Hier sind die Roboter

Wie die Digitalisierung in Kombination mit der Pandemie zur »Herausforderung« für den Sozialstaat wird

Die Digitalisierung gilt derzeit als Heilsbringer. Sie soll ein besseres Leben ermöglichen, leichtere Kommunikation und effizientere Fabriken. Gleichzeitig gilt sie als soziale Bedrohung. So warnt der Internationale Währungsfonds davor, dass die Digitalisierung die Ungleichheit erhöhen wird. Die EU-Kommission hat in den Mittelpunkt ihres Sozialgipfels zum Ende dieser Woche die »Herausforderung des digitalen Wandels« gestellt und sich vorgenommen, »dass niemand zurückgelassen wird«. Wachsende Ungleichheit und soziale Probleme jedoch sind keine unerwünschten Nebeneffekte der neuen Technik, sondern direkte Folge ihres Einsatzzwecks: mehr Produktivität.

Die EU-Kommission hat angekündigt, »das kommende Jahrzehnt zur Digitalen Dekade Europas zu machen«. Denn die neue Technik sei von entscheidender Bedeutung beim erfolgreichen Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft nach der Corona-Pandemie. Das betrifft nicht nur neue Konsumgüter wie selbstfahrende Autos oder schnellere Mobilfunkverbindungen. Sondern vor allem die Produktion selbst. Die Digitalisierung ist Teil einer industriellen Transformation. »Die Fertigung steht angesichts schneller Innovationszyklen sowie eines hohen Wettbewerbs- und Kostendrucks vor einem gravierenden Wandel«, so die DZ Bank, neue Technologien »werden die Fabrikautomation neu definieren«.

Das Ziel: Wettbewerber abhängen

Das Ziel der Unternehmen ist es dabei, die Arbeit immer produktiver zu machen, darüber Stückkosten zu senken, um den Profit zu erhöhen und die Wettbewerber abzuhängen. Dazu dient ihnen der Einsatz künstlicher Intelligenz, mit der sie große Mengen an Datenmengen nutzbar machen. Mittels »Augmented Reality« werden Fabrikarbeiter in Echtzeit auch mit visuellen Informationen versorgt. Die Datenverarbeitung via »Edge Computing« bringt Zeit- und damit Kostenersparnis. Blockchain-Technologie, autonome Systeme und »Cognitive Engineering« können die Automatisierung und Vernetzung von Produktionsprozessen weiter vorantreiben.

In diesem globalen Rennen um die Erhöhung des Output pro Beschäftigten will die EU vorne mit dabei sein. »Ohne eine Automatisierung und Digitalisierung«, so die französische Bank Natixis, »wird es Europa nicht gelingen, in das billigere Ausland ausgelagerte Produktion wieder nach Hause zu holen.« Der Ausgangspunkt ist gut: Unter den zehn Ländern mit der höchsten Roboter-Dichte pro 100 000 Beschäftigten steht Deutschland an vierter Stelle hinter Singapur, Südkorea und Japan. Dahinter folgen Schweden und Dänemark. Belgien liegt knapp hinter den USA auf Platz 10.

Das »Superstar-Muster«

Profiteure der sinkenden Stückkosten und höheren Produktivität sind zum einen die Konsumenten, die tendenziell niedrigere Preise bezahlen müssen. Zum anderen sind es die Unternehmen - und hier vor allem die bereits erfolgreichen Unternehmen. Eine Gruppe um den Ökonomen Jens Südekum hat bei einer Untersuchung der europäischen Industriebranchen ein »Superstar-Muster« entdeckt: Der vermehrte Einsatz von Robotern »nützt überproportional jenen 20 Prozent der Firmen, die bereits an der Spitze der Produktivitätsskala stehen«. Sie können ihren Vorsprung ausbauen.

So setzen die »Superstar-Konzerne« ihren Konkurrenten die Maßstäbe der Produktivität und machen ihre Steigerung mittels Digitalisierung zum allgemeinen Zwang. »Irgendwann müssen alle Unternehmen automatisieren«, sagt Tera Allas von der Unternehmensberatung McKinsey, »weil es einfach billiger und besser ist - auch besser für die Beschäftigten.«

Aber eben nicht für alle Beschäftigten. Hochproduktive Arbeitsplätze überleben die Transformation, andere verschwinden, und den Lohnabhängigen drohen Arbeitslosigkeit oder schlechter bezahlte Jobs im gering produktiven Bereich, zum Beispiel im Dienstleistungssektor. Das erlebten bereits die USA, wo vor drei Jahren die Zahl der Industriearbeitnehmer erstmals unter die Zahl der im Gastgewerbe Beschäftigten fiel. »Aus gut bezahlten Autobauern haben wir Barkeeper gemacht«, schrieb damals die Internetseite »Naked Capitalism«.

Diese Tendenz beschäftigt nun auch den Internationalen Währungsfonds (IWF). »Wir sehen, wie Automatisierung die Welt der Arbeit verändert«, schrieb er vergangene Woche, »mit niedrigeren Kosten und höherer Produktivität auf der einen Seite und unsicherer Beschäftigung auf der anderen.« Der vermehrte Einsatz von Robotern verstärke die Ungleichheit zum einen zwischen besser und schlechter bezahlten Jobs, zum anderen zwischen Kapital und Arbeit, da die Roboter »Einkommensströme zu den Kapitaleignern leiten«, so der US-Think-Tank Brookings.

Hier habe der Corona-Ausbruch »Öl ins Feuer gegossen«, erklärt der IWF. Wie bereits die vorangegangenen Pandemien Sars, H1N1, Mers und Ebola beschleunige auch Covid-19 den Trend, Menschen durch Automaten zu ersetzen. Denn im Gegensatz zu menschlichen Arbeitskräften werden Roboter nicht krank, sie müssen nicht vor einer Pandemie geschützt werden und sind daher billiger. Zudem, so fand eine Untersuchung der Universität Trient zur italienischen Industrie heraus, sei in hochautomatisierten Fabriken das Ansteckungsrisiko für Beschäftigte deutlich geringer.

Für die Unternehmen besteht also ein zusätzlicher Anreiz zur Automatisierung, um für die nächste Pandemie gewappnet zu sein. Und die wird kommen: Bereits 2014 kam eine US-britische Forschergruppe nach einer Übersicht über 305 Studien zur globalen Landnutzung zu dem Schluss, dass Landwirtschaft, Bergbau, Ölförderung zunehmend in zuvor unbewohnte Regionen vordringen. Knapp 57 Prozent der Studien fanden als Ergebnis eine »zunehmende Übertragung von Krankheitserregern«.

Folge: In einer Umfrage der Unternehmensberatung E&Y im Jahr 2020 gaben mehr als 80 Prozent der befragten europäischen Unternehmen an, sie erwarteten eine Zunahme der Automatisierung im Zuge der Corona-Pandemie. Damit besteht die Gefahr einer zunehmenden Spaltung zwischen Digitalisierungsgewinnern und -verlierern. Letztere finden sich laut IWF bislang vor allem unter den gering qualifizierten und produktiven Beschäftigten, was die »Dynamik der bereits bestehenden Ungleichheitsentwicklung verstärkt«. In den USA hat dies eine zusätzliche gesellschaftliche Komponente: Da Schwarze Menschen überproportional schlecht ausgebildet sind und schlecht bezahlte Tätigkeiten ausführen, stellt die Automatisierung »Schwarze und hispanische Communitys vor besondere Herausforderungen«, warnt die Denkfabrik Brookings.

Zu den Profiteuren der »Digitalisierung« gehören damit vor allem die Eigentümer jener Unternehmen, die ihre Produktivität am schnellsten steigern können, sowie jener Firmen, die die digitale Rationalisierungstechnik herstellen und verkaufen. Hier findet sich an vorderster Stelle der deutsche Maschinenbau: Bei den deutschen Ausfuhren in die USA beispielsweise »fällt der Anteil von Maschinen wie etwa Industrieroboter fast so hoch aus wie bei den Autos und Autoteilen«, so die DZ Bank. »Unternehmen wie Siemens und PSI Software sind unseres Erachtens durch ihre markführende Positionierung natürliche Gewinner der industriellen Transformation.«

Fairness und Finanzen

Auf der anderen Seite stehen die abhängig Beschäftigten. Bei einem Teil von ihnen entwerten sich ihre beruflichen Qualifikationen, sie werden durch Maschinen ersetzt. Der andere Teil wird durch die digitale Technik produktiver gemacht, woraus - je nach Sichtweise - mehr Effizienz oder mehr Ausbeutung resultiert.

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Portugals Premierminister betont zwar, dass »die soziale Dimension der EU von entscheidender Bedeutung ist, um sicherzustellen, dass der Wandel, den unsere Gesellschaften brauchen, fair und inklusiv ist und niemand zurückgelassen wird«. Ob das gelingt, ist aber auch eine nationale Frage, und damit eine Frage der Staatsfinanzen. Hier hängt alles davon ab, inwiefern ein Standort in der Lage ist, zu den Gewinnern der industriellen Transformation zu gehören. »Die Digitalisierung bietet sowohl Chancen als auch Risiken für den Sozialstaat«, fasst Deutsche-Bank-Ökonom Sebastian Becker zusammen. Sofern der Fiskus es schaffe, die Digitalisierungsgewinne hinreichend zu besteuern, könne der Strukturwandel die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen stärken. »Bei einer technologischen Massenarbeitslosigkeit, ausgelöst durch eine umfassende Substitution von Arbeit durch Kapital, müsste der Staat jedoch die Finanzierungsfrage neu stellen.«

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