Hertha will den »Joker« spielen
Die Berliner hoffen im Abstiegskampf nach dem 0:0 gegen Bielefeld auf einen Sieg gegen Schalke
Kurz nach Abpfiff der Bundesligapartie zwischen Hertha BSC und Arminia Bielefeld versammelten sich die Fußballer, Trainer und Betreuer der Berliner wie zuletzt immer in einem Kreis. Nach dem torlosen Remis im Abstiegskampf war die Stimmung aber sehr viel gedämpfter als drei Tage zuvor nach dem 3:0-Sieg gegen den SC Freiburg an gleicher Stelle im Olympiastadion. Am vergangenen Donnerstag hatte Herthas Sportdirektor Arne Friedrich den Torschützen Krzysztof Piatek dabei noch euphorisch in die Luft gestemmt, am Sonntagabend redete Friedrich beim Gang in die Kabine aufmunternd auf Angreifer Jhon Cordoba ein.
Aufbauarbeit musste auch Pal Dardai leisten. »Nach dem 0:0 waren alle traurig. Sie wollten eigentlich einen Befreiungsschlag schaffen. Wir müssen das Ergebnis akzeptieren«, sagte der Berliner Trainer. »Ich möchte, dass wir zufrieden sind. Ich habe noch keine Mannschaft erlebt, die im Abstiegskampf jede Patrone an die richtige Stelle schießt.«
Der Abstiegskampf in der 1. Bundesliga läuft auf ein dramatisches Saisonfinale hinaus. Schalke ist längst verloren. Aber noch werden ein weiterer direkter Absteiger und eine Mannschaft für die Relegation gegen den Drittplatzierten der 2. Bundesliga gesucht. Nach der 1:4-Heimpleite gegen den SC Freiburg sieht es für den 1. FC Köln mit 29 Punkten am schlechtesten aus. Die vor den Kölnern liegenden Teams von Bielefeld, Werder Bremen und Hertha haben allesamt zwei Punkte mehr auf dem Konto. Aber auch der FC Augsburg mit 33 Zählern muss noch bangen. Das gilt auch für den FSV Mainz 05, der aber mit 35 Punkten zumindest nicht mehr direkt absteigen kann.
Hertha BSC nimmt in diesem Ringen um den Klassenerhalt eine Sonderrolle ein. Die Charlottenburger, die wegen mehrerer Coronafälle im Trainerstab und der Mannschaft 14 Tage lang in häuslicher Quarantäne waren und nicht trainieren konnten, mussten in der vergangenen Woche drei Mal antreten. Mit dem 1:1 in Mainz, dem Dreier gegen Freiburg und der Nullnummer gegen Bielefeld lief es hinsichtlich der Ausbeute halbwegs rund. »Wir müssen den Punkt gegen Bielefeld mitnehmen und positiv bleiben. Drei Spiele mit fünf Punkten aus dem Wohnzimmer heraus sind gut. Diesmal waren wir nicht so frisch und nicht so fit«, sagte Dardai.
Die Berliner gehen das Unternehmen Klassenerhalt mit einer Dauerrotation an. Dardai spricht von zwei Mannschaften. Die Idee ist, alle drei Tage eine stark veränderte Anfangself auf den Rasen zu schicken. Gegen Freiburg hatte der Trainer im Vergleich zum Auftritt in Mainz neun neue Spieler beginnen lassen. Gegen Bielefeld gab es wiederum acht Änderungen in der Startelf.
In diesem Rahmen dürfte sich das auch im letzten Nachholspiel am kommenden Mittwoch auf Schalke und am Sonnabend im nächsten regulären Punktspiel zu Hause gegen Mitkonkurrent Köln bewegen. Dass Hertha das so durchziehen kann, beeindruckte auch die Bielefelder. »Wenn man sich den Kader anschaut, die beiden Mannschaften, die zuletzt gespielt haben, ist das schon eine Top-Truppe«, sagte Arminias Coach Frank Kramer
So ganz ging der Hertha-Plan aber nicht auf, die sehr kompakt und aggressiv agierenden Bielefelder mit einem Sieg distanzieren zu können. Der am Sonntag über Berlin hereingebrochene Sommer machte vor allem den coronageplagten Gastgebern zu schaffen. »Die Witterung hat uns Probleme bereitet, wir waren schlapp«, gestand Torwart Alexander Schwolow ein. Am Mittwoch werden in Gelsenkirchen aber wieder nur 17 anstatt knapp 30 Grad erwartet. Das kann für Hertha nur gut sein, um einen Pflichtsieg zu landen.
Chefcoach Dardai nennt dieses Nachholspiel einen »Joker«. Mit einem Sieg würde Hertha vor dem Heimspiel gegen Köln viel Ballast abwerfen. Für die Berliner spricht dabei, dass die Mannschaft seit sechs Begegnungen ungeschlagen ist. Zudem sorgte die Quarantäne ein Stück weit dafür, dass das vorher gefühlt aus vielen Individualisten bestehende Team eine Einheit geworden ist. »Wir haben das Beste daraus gemacht und sind zusammengewachsen«, so Schwolow. »Jetzt erst recht«, heißt das Motto bei Hertha. Die viel beschriebene Rotation ist aber teilweise auch eine erzwungene. Die Mittelfeldspieler Matteo Guendouzi und Sami Khedira verletzten sich bereits gegen Freiburg. Im Duell mit Bielefeld erwischte es nun Außenbahnspieler Maximilian Mittelstädt und den brasilianischen Offensivstar Matheus Cunha.
Unabhängig von all den Problemen wurde am Montag der Vertrag von Dardai bis zum Sommer 2025 verlängert. Es handelte sich aber nicht um den Kontrakt des Trainers, sondern um den seines Sohnes Marton. Der 19-jährige Verteidiger bestritt in dieser Saison seine ersten zehn Bundesligaspiele. Nun kann das Berliner Eigengewächs dafür sorgen, dass sein Vater auch nach Saisonende seinen Job als Cheftrainer der Profis behält.
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