- Politik
- Corona-Impfpatente
»Es ist höchste Zeit«
Zivilgesellschaftliche Initiativen und Hilfsorganisationen fordern EU auf, zügig zu handeln - bisher Zurückhaltung bei Bundesregierung
Die USA haben die Welt in Erstaunen versetzt. Überraschend sprachen sie sich am Mittwoch dafür aus, den sogenannten TRIPS-Waiver zu unterstützen, also den Patentschutz auf Corona-Impfstoffe zeitweise auszusetzen. Bisher hatten sich vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen dafür starkgemacht, darunter etwa die deutsche Hilfsorganisation Medico international.
Lasst den Süden produzieren! Moritz Wichmann fordert, die Corona-Impfstoff-Patente freizugeben.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
»Endlich mal eine gute Nachricht in Zeiten von Impfstoffnationalismus und der Verteidigung des kapitalistischen Systems gegen das Recht auf bestmögliche Gesundheitsversorgung«, erklärte am Donnerstag Anne Jung, die Gesundheitsexpertin von Medico international. Auch wenn die globale Zivilgesellschaft einen »echten Teilerfolg und Etappensieg« errungen habe, sei aber noch nicht alles gut. So beziehe sich der Vorschlag ausschließlich auf Impfstoff und nicht auf alle relevanten medizinischen Produkte und Technologien. Dennoch stehe nun die EU unter Druck zu handeln - was auch wichtig sei.
»Es ist höchste Zeit für den Waiver, denn die Patente blockieren eine effektive globale Eindämmung des Coronavirus«, betonte Jung. Die Blockadehaltung der reichen Länder habe längst zu einer Spur der Verwüstung beigetragen, die man überall auf der Welt sehen könne. »Es sind die Spuren eines Systems, das zu künstlicher Impfstoffknappheit führt und in Indien, Südafrika, Brasilien und in den Flüchtlingslagern der Welt Hunderttausende das Leben kostet.« Sollte der Waiver beschlossen werden, könne dies einen Präzedenzfall schaffen. So könne dadurch ein Raum geöffnet werden, um der Forderung nach einer grundsätzlichen Abschaffung von Patenten auf lebensnotwendige Medikamente weltweit Nachdruck zu verleihen.
Auch die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen begrüßte die Erklärung der USA, eine Aussetzung der Patente auf Covid-19-Impfstoffe zu unterstützen. »Die Entscheidung der USA kann der Durchbruch sein, um die Pandemie weltweit zu stoppen. Nun müssen auch die Bundesregierung und die EU nachziehen«, sagte Elisabeth Massute, politische Referentin in der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. »Deutschland und Europa dürfen nicht als diejenigen in die Geschichte eingehen, die eine schnelle weltweite Ausweitung der Impfstoffproduktion blockiert haben.« Es reiche aber nicht, die Patente nur für Impfstoffe auszusetzen, so die Referentin. Dasselbe müsse für Tests, Medikamente, Schutzmasken und alles weitere Material gelten, das gebraucht werde, um die Pandemie zu stoppen, erklärte sie.
Die Linkspartei hatte für Donnerstagabend einen Antrag im Bundestag gestellt, um für die Patentfreigabe den Weg frei zu machen. »Auch die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen jetzt Menschenleben vor Profite stellen und ihre ablehnende Haltung zur Aufhebung des Patentschutzes für die Impfstoffe aufgeben«, sagte Achim Kessler, der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion. Dadurch könnten der »Impfnationalismus der reichen Länder« überwunden und sämtliche Produktionskapazitäten für Corona-Impfstoffe mobilisiert werden. »Anders ist diese Pandemie nicht zu besiegen«, so Kessler. Solange Bundesregierung und EU-Kommission ihre Impfstrategie nicht änderten, seien die Gewinner der Pandemie die Pharmakonzerne.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn blieb zunächst zurückhaltend. »Die ganze Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltige Weg aus dieser Pandemie«, sagte er am Donnerstag. Eine Lockerung des Patentschutzes befürworte er aber nicht. Wichtiger seien vor allem der weitere Ausbau von Produktionsstätten und mehr Exporte.
Dagegen zeigte sich Außenminister Heiko Maas offen für eine Aufweichung des Patentschutzes. »Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffen versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen«, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag. Die Pandemie könne nur besiegt werden, wenn weltweit geimpft werde.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.