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- Gesundheitsversorgung
Genügend Ärzte haben nur die Reichen
Pandemie und Impfversorgung zeigen: In vielen Bezirken herrscht haus- und fachärztliche Unterversorgung
So drängend das Problem nicht erreichbarer Arztpraxen oder kaum zu ergatternder zeitnaher Termine gerade in der Pandemie für viele Hauptstädter*innen ist: Neu ist es nicht. Und es betrifft schon lange vor allem die sozial belasteten Bezirke, in denen viele Menschen auf engem Raum leben, die Bevölkerungsstruktur vor allem von Älteren geprägt ist und der Zuzug junger Familien dennoch anhält – auch aufgrund von Verdrängung aus anderen Stadtvierteln.
Insofern gibt es auch große Unterschiede zwischen den Bezirken, sowohl haus- als auch fachärztlich. So bewegt sich der Versorgungsgrad bei Augenheilkunde zwischen 68 Prozent in Neukölln und 152 Prozent in Charlottenburg-Wilmersdorf. Ähnliche Schwankungen gibt es auch für Gynäkolog*innen und Hautärzt*innen.
Laut Aussagen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gibt es genügend Ärzt*innen in Berlin und die ärztliche Versorgung sei für alle Bürger*innen sichergestellt. Diese Ansicht widerlegt ein am Mittwoch vorgestelltes Gutachten mit dem Titel »Regionale ambulante Versorgung«, das auch »nd« vorliegt. Darin geht es um die Verbesserung ärztlicher Versorgung in den Ost-Außenbezirken Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Lichtenberg. Erstellt haben es die Gesundheitswissenschaftler*innen Verena Vogt, Raimund Geene und Laurette Rasch von der Berlin School of Public Health, einer institutsübergreifenden Einrichtung der Alice-Salomon-Fachhochschule und der Technischen Universität Berlin. In Auftrag gegeben hat es das Kommunalpolitische Forum unter Leitung des Lichtenberger Bezirksbürgermeisters Michael Grunst (Linke), einer Initiative für Fort- und Weiterbildung in Landes- und Bezirkspolitik.
Dagmar Pohle, Linke-Bürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf sagt es am Mittwoch ganz deutlich: »Es gab bei der Kassenärztlichen Vereinigung lange überhaupt kein Bewusstsein für die schwierige Situation, die in manchen Bezirken herrscht.« Pohles Expertise zu dem Thema rührt auch aus der Tätigkeit als Gesundheitsstadträtin in »Ma-He« in vierter Legislatur. »Wir sind mit dem Anliegen der Bürger, ausreichend ambulant versorgt zu werden, immer konfrontiert«, sagt Pohle. Es sei falsch zu sagen: Auf dem flachen Land sei es noch schlimmer und in Berlin alles in Ordnung, kritisiert die Bürgermeisterin. »Eine alleinerziehende Mutter in einer geringfügigen Beschäftigung und mit Transferleistungsbezug, die ein kinderpsychiatrisches Angebot braucht, kann doch nicht von Marzahn-Hellersdorf nach Charlottenburg-Wilmersdorf fahren – allein vor dem Hintergrund der Kosten«, erklärt Pohle beispielhaft die Situation, wie sie sich für viele Menschen vor allem in den Großsiedlungen in ihrem Bezirk darstellt.
Die Bezirksbürgermeisterin bezieht sich hier auch auf die Tatsache, dass der kinder- und jugendpsychiatrische Versorgungsgrad zwischen 430 Prozent in Charlottenburg-Wilmersdorf und 71 Prozent in Marzahn-Hellersdorf liegt.
Die Bezirke sind erster Ansprechpartner der Bürger*innen bei Fragen einer wohnortnahen Gesundheitsversorgung, sagt auch Michael Grunst. Hier wisse man am besten, wie viele und welche Ärzt*innen in den einzelnen Sozialräumen für eine angemessene Gesundheitsversorgung unter Berücksichtigung einer wachsenden, alternden und zunehmend diversen Bevölkerung gebraucht werden. Dennoch habe man bezirklich kaum Einfluss auf die Verbesserung des Zugangs zu ambulanter Versorgung. Die Entscheidung über Niederlassungen trifft die KV, Berlin wurde dabei noch bis zum letzten Jahr als ein großer Planungsraum gedacht. Erst 2020 wurden die drei am schlechtesten versorgten Bezirke Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick aus dem einheitlichen Planungsbereich Berlin herausgelöst und in zwei eigene Planungsräume überführt.
»Auffällig ist: Bessergestellte haben auch die bessere ärztliche Versorgung, dabei sollte es doch eigentlich andersherum sein«, wundert sich Verena Vogt. Die Umverlegung von Praxissitzen nach einem Sozial-Index, könne nur ein erster Schritt sein. Die Sozialmedizinerin und ihre Kolleg*innen plädieren dafür, noch viel kleinräumiger zu planen, die Zivilgesellschaft mehr mit einzubeziehen und den Kommunen mehr Mitspracherechte einzuräumen. Man müsse »dichter an die Basis«. Beispielhaft seien Projekte wie das zukünftige Zentrum des Gesundheitskollektivs Neukölln.
Die dabei entstehenden Kosten könnten die Bezirke jedoch nicht allein stemmen, gibt Dagmar Pohle zu bedenken. Sie hofft darauf, die neuen Erkenntnisse baldmöglichst mit der KV Berlin diskutieren zu können.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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