halten sowie die Abfallwirtschaft zu regulieren. Historisch, so erläutert Louw, lassen sich die Wurzeln dieser Verordnungen über die Passgesetze der Apartheid bis weit in die Kolonialzeit zurückverfolgen. Ursprünglich wurden damit Eingeborene mit Strafen überzogen, die als nomadisch lebende Menschen keinen festen Wohnsitz hatten. Abarbeiten mussten sie diese dann bei den weißen Siedlern. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff des »Vagrant«, also des Landstreichers, der bis heute fester Bestandteil der Kommunikation der Stadtverwaltung ist.

»Beide Verordnungen kriminalisieren die Obdachlosen, denn sie machen normale, lebenswichtige Aktivitäten wie Schlafen, einen Schutz aufbauen, Ausruhen, sich hinlegen und hinsetzen oder sich waschen für obdachlose Menschen zum Vergehen«, erklärt Cogger. Louw ergänzt, dass auch das Kochen in der Öffentlichkeit illegal sei. Mit zwei Anträgen - vor dem Equality Court, einem Sondergericht für Gleichberechtigungsfragen, und vor dem Obersten Gericht in der Provinz Western Cape - wollen die Anwälte und ihre Klienten nun dafür sorgen, dass die Verordnungen für verfassungswidrig erklärt werden. Gerade erst Anfang April, eine Woche vor dem Feuer, reichten sie die Klageschrift bei den Gerichten ein.

Carin Gelderbloem ist darin als erste Klägerin aufgelistet. Vor zwei Jahren musste die 51-Jährige selbst Bekanntschaft machen mit den Ordnungshütern der Stadt. »Die kommen, wenn es regnet und immer spät nachts«, erzählt sie. Ein Vorfall ließ sie besonders erschüttert zurück: »In dieser Nacht haben sie unsere Plane weggenommen, die uns vor dem Regen schützte, und alle unsere Sachen. Einfach alles.« Nur mit der Kleidung am Körper sei sie zurückgelassen worden. Gemeinsam mit einem Bekannten, den sie aus der Notunterkunft kannte, sammelte Gelderbloem zu jener Zeit auf dem Green Market Square, Kapstadts berühmten Souvenirmarkt, Plastikperlen auf, die nach dem Abbau der Stände zwischen dem Kopfsteinpflaster zurückblieben. Die beiden fertigten daraus Armreife und Amulette, die sie verkauften. Zwei Kisten voll hatten sie gerade produziert, auch die nahmen die Einsatzkräfte mit. Zwar protestierte Gelderbloem dagegen, doch die besonnen und zugleich entschlossen wirkende Frau hatte keine Chance. »Der Typ von der Ordnungsamt-Einheit hat mir ins Gesicht gesagt: ›Du hast keine Rechte‹. In dem Moment habe ich angefangen, das auch zu glauben.«

Gelderbloems Lebensgeschichte zeigt, wie schnell es gehen kann, in Kapstadt auf der Straße zu landen. »Ich bin in einer Mittelschichtfamilie aufgewachsen, war verheiratet, mein Mann starb 2008. Danach bin ich schwer depressiv geworden. Er ist sehr plötzlich gestorben, es war ein heftiger Schlaganfall, davor war er nie krank.« Als zwei Jahre später auch ihr Vater - »mein Rückhalt« - starb, geriet ihr Leben mehr und mehr aus den Fugen. Die gelernte Frisörin, deren Mann sein eigenes Unternehmen geleitet hatte, konnte das Haus nicht mehr halten. Sie zog zu ihrer Schwester und deren Familie, fühlte sich dort aber »immer irgendwie im Weg, wie eine Last«. Eines Tages ging sie spazieren - und kehrte nicht mehr zurück. Sie erinnert sich noch, dass sie in ein Sammeltaxi stieg. Aufgewacht ist sie dann im Universitätskrankenhaus - die Diagnose: eine akute Panikattacke.

Kurswechsel in der Politik

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ging Gelderbloem zunächst in eine Obdachlosenunterkunft, wurde dort aber vom Aufseher sexuell belästigt. Als sie den Mann zurückwies, machte er ihr das »Leben zur Hölle«. Ihre Beschwerden stießen auf taube Ohren. Gelderbloem suchte wieder Arbeit und bekam einen Job als Reinigungskraft bei der Feuerwehr. Doch am Abend vor dem ersten Arbeitstag schloss der übergriffige Unterkunftsaufseher sie aus, obwohl sie rechtzeitig zurück in dem Heim war. Es war die erste Nacht in ihrem Leben, die sie auf der Straße verbrachte.

Leicht war die Situation dort nie, doch sie verschärfte sich ab 2018 weiter. Nach internen Grabenkämpfen musste die damalige Bürgermeisterin Patricia de Lille gehen, mehrere Ressortleiter der Stadtverwaltung traten aus Protest ebenfalls zurück. Sieger des Umbruchs war die Law-and-Order-Fraktion innerhalb der Democratic Alliance. Der Sicherheitschef in der Stadtverwaltung, derselbe JP Smith, der nun Obdachlosen die Schuld am Großbrand gibt, schrieb es sich auf die Fahnen, die Menschen von den Straßen zu treiben - mit Razzien, wie Gelderbloem sie erlebte, und hohen Geldstrafen, die die Mittellosen freilich nie bezahlen konnten.

Der Wandel in der Politik lässt sich auch in Zahlen ablesen. Während die Budgets für Gesundheit, soziale Dienste oder Sozialwohnungen nur minimal in etwa mit der Inflationsrate anstiegen, wurden die Mittel für öffentliche Sicherheit ab dem Finanzjahr 2018/19 im Vergleich zu den Vorjahren mehr als verfünffacht - und wurden so über Nacht vom kleinsten Posten zum mit Abstand größten, etwa dreimal so hoch wie die Budgets der anderen Ressorts. »Die Stadt Kapstadt gibt inzwischen 744 Millionen Rand (43 Millionen Euro) jährlich für Obdachlose aus. 45 Prozent davon werden für die Durchsetzung von Verordnungen gegen Obdachlose verwendet, aber nur 16 Prozent für soziale Entwicklung«, erläutert Cogger, der einen »unverhältnismäßigen Ansatz« bemängelt. Der Fokus liege klar auf Abstrafen, anstatt auf Unterstützung, was aber keine Probleme löse.

Hilfe bleibt auf der Strecke

Eigentlich hat die Stadt das auch erkannt. Nach ihren eigenen Richtlinien zum Umgang mit Obdachlosen, so erläutert die Anwältin Louw, müssen die Einheiten des Ordnungsamts bei jedem Einschreiten von Kräften des Sozialdezernats begleitet werden, die mit den Betroffenen klären sollen, wie den Menschen geholfen werden kann. Doch genau das passiere nach Recherchen von Ndifuna Ukwazi nahezu nie.

Resultat dieser Politik sind verhärtete Fronten und verängstigte Obdachlose. »Viele Leute gehen auf den Berg, weil die Park-Ranger nicht so aktiv sind wie die Einheiten des Ordnungsamts«, weiß Carin Gelderbloem. Mit Zahlen belegen lasse sich dieser Trend zwar nicht, weil es dazu keine Untersuchungen gebe, aber wenn man das permanente Abstrafen von Obdachlosen in der Stadt sehe, erklärt Louw, »dann denke ich, dass es da einen Zusammenhang geben könnte«. Für ihren Kollegen Jogger liegt die Lösung in »mehr sozialen Interventionen, die die Ursachen angehen«. Ansonsten, so sagt er, »werden immer mehr Menschen auf den Berg gehen«.

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