Gefährliches Pflaster für Regimekritiker

Aserbaidschanischer Aktivist unter mysteriösen Umständen in der Türkei ums Leben gekommen

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 3 Min.

Vergangene Woche wurde in Istanbul die Leiche des anarchistischen Aktivisten Bayram Mammadov gefunden. Mammadov war für ein Master-Studium aus Aserbaidschan in die Türkei gezogen. Die türkische Polizei und aserbaidschanische Medien stellen seinen Tod als Selbstmord oder Badeunfall dar, doch Mammadovs Freunde gehen davon aus, dass hier etwas vertuscht werden soll. Grund für ihr Misstrauen sind widersprüchliche Polizeiberichte sowie die Tatsache, dass Mammadov Tage zuvor seinen Eltern angekündigt hatte, sie bald in Baku zu besuchen.

Mammadov ist in Aserbaidschan ein bekannter Oppositioneller, der das Regime des autokratischen Staatspräsidenten Ilham Alijew kritisiert. Bereits im Mai 2016 wurde der damals 22-Jährige gemeinsam mit seinem Genossen Giyas Ibrahimow wegen angeblichen Drogenbesitzes verhaftet. Wie Amnesty International damals berichtete, erfolgte die Festnahme einen Tag, nachdem Mammadov ein Foto eines Graffitis auf Facebook gepostet hatte, das er und Ibrahimov an die Statue des ehemaligen Präsidenten Heydar Alijew gesprüht hatten. Mammadov und Ibrahimov wurden jedoch nicht wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt, worauf maximal ein Jahr Haft stünde, sondern wurden zu zehn Jahre Freiheitsentzug verurteilt - wegen angeblichen Drogenbesitzes. Die beiden Angeklagten weigerten sich, ein Geständnis zu unterzeichnen. Nach dem Verhör dokumentierte ihr Rechtsanwalt Spuren von Folter, die ihnen während der Befragung zugefügt wurde. 2019 wurden Mammadov und Ibrahimov dann durch ein präsidiales Dekret begnadigt, kurz darauf verließen sie das Land. Im Februar 2020 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Inhaftierung der beiden Aktivisten politisch motiviert und damit unrechtmäßig gewesen sei. Ibrahimov, der wie Mammadov seit 2019 in der Türkei lebte, wurde rund zwei Wochen vor Mammadovs Tod ohne Angabe von Gründen nach Aserbaidschan abgeschoben.

Mammadovs damaliger Zellengenosse İlkin Rüstemzade, der ihn während seiner dreijährigen Haft kennengelernt hatte, sprach kurz nach dem Fund der Leiche in einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender Artı TV über die Ungereimtheiten des türkischen Polizeiberichts. Dort werden zwei unterschiedliche Fundorte der Leiche genannt, die sich zwar beide auf der anatolischen Seite Istanbuls befinden, jedoch rund drei Kilometer voneinander entfernt liegen. Hinzu kommen die Aussagen der Zeugen, die ausnahmslos Polizeibeamte sind. Sie berichten, dass Mammadov ins Wasser gesprungen sei, um seine Schuhe herauszuholen, jedoch nicht schwimmen konnte und ertrank. Rüstemzade fragt an dieser Stelle, warum dem Ertrinkenden niemand zu Hilfe gekommen sei oder man nicht schon vorher auf ihn aufmerksam geworden, denn in Istanbul herrscht momentan aufgrund der Pandemie eine strikte Ausgangssperre.

Rüstemzade merkte an, dass sie bereits vor Mammadovs Umzug in die Türkei über die dortigen Risiken für aserbaidschanische Oppositionelle gesprochen hatten. In der Vergangenheit wurden zahlreiche Menschenrechtsaktivisten und Journalisten von türkischen Sicherheitsbehörden deportiert, beispielsweise unter dem Vorwurf, für Armenien zu spionieren. Zuletzt wurde die enge Zusammenarbeit zwischen dem Alijew-Regime und der türkischen Regierung im Krieg um Berg-Karabach deutlich, in dem die Türkei Drohnen an Aserbaidschan lieferte und der Armee damit einen entscheidenden Vorteil gegenüber Armenien verschaffte. Weiterhin sagte Rüstemzade, dass Mammadov vom türkischen Geheimdienst überwacht worden sei. Mammadov selbst habe diese Information sowohl ihm anvertraut als auch dem aserbaidschanischen Investigativjournalisten Afgan Mukhtarli, der sich im deutschen Exil befindet. Bei jeder Einreise in die Türkei werde er am Flughafen vom Sicherheitspersonal zu den Gründen und der Länge seines Aufenthalts verhört.

Auf Nachfrage von »nd« betonte Rüstemzade, dass man noch nicht von einem Mord sprechen könne, jedoch erhebliche Zweifel an der polizeilichen Darstellung der Todesursache bestünden. Ibrahimov, der ebenfalls wegen des Graffitis verhaftet worden war und sich ebenfalls in der Türkei befand, wurde ohne Angabe von Gründen, kurz vor dem Fund der Leiche Mammadovs, nach Aserbaidschan abgeschoben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -