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Daseinsfürsorge statt Profitmaximierung: Für Verbesserungen im Gesundheitswesen muss man ran ans System

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 5 Min.

Missstände im Gesundheitswesen werden nicht erst seit Beginn der Covid-19-Pandemie beklagt und bekämpft. Bekanntermaßen fehlt Pflegepersonal - in Krankenhäusern und bei der Versorgung betagter Menschen. Wissenschaft und Politik erkennen die Stärkung der Pflege als Aufgabe zwar an, alle bisherigen Maßnahmen - darunter die Herausnahme der Pflegekosten aus den Fallpauschalen der Kliniken oder ein Programm für 20 000 zusätzliche Pflegehilfskräfte für die Heime - konnten das Blatt noch nicht wenden. Menschen, die andere beruflich pflegen, sind weiterhin überlastet und unterbezahlt.

Bei den Dingen, die im Gesundheitssektor zuerst zu ändern wären, spielt die Krankenhausplanung eine immer wichtigere Rolle. Hier stehen sich verschiedene Positionen gegenüber. Gesundheitsökonomen befürworten eine bundesweite Planung (bislang liegt diese in den Händen der Länder). Sie halten es nicht für sinnvoll, dass alle - auch die kleineren Kliniken - alles machen. Als negative Folge dessen zeigte sich in der Pandemie zum Beispiel, dass auch Häuser, die beanspruchten, Infektionen behandeln zu können, keine Vorräte an Schutzausrüstung hatten. Bei einer zentralen Planung, so das Argument, wären sie dazu verpflichtet gewesen.

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Nun ist grundsätzlich offen, ob nicht mit dem Ende der aktuellen Pandemie ein Kassensturz politisch an die erste Stelle gesetzt wird. Dies könnte zur Folge haben, dass aufgelaufene Kosten zu großen Teilen den gesetzlichen Krankenkassen (und ihren 57 Millionen Beitragszahlern) aufgeladen werden und zugleich die Parole ausgegeben wird, für teure Reformen gebe es keinen Spielraum.

Optimistischer sieht das Boris Augurzky, der seit 2003 am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen den Kompetenzbereich Gesundheit leitet und dort auch für den Krankenhaus-Rating-Report zuständig ist, der jährlich die finanzwirtschaftliche Situation der Kliniken analysiert. Gegenüber »nd« begründet der Volkswirtschaftler eine mögliche neue Rolle für die Krankenhäuser auch mit deren Auslastung im letzten Jahr: »2020 wurden rund 13 Prozent weniger Patienten im Krankenhaus behandelt als 2019.« Vor allem bei weniger dringenden Behandlungen sanken die Fallzahlen deutlich. Der Rückgang war bei den Krankenhäusern unter 600 Betten deutlicher als bei den größeren. »Die große Frage ist, ob dies auch nach der Pandemie so bleiben wird oder ob wir Nachholeffekte beobachten werden. Sollte das Leistungsniveau dauerhaft niedrig bleiben, kommen auf die Krankenhäuser große Veränderungen zu - zwar nicht so hart wie etwa in der Luftfahrtbranche, jedoch durchaus einschneidend.«

Für die Krankenhäuser könne das auch eine Chance sein. Nach Vorstellung von Augurzky könnten vor allem kleinere Grundversorger »zu Zentren der sektorenübergreifenden Versorgung werden und lokal eine wichtige Funktion in der Koordination einer patientenorientierten Versorgung übernehmen, gerade in ländlichen Regionen, quasi als Anker der Gesundheitsversorgung«. Sowohl Krankenhausplanung als auch -vergütung müssten dann zu einer sektorenübergreifenden Planung und Vergütung weiterentwickelt werden, das heißt unter Einbeziehung ambulanter Strukturen. Aus seiner Sicht könnte der finanzielle Druck auf die Krankenkassen nach der Pandemie diese Entwicklung beschleunigen.

Krankenhäuser in Deutschland rechnen seit 2004 ihre Leistungen über Fallpauschalen ab (DRG - diagnosis related groups) ab. Dieses System ermöglichte, dass sich private Klinikkonzerne auf die am besten vergüteten DRG konzentrierten, etwa bestimmte Eingriffe am Herzen, um Renditen zu garantieren. In den Sog dieser Anreize gerieten die freigemeinnützigen wie die kommunalen Häuser. Wer diese Art Ökonomisierung nicht will, muss die Fallpauschalen entschärfen oder ganz abschaffen - was unter anderem die Linke als politischen Schwerpunkt sieht oder auch das bundesweite Bündnis Klinikrettung fordert.

Bei dem Versuch, das Ungleichgewicht zu Lasten der Pflege aufzuheben, blieb die Politik auf halbem Weg stehen. Zwar wurden Pflegekosten aus den DRG herausgenommen. Sie können seit 2020 so abgerechnet werden, wie sie tatsächlich anfallen. Aber das schafft keine neuen Pflegekräfte. Die Veränderung führte dazu, dass Krankenhäuser diese Fachkräfte aus Heimen und Reha-Einrichtungen abwerben. Eingesetzt werden viele von ihnen aber gar nicht für pflegerische Aufgaben, sondern etwa für den Krankentransport in den Häusern.

Außerdem wurden für verschiedene Bereiche seit 2019 Pflegepersonaluntergrenzen eingeführt, angefangen mit Geriatrie, Intensivmedizin, Unfallchirurgie und Kardiologie, inzwischen kamen acht weitere hinzu. Zu Beginn der Pandemie wurden diese aber ausgesetzt, damit die Krankenhäuser auf Engpässe besser reagieren können. Aktuell kommt diese Forderung erneut, was von Gewerkschaftern abgelehnt wird, da die Grenzen ohnehin zu knapp bemessen seien. Für den Ökonomen Augurzky sind wirklich neue Ansätze in diesem Bereich erst für 2022 zu erwarten, »wenn die Personalknappheit weiter steigt und man sich daher genau überlegen muss, wie die knappe Ressource ›Pflegefachkraft‹ eingesetzt werden soll«. Erst dann könne es zu einer inhaltlichen Aufwertung der Pflege kommen.

So lange warten wollen nicht alle. Für die Linke fordert deren Gesundheitspolitiker Harald Weinberg, Tarifflucht und Lohndumping zu beenden: 200 000 Beschäftigte in Tochtergesellschaften von Krankenhäusern könnten in ihre Stammbetriebe zurückgeholt werden. Die Refinanzierung der Personalkosten solle an Tarifverträge gebunden werden. Es sei zudem elementar, schnell Arbeitsbedingungen und Bezahlung zu verbessern. Hier kommt auch Weinberg auf die Personalbemessung zu sprechen - sie müsse »verbindlich und bedarfsgerecht« eingeführt werden, so der Gesundheitspolitiker gegenüber »nd«: »Als Zwischenlösung wäre dies die von Verdi, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelte Pflegepersonalregelung.« Diese, abgekürzt PPR2.0, soll die Pflegeuntergrenzen ablösen. Nach ersten Schätzungen wären mit der »Zwischenlösung« schon zwischen 40 000 und 80 000 Pflegekräfte mehr nötig.

Die Krankenhausbeschäftigten von Charité und Vivantes in Berlin nehmen es selbst in die Hand. Sie sind auf dem Sprung in neue Kämpfe für einen Tarifvertrag, der verbindliche Regelungen zur Entlastung für ihre Häuser festschreibt.

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