Auf die Fresse

In der französischen Serie »Derby Girl« kämpfen Frauen auf Rollschuhen um ihren Platz in der Gesellschaft

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Fairness ist gut, Entertainment ist besser. Würdevolles Verlieren mag zwar edel und ritterlich sein, weshalb es definitiv mehr Applaus gibt, der Siegerin die Hand zu reichen, als sie rigoros zu verstümmeln. Mehr Action aber bietet es, wenn die Vizeweltmeisterin im Eiskunstlauf ihrer siegreichen Gegnerin noch auf dem Podest eine Kopfnuss verpasst und mit der Kufe drei Finger abschneidet - das wissen wir spätestens, seit die talentierte Tonya Harding der talentierteren Nancy Kerrigan 1994 per Eisenstange das Knie zertrümmerte: nicht fair, nicht ritterlich, nicht edel, aber boulevardesk bis ins Extreme ausschlachtbar.

Was aus der Attentäterin wurde, wissen nur Eingeweihte, aber ganz ausgeschlossen ist es nicht, dass sie zehn Jahre später mit zehn Kilo mehr hinterm Tresen eines amerikanischen Sportgeschäfts stand und ihr Schicksal beklagte wie Lola Bouvier. Hardings fiktive Nachfolgerin war einst für die entfingerte Hand ihrer Konkurrentin verantwortlich. Zehn Jahre später steht sie mit zehn Kilo mehr hinterm Tresen eines französischen Sportgeschäfts und hört erst auf, ihr Schicksal zu beklagen, als jemand Lolas verschütteten Ehrgeiz weckt: ein Derby Girl. So heißen die Teilnehmerinnen eines Vollkontaktsports, bei dem martialisch gekleidete Frauen auf vier Rollen durch Turnhallen rasen und sich dabei gegenseitig von der Bahn checken.

»Derby Girl«, so heißt auch eine ZDFneo-Serie, in der genau dies im Mittelpunkt steht. Als Lola (Chloé Jouannet) einer Ladendiebin nachrennt, endet ihre Verfolgungsjagd nämlich beim Training des Spitzenteams der örtlichen Roller-Derby-Liga. Dummerweise kann sie besser Eiskunstlaufen als Rollerskaten. Und dann werden die »Black Weirdos« auch noch von Lolas alter Schulhofrivalin Jennifer (Sophie de Fürst) geführt, weshalb sie sich den Losern der »Cannibal Licornes« anschließt.

Damit schlägt Regisseurin Nikola Lange ein halbes Dutzend dramaturgischer Fliegen mit nur einer Serienklappe. Nach eigenem Drehbuch überträgt sie Davids biblischen Kampf gegen Goliath auf moderne Frauen des MeToo-Zeitalters, die so burschikos wie sexy sind und dabei ein komödiantisches Drama von funkensprühender Bedeutsamkeit aufführen, das auf Instagram genauso funktionieren würde wie bei Joko & Klaas oder am Filmmittwoch im Ersten. Roller Derbys sind schließlich cineastisches Eye Candy vom Feinsten - das erkannte Justin B. Herman schon 1949 und erhielt für seinen Kurzfilm »Roller Derby Girl« beinahe den Oscar.

60 Jahre später stieß Drew Barrymores Regiedebüt »Roller Girl« ins selbe Horn weiblicher Selbstermächtigung, während TV-Serien wie »The Glades« zumindest episodenweise ins Revier jener »Rollergirls« tauchen, das eine gleichnamige Dokuserie 2006 bekannt machte: knallharte Mädchen mit Helm und Hotpants, stilistisch und habituell eher »Mad Max« als »Sex and the City«, aber auch für Telenovela-Fans attraktiv. Denn während »Derby Girl« seine Hauptfiguren ständig leicht bekleidet auf Rennpisten hetzt, pulverisiert der Zehnteiler »Rollergirls« diverse Film- und Fernsehklischees.

Denen zufolge sind Männer unverdrossen härter, stärker, derber als Frauen, die ihrerseits hübscher, schlanker, gefälliger sind. Nikola Langes Personal hingegen, das bis auf Lolas besorgten Vater (Olivier Mag) und ihren schüchternen Schwarm Mickaël (Adrien Ménielle) ohnehin fast ohne Y-Chromosomen auskommt, ist so divers, als hätten es Gleichstellungsbeauftragte gecastet. Dick und dünn, schwarz und weiß, tough und zart, arm und reich, feminin und androgyn, kämpfen vielleicht nicht alle einträchtig, am Ende aber gemeinsam um ihren Platz in einer Klassengesellschaft, die abseits vom Sport kaum noch echte Aufstiegschancen bietet.

Obwohl »Derby Girl« also spürbaren Spaß am Slapstick hat, gern mit dem Humor aufgerissener Augen arbeitet und so sexistisch synchronisiert wurde, als seien die Übersetzer von Harvey Weinstein engagiert, ist die Serie ein glühendes Manifest gegen Bodyshaming, Misogynie und Rassismus, aber für Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit. Entertainment ist gut, mit Fairness noch besser.

»Derby Girl« in der Mediathek von ZDFneo

Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -