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Depression in gelben Kniestrümpfen
Die Serie »The Mopes« vermenschlicht psychische Krankheiten - und das so heiter wie ernsthaft
Wenn sich eine Depression vermenschlicht, zum plastischen Verständnis der fiesen kleinen Stiefschwester des Wahnsinns - wie würde sie wohl aussehen? Vermutlich geisterhaft gekleidet und trist, grau in grau statt fröhlich bunt, eher Dementor aus Harry Potter als das, was Nora Tschirner in »The Mopes« trägt: Blauer Steppblouson mit Applikationen, Strickpullover, Socken in Dottergelb, dazu weißes Hemd mit ähnlich strahlender Fliege, Badelatschen überm Schuhwerk und fast schon keck: ein graues Strähnchen im Bubikopf.
Klingt irre? Ist irre! So irre eben wie der Sechsteiler, den das Filmemacherpaar Christian (Regie) und Ipek (Buch) Zübert auf den Videoportalen TNT, Fox oder Sky zum Besten gibt. Tschirner ist darin eine Mitarbeiterin der unterirdischen Abteilung für psychische Erkrankungen, die hier mal keine Störfälle im menschlichen Gemüt sind, sondern ulkig gekleidete Menschen aus Fleisch und Blut. Ihre Arbeit besteht darin, Betroffenen zur Leidenseinsicht zu verhelfen, damit sie sich hernach in Therapie begeben und wieder gesund werden können. Klingt nach einer bizarren, aber honorigen Aufgabe.
Tschirner jedenfalls, Dienstnummer F32.1-2011/01, hat elf Personen in Folge der Heilung zugeführt, wofür sie der Abteilungsleiter beim Tagesappell aller Störungen von Schizophrenie bis Zwangsneurose mit einer Art Industriedenkmal sogar ausdrücklich belobigt. Doch ihr zwölfter Einsatz, der gescheiterte Popstar Mat (Roel Dirven), zeigt sich nach seinem Rauswurf bei einer populären Boyband, als beratungsresistent. Damit nicht genug: als sie sich neben ihn ins Bett legt und Bosheiten wie »du bist wertlos« zuflüstert oder »deine Songs sind nur leere Hüllen ohne Bedeutung«, erwacht der Exilamerikaner und kann Monika, so wird er seine Krankheit bald nennen, leibhaftig sehen.
Auch diese »Diskrepanzia«, wie ihr Chef (Matthias Matschke) den absoluten Ausnahmefall seiner Einrichtung nennt, sorgt allerdings nicht für die erwünschte Eigendiagnose, sondern allerlei drollige Verwicklungen - schließlich bleibt Monika für alle außer Mat verborgen, weshalb ihre ständigen Dispute miteinander sein Krankheitsbild, aber nicht seine Erkenntnis verstärken. »Das hört sich doch sehr nach Depression oder Psychose an«, sagt der Nervenarzt, den ihm seine Freundin Susa (Paula Kalenberg) aufdrängen musste, woraufhin Mat nur »you suck« antwortet, Brachialenglisch für Unsinn. Und spätestens hier wären »The Mopes« dort angelangt, wo es bei allem Spaß ernst wird.
Oberflächlich gesehen geht es in sechsmal 30 Minuten absurder Psychopersiflage zwar ganz angenehm vergnüglich zu. Ästhetisch irgendwo zwischen Wes Anderson und Terry Gilliam gelegen, hat Regisseur Zübert ein retrofuturistisches Pandämonium unserer inneren Abgründe erschaffen, das vor bitterbösem Wortwitz nur so strotzt. Unterm surrealen Lack allerdings lauert ein Blick in die traurige Wirklichkeit der selbstoptimierten Leistungsgesellschaft. Und die betrifft nicht nur, aber vor allem Männer.
Männer wie Mat. Männer, wie es viele gibt. Deren starrsinnige Angewohnheit nämlich, psychische Krankheiten als Schwäche anderer abzutun, ist ähnlich virulent wie die Verbreitung von Depressionen, von denen die deutsche Gesundheitsstatistik zuletzt sechs Millionen Fälle zählte - ein Wert, den Pandemie und Lockdown fraglos massiv gesteigert haben. Doch anstatt sich seiner Diagnose zu stellen, beginnt Mat wie so viele seiner Artgenossen zu verwahrlosen. Susa wendet sich von ihm ab, sein engstes Umfeld ebenso.
Alles geht den Bach runter. Und dann stößt Monika, die ihren Fall schnell lösen muss, um nicht degradiert zu werden, auch noch auf eine Selbsthilfegruppe ihrer eigenen Abteilung, deren Mitglieder selber seelenkrank sind. Es geht also konfus zu bei »The Mopes«, was übersetzt »Trübsalbläser« bedeutet. Weil Konfusion und Trübsal allerdings so wahrhaftig und klug sind, so lustig und nur ganz selten albern, bietet die Serie gleichermaßen Heiterkeit und Erkenntnis.
»The Mopes« auf TNT
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