- Berlin
- Kinder in der Coronakrise
Monotonie und Chaos
Berliner Eltern über Kinderbetreuung in der Pandemie
»Ich lerne zusammen mit meiner Tochter«
Ich lebe mit meinem Mann, unseren zwei gemeinsamen Kindern und den fünf anderen Kindern meines Mannes in einer Zweizimmer-Wohnung. Das war schon vor Corona schwierig, aber jetzt ist es noch schwieriger geworden. Wenn man viele Kinder hat und nicht raus kann, ist das sehr schwer. Denn die Kinder verstehen nicht: Was bedeutet Corona? Sie möchten raus und irgendwo hingehen.
Mein jüngstes Kind kann wegen unserer kleinen Wohnung auch in die Kita gehen. Die Kita macht kleine Gruppen und Lilian ist mit drei anderen Kindern zusammen. Das ist super, sie können dort zusammen essen und spielen und haben keinen Kontakt zu anderen. Es gibt auch einen Garten. Die Erzieherinnen verstehen meine Situation und unterstützen mich sehr. Wir sind über E-Mail alle zehn Tage in Kontakt. Sie helfen mir immer, wenn ich etwas sprachlich nicht verstehe, aber auch mit Corona.
Mein Mann macht gerade eine Weiterbildung. Vorher hat er Vollzeit für verschiedene Firmen gearbeitet. »Auf der Baustelle gibt es kein Corona«, sagt er ironisch.
Ich glaube, es ist besser, dass die Großen jetzt wieder zur Schule gehen. Zu Hause lernen ist ein Problem. Und auch, wenn die Kinder keinen Kontakt zu ihren Freunden haben. So haben sie die ganze Zeit Stress: lernen und lernen und lernen. Meine Älteste hat einmal geweint und gefragt: »Warum muss ich zu Hause lernen?« Zu Hause war vorher nur für Pausen da und nicht für die Arbeit. Ich bin noch nicht fertig mit dem B1-Kurs, aber im Moment hat meine Schule zu. Stattdessen lerne ich jetzt zusammen mit meiner zweiten Tochter, sie ist sieben und hat nur zweieinhalb Tage pro Woche Präsenzunterricht.
Mit den anderen Kindern hilft mir ein deutscher Nachbar. Sie verstehen Deutsch noch nicht so gut, weil sie erst vor anderthalb Jahren aus Syrien gekommen sind. Außerdem ist es kompliziert: Sie sprechen kurdisch, ich spreche arabisch. Und ich bin nicht ihre Mutter.
In der Kita gibt es im Moment noch keine Tests. Aber dass in der Schule getestet wird, finde ich gut. Wir leben hier auf sehr beengtem Raum mit neun Personen, und ich denke, so ist es besser. Nicht nur für meine Familie, sondern auch für den Schutz anderer, da meine Situation zu Hause sehr schwierig ist und ich das Verhalten und den Schutz aller Personen nicht kontrollieren kann.
Drei der Kinder waren schon einmal für zwei Wochen in Quarantäne. Aber sie waren gesund, kein Husten, kein Fieber. Deswegen war hier eigentlich alles wie immer, ein normaler Tag. Es ist normales Leben, auch wenn man sich mal streitet. Aber das hat mit der Quarantäne nichts zu tun.
Ich habe großes Glück, ich habe einen Garten vor meiner Wohnung. Da können die Kinder spielen. Und ein- oder zweimal im Monat treffe ich mich mit einer Freundin auf dem großen Spielplatz. Sonst habe ich nicht viele Freunde hier. Und mit Corona muss das auch nicht sein. Man kann telefonieren. Auch mit dem Jobcenter muss ich jetzt immer telefonieren (lacht). Ich sage immer: Alhamdulillah (Lob sei Gott, Anm. d. Red.), ich bin hier. Ich habe eine kleine Wohnung mit vielen Menschen, aber viele Syrer leben auf der Straße und in Zelten.
Malaz Alromo war in Syrien Buchhalterin. Sie absolviert einen Deutschkurs und will eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin oder Erzieherin machen. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern (4 und 7) und den fünf Kindern ihres Mannes (5, 10, 12, 14 und 16) zusammen.
»Jede Stunde hilft«
Ich bin hin- und hergerissen zwischen Job und Betreuung. Mein Kind ist gerade komplett zu Hause und wird von mir betreut. Mein Mann hat gerade seine Position gewechselt und leitet eine Abteilung, deswegen kann er das nicht wirklich übernehmen. Meine Schwiegermutter kann ab und zu mal aushelfen, die wohnt aber nicht in Berlin, sondern in Niedersachsen. Wir versuchen alle zwei Wochen, dass sie herkommt oder einer von uns mit Jasper dahinfährt und die Person dann dort im Homeoffice arbeiten kann.
Wenn Jasper zu Hause ist und ich arbeiten müsste – das geht nicht. Ich kann da mal ein paar E-Mails schreiben, aber nicht ernsthaft arbeiten. Gerade baue ich meine Überstunden ab – beziehungsweise gehe schon ins Minus. Und ich nehme die pandemiebedingten Kinderkranktage in Anspruch. Da kriege ich 90 Prozent vom Gehalt, aber das ist nicht so schlimm. Meine Chefs sind sehr verständnisvoll, und ich denke, dass ich daraus keine negativen Konsequenzen davontragen werde. Ich mache mir eher Sorgen, dass Jasper durch die fehlenden sozialen Kontakte in der Kita auch bestimmte Werte nicht mitbekommt. Zu Hause steht er im Mittelpunkt, in der Kita ist das ganz anders, da muss er auf die anderen Kinder Rücksicht nehmen und teilen. Ich glaube bis jetzt nicht, dass das Langzeitfolgen für ihn haben wird, aber gut tut es ihm eben auch nicht.
Um eine Infizierung mache ich mir weniger Sorgen. Wenn Jasper hier ist, versuchen wir, dass er einen Teil seiner Freunde und Freundinnen aus der Kita trifft. Und sein bester Kumpel ist in der Kita in der Notbetreuung. Das heißt, wenn da etwas mit Corona wäre, könnten wir es sowieso nicht ausschließen.
Wir würden alles dafür geben, einen Kitaplatz zu bekommen. Ich finde es unfair, dass nur »systemrelevante« Eltern ihr Kind in die Kita geben können, weil wir ja auch arbeiten müssen. Ich finde, der Senat hätte sich bessere Konzepte einfallen lassen können. Wir sind jetzt da, wo wir vor einem Jahr schon waren. Damals wurde gesagt: Wir schließen jetzt die Kitas und machen nur noch Notbetreuung. Und das wird jetzt wieder so gemacht, anstatt zu sagen: Wir machen eine Wechselbetreuung, bilden Gruppen oder legen eine Auslastungsgrenze von 60 Prozent fest. Dann hätte man auch nicht diese Unterschiede zwischen den Kitas. Manche sind fast ausgelastet, weil fast alle Eltern »systemrelevant« sind, und andere gar nicht. Beim Wechselmodell wäre es zum Beispiel auch möglich, dass die Kinder dann nur vier Stunden betreut werden können. Ich glaube, den Eltern, deren Kinder gerade nur zu Hause sind, hilft jede Stunde.
Juliane Bader (34) ist Umweltplanerin. Sie betreut ihren Sohn Jasper (3) gerade komplett zu Hause. In regelmäßigen Abständen übernimmt die Großmutter einen Teil der Betreuung.
»Koch, Erzieher und Lehrer, alles auf einmal«
Unser Theater hat komplett zu, weil es hoffnungslos schien, immer auf eine Vorstellung hinzuarbeiten, die dann doch wieder abgesagt wurde. Und besonders die Kollegen, die Kinder haben, sind zu 100 Prozent in Kurzarbeit. Das heißt, ich übernehme die ganze Woche die Betreuung. Nächste Woche habe ich aber wieder zwei Tage Dienst. Wir haben den Glücksfall, dass unser jüngstes Kind bald eingeschult wird und als Vorschulkind seit Mitte März Anspruch auf Notbetreuung hat. Durch den Personalmangel in der Kita wird aber die Kitazeit wöchentlich je nach Sachlage neu angepasst. Deswegen sitzt man da von Woche zu Woche »auf heißen Kohlen«. Da die Kinder auch soziale Kontakte üben müssen, sind wir dankbar, dass sie zumindest für ein paar Stunden am Tag in Kita und Schule gehen.
Sorgen vor Ansteckung in dem Sinne mache ich mir nicht. Ich finde es viel wichtiger, dass sie soziale Kontakte haben. Wir versuchen eher, andere Kontakte – zu Freunden und Verwandten – einzuschränken. Aber den Kindergarten schätzen wir als so wichtig ein, dass wir darüber hinwegsehen. Sorge spielt immer mit – aber nicht erdrückend. Für uns ist das Sprunghafte schwierig. Dass man das eigene Leben überhaupt nicht mehr planen kann. Ich bin froh, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, in Kurzarbeit zu gehen, sonst wüsste ich gar nicht, wie es gehen sollte.
Trotzdem fühlt man sich immer ein bisschen alleine gelassen. Man ist Koch, Erzieher, Lehrer, alles auf einmal, und das mag mit einem Kind noch überschaubar sein, aber sobald man ein kleineres Kind und ein Schulkind hat, hinkt das ganze System. Man kann nicht dem einen von 9 bis 12 etwas beibringen und den anderen in die Ecke setzen und sagen: Jetzt sei mal ruhig. An manchen Tagen ist man echt unzufrieden, weil man nicht weiß, wie lange es noch so weitergeht. Nichtsdestotrotz überwiegt bei uns die Dankbarkeit, dass es bei uns im Land noch Möglichkeiten gibt, mit der Situation klarzukommen und zu überleben. Wenn man im Theater arbeitet, lebt man ohnehin immer mit der Sorge, dass es nächstes Jahr zu Ende sein könnte, deswegen mache ich mir in die Richtung nicht mehr Sorgen als sonst. Ich sage mir: Es ist gerade schwierig – aber es wird eine Lösung geben.
Als es wieder losging mit Schule und Kita, waren die Kinder richtig froh. Obwohl der Kleine vor Corona nicht so gern in die Kita gegangen ist. Aber ich bin letzten Endes der Papa und kein Spielkumpan. Gut wäre es, wenn die Erzieher bald geimpft werden – und natürlich bald auch wir und die Kinder. Da würde ich mir wünschen, dass mehr Druck dahinter gesetzt wird.
Im Moment beginnt mein Tag damit, den Schüler fertig zu machen, der geht dann selber los. Dann bringe ich den Kleinen in den Kindergarten, und wenn ich zurückkomme, dann ist mein Schüler fast schon wieder zu Hause. Das heißt, ich kann hier eine Waschmaschine anschmeißen, die Spülmaschine ausräumen und dann kann ich dem Älteren schon wieder ein Essen bereiten. Das hört sich jetzt schlimmer an als es ist. Aber es gibt eben auch Kollegen, die keine Kinder haben und nicht in Kurzarbeit sind, und die sagen immer so scherzhaft: Du machst seit Monaten Urlaub. Aber ich glaube, die wollen nicht mit mir tauschen. Viele sprechen schon vom Murmeltiertag, jeder Tag ist im Grunde gleich. So war mein Leben nie, aber im Moment ist es so.
Oliver Kunze (51) ist Bühnentechniker am Theater. Er betreut momentan seine Kinder Edgar (10) und Matti (6) teils zu Hause, teils werden sie in Schule und Kita betreut. Seine Freundin arbeitet in einem Planungsbüro – wenig im Homeoffice, viel im Büro.
»Ein wahnsinniger Organisationsaufwand«
Tendenziell ist es bei uns so, wie bei anderen Leuten auch: Die Person, die den flexibilisierteren prekäreren Job hat, macht die Arbeit mit den Kindern. Bei mir sind Sachen verschiebbar, ich kann auch am Wochenende arbeiten oder abends. Und dadurch habe ich das hauptsächlich übernommen. Im Moment arbeite ich selbstständig und habe keinen Arbeitgeber, der mich kontrolliert. Trotzdem kann ich weniger machen, Publikationen verzögern sich. Ich denke, das wird einen langfristigen Nachteil für meinen Beruf haben. Gerade dieses Aufträge-Verlieren oder Seine-Stellung-Verlieren im Job, das wäre auch so, wenn man sagen würde: Man kriegt jetzt Elterngeld und hat keine Angst, den Job zu verlieren. In vielen Jobs ist es so, dass man – wie sonst, wenn man Elternzeit nimmt – den Anschluss verliert. Es ist immer irgendwie blöd: Wenn die Kinder mal ein Hörspiel hören, kann ich arbeiten. Aber wenn ich an etwas sitze, dann will ich auch in Ruhe weiterarbeiten. Und die Kinder kommen dann irgendwann und wollen etwas von mir, und dann merke ich, dass ich überhaupt nicht bereit bin, mich auf sie einzulassen. Weil ich genervt bin, dass ich den Faden wieder verliere.
Wir hatten das in der ersten Welle viel: »Hier, ich mach dir kurz ein Brot oder ein neues Hörspiel an, und jetzt lass mich bloß in Ruhe.« Und ich will diesen Zustand nicht mehr. Ich will eine klare Zuständigkeit, und wenn man für die Kinder zuständig ist, muss das Priorität haben gegenüber der Arbeit. Sonst finde ich das auch ungerecht gegenüber den Kindern.
Es ist jetzt vier Wochen her, dass die Kleine mal ein paar Tage am Stück in der Kita war. Normalerweise hätten wir sogar Anspruch auf Notbetreuung, weil mein Partner Journalist ist. Aber wir versuchen trotzdem, es nicht in Anspruch zu nehmen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Um die Kita zu entlasten und die Gruppe klein zu halten. Über die Kita- und Schulfreund*innen haben wir Kontakte für unsere Kinder organisiert. Ich selbst sehe eigentlich gar keinen meiner Freunde mehr. Aber ich denke, dass es bei den Kindern möglich sein muss, weil da wirklich etwas kaputtgehen könnte. Für die Kleine ist es wichtig, dass sie regelmäßig in die Kita geht, damit sie sich wohlfühlt und den Kontakt zu ihren Bezugserziehern aufrechterhalten kann. Sonst geht sie immer wieder mit einer neuen Unsicherheit da rein. Und je kleiner die Kinder sind, desto schlimmer ist das.
Man hätte die Kitas mit mehr Ressourcen unterstützen können. Natürlich hätten wir mehr Personal gebrauchen können oder mehr Räume, damit wir die Gruppen klein halten können. Am Anfang habe ich mich auch gefragt: Warum kommen die Kitas so spät? In der vergangenen Woche konnten Kita-Träger zum ersten Mal auch Tests für die Kinder beim Bezirksamt abholen. Drei Tests pro Kind. Mehr haben wir nicht bekommen. Außerdem mussten wir im letzten Jahr rund 1000 Euro an den Senat zurückzahlen, weil wir weniger Kinder betreut haben. Dabei hatten wir total viele finanzielle Einbußen, weil wir jemanden eingestellt haben, eine andere Person konnte nicht mehr weiterarbeiten, weil sie Risikogruppe ist, aber wir haben sie weiterbezahlt. Mehrere Eltern haben abgesagt oder den Betreuungsbeginn kurzfristig verschoben. Wir haben unsere Musik- und Sportpädagogen weiterbezahlt, obwohl sie nicht bei uns weiterarbeiten durften, weil sie selbstständig sind und sonst in eine prekäre Lage gekommen wären.
Teilweise kommen alle drei Tage neue Trägerschreiben, wo immer wieder andere Sachen drinstehen. Ich mache das ehrenamtlich, aber die ganze Kommunikation ist im Moment eigentlich ein Teilzeitjob. Alles an die Eltern weiterzukommunizieren, sich jedes Mal wieder neu zu überlegen, wie man ein gutes Konzept entwickeln kann, damit möglichst viele Kinder betreut werden und möglichst guter Infektionsschutz gewahrt wird. Dazu kommen die Tests und die Kommunikation mit dem Gesundheitsamt bei einem Coronafall mit Quarantäneanordnungen. Das ist alles ein wahnsinniger Organisationsaufwand.
Irene Poczka (39) ist freiberufliche Wissenschaftlerin im Bereich Politikwissenschaft/ Medizingeschichte, arbeitet ehrenamtlich im Vorstand einer Elterninitiativ-Kita und schreibt ab und zu für das »nd«. Sie hat drei Kinder im Alter von 14, 6 und 3 Jahren. Das älteste lebt bei seiner anderen Mutter.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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