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Teneriffa im Wartemodus

Die Kanaren hoffen auf eine Rückkehr des Massentourismus. Derzeit ankern die Kreuzfahrtriesen vor den Stränden, um Hafengebühren zu sparen

  • Moritz Wichmann, Santa Cruz
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Kreuzfahrtschiffe vor dem Strand Playa de Las Teresitas sind zum Symbol der Coronakrise auf den Kanaren geworden. Manchmal sind es vier, manchmal sechs »Pötte«, die sanft um ihren Anker kreisen, wenn der Wind vor dem größten Strandabschnitt Teneriffas alle paar Stunden dreht. Wochen- oder monatelang liegen sie nun schon da, nur hin und wieder tuckert eines der Schiffe in den nahe gelegenen Hafen der Inselhauptstadt Santa Cruz. Meist aber ankern sie hier vor der Nordküste der Insel - die Reedereien sparen so Hafenliegegebühren.

Die Strandbesucher haben sich an die bizarre Kulisse längst gewöhnt. Dieser Tage besuchen nur wenige Menschen den mit rund einem Kilometer Länge größten Strand im Inselnorden - es sind vor allem Einheimische, die meist am Wochenende kommen. Hin und wieder hört man auch Französisch oder Deutsch. Auch die Inselhauptstadt Santa Cruz gehört derzeit überwiegend den Tinerfeños, nur wenige Touristen streifen durch die Altstadt rund um den Plaza de España.

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Der Besucher aus Frankreich

In einer Seitenstraße blättert Pascal Fahet in einem Reiseführer. »Ist das hier das Kolonialviertel?«, fragt er. Der 60-Jährige muss sich noch orientieren, er ist mit seiner Partnerin den strikten Lockdown-Maßnahmen in seiner Heimat Frankreich entflohen, um eine Woche auf der Insel zu verbringen. Fahet lobt die Corona-Maßnahmen auf den Kanaren. Die seien strikt und würden seiner Beobachtung nach gut eingehalten. Monatelang galt auf der spanischen Inselgruppe vor der Nordwestküste Afrikas ab 22 Uhr eine Ausgangssperre - Anfang der Woche hob ein Gericht sie auf. Weitere Maßnahmen wie Maskenpflicht überall in der Öffentlichkeit gelten aber weiter. Läden dürfen nur wenige Kunden einlassen, am Eingang werden Besucher auch persönlich auf die Desinfektionsgelspender hingewiesen. Auf Teneriffa ist nur Außengastronomie erlaubt - maximal vier Personen an einem Tisch; die Maske darf nur dort abgenommen werden.

Die Wirtschaft der Kanaren hängt stark vom Tourismus ab, der rund 40 Prozent der Einnahmen generiert. Deswegen versucht die Regionalregierung mit einem Stufenplan, die Virusausbreitung einzudämmen. So will man nach außen das Signal senden, dass die Kanaren ein sicheres Reiseziel sind - mit gewissem Erfolg. Erst im September 2020 erklärte das Robert-Koch-Institut die Kanaren zum Risikogebiet, hob die Einschätzung dann Ende Oktober wieder auf, um die Inseln Ende Dezember erneut derart einzustufen. Die Corona-Inzidenz lag im Dezember und Januar knapp unter 100.

Vor dem Karneval Mitte Februar und Ostern verschärfte die Regierung der Kanaren vorsorglich die Maßnahmen, die Sieben-Tage-Inzidenz pendelte wochenlang im 60er-Bereich, Anfang Mai ist sie unter 50 gesunken. Zum 16. Mai hob das deutsche RKI die Einstufung der Kanaren als Risikogebiet wieder auf. »Ich fühle mich hier sicherer als in Frankreich«, sagt Fahet. Dann schwärmt er vom grünen Anaga-Nationalpark im Norden, den er und seine Frau bereits erkundet haben. Den Süden der Insel mit den vielen großen Hotels findet er dagegen nicht so schön. Er habe keine Angst gehabt, hierherzureisen, schließlich sei dies nicht verboten.

Doch viele andere blieben weg, freiwillig oder gezwungenermaßen: 2020 waren im Januar und Februar noch jeweils 1,2 Millionen Touristen angereist. Im März und April 2020 waren es null, danach nur etwa 200 000 pro Monat. Das zeigen die Zahlen des Statistikinstituts der Kanarischen Inseln ISTAC. Die aktuellsten Daten liegen für Februar 2021 vor: Nur 109 000 Touristen besuchten die sieben Hauptinseln mit ihrer Einwohnerschaft von etwas mehr als zwei Millionen Menschen - ein neuer Tiefpunkt. Auch die Übernachtungszahlen sind seit Beginn der Pandemie teilweise bis zu 90 Prozent eingebrochen. Der Flugverkehr ging ähnlich stark zurück, die Airlines strichen mangels Buchungen viele Flüge.

Die digitalen Nomaden

Eine neue Gruppe, die jetzt hierherkommt, sind die digitalen Nomaden. Überwiegend junge und gebildete Menschen, die im IT-Bereich oder anderen Bürojobs arbeiten, in denen Homeoffice möglich und kein physischer Kundenkontakt nötig ist. Einer von ihnen ist Marc Wieland. Der 25-Jährige arbeitet schon seit mehr als zwei Jahren »hauptsächlich von unterwegs«, wie er sagt. Seit Ende März ist der Software-Entwickler auf den Kanaren. Er zieht von einer Unterkunft zur nächsten, sechs waren es bisher. Tagsüber arbeitet er am Laptop, abends und am Wochenende entdeckt er »laufend neue Orte«.

Derzeit überwiegend lokal besucht: Der Playa Teresitas nördlich von Santa Cruz
Derzeit überwiegend lokal besucht: Der Playa Teresitas nördlich von Santa Cruz

Gerade hat Wieland die Insel gewechselt. Er arbeitet jetzt nicht mehr auf Teneriffa, sondern auf Gran Canaria. Eigentlich wollte er nach Thailand weiterziehen, doch nun hat das südostasiatische Land seine Einreisebestimmungen wieder verschärft. »Deswegen klappt’s wohl erst im September, ich bleibe vorerst auf den Kanaren«, sagt Wieland. Die Corona-Politik der Kanaren findet er »sehr gut«, verweist auf die einfache Einreise und Maßnahmen, die »wohl helfen, die Zahlen tief zu halten«, wie er findet. Einige Hoteliers haben ihr Angebot angepasst und vermieten ihre Räume wie WG-Zimmer an die neue Klientel: langfristig, zu günstigeren Preisen, mit guter Internetverbindung.

Der Tourismusprofessor

»Digitale Nomaden sind ein neues touristisches Segment, sie könnten ein Teil der Lösung für die Probleme der Inseln sein«, meint Eduardo Parra Lopez, Professor für Digitale Wirtschaft und Tourismus an der Universität La Laguna auf Teneriffa. Doch es gebe noch wenig Daten darüber, wie groß die Gruppe ist, sagt Parra Lopez, einer von insgesamt 200 Wissenschaftlern, die an den zwei kanarischen Universitäten zum Thema Tourismus forschen. Er kritisiert die Hoteliers vor Ort: Viele Hotelmanager hätten einfach die Arbeit gestoppt und nicht nach Lösungen gesucht. Die Touristiker müssten innovativer sein, glaubt Parra Lopez. »Stattdessen warten sie nur auf Hilfe von der Regierung in Spanien oder aus Europa.«

Unternehmen wie Tui und Aida haben in den letzten Monaten nur wenige Kreuzfahrten angeboten, locken mit Buchungsabschlägen von über 30 Prozent. Seit März und April geht dieses Geschäft wieder ganz leicht aufwärts. Diese Woche ist ein kleines Kreuzfahrtschiff angelandet - mit 70 Touristen. Früher seien es zwei oder drei große Ozeanriesen pro Tag mit bis zu 5000 Passagieren gewesen, erzählt Ernesto Cella. Der Kellner arbeitet im Restaurant »Tasca« und wartet wie viele rund um den Plaza de España auf mehr Touristen. Er desinfiziert jetzt ständig Tische und weist die wenigen Gäste zurecht, die sich nicht an die Hygieneregeln halten. »80 Prozent benehmen sich gut«, sagt der Venezolaner, der seit vier Jahren auf der Insel ist. Er wünscht sich eine langsame Öffnung im Sommer: »Wir sind vorsichtig!«

Zwei Monate hatte Cella keine Arbeit, bekam aber das spanische Kurzarbeitergeld ERTE, das ihm rund 70 Prozent seines Gehalts ersetzte. Andere hat es schlimmer getroffen. Die Daten der ISTAC zeigen einen starken Anstieg der gemeldeten Arbeitslosigkeit: von 8,8 Prozent im März 2020 auf 23,3 Prozent im März 2021. »Viele Leute haben ihre Jobs verloren«, sagt Cella. Bei Bewerbungsgesprächen für eine weitere Kellnerstelle, die bald besetzt werden soll, hätten ihm einige Kandidaten von monatelanger Arbeitslosigkeit erzählt.

Die Eisverkäuferin

»Manchmal wird das Kurzarbeitergeld nicht gezahlt oder viel zu spät«, so beschreibt Mariana Cardenas die Erfahrungen von Freunden und Bekannten. Die 20-Jährige arbeitet wenige Meter weiter in der Eisdiele »Lucky Helado«. Die ist erst vor wenigen Wochen neu eröffnet worden. Die Vorgänger-Eisdiele bei der Mariana Cardenas arbeitete, hatte im Dezember schließen müssen. Bei »Lucky Helado« wird Eiscreme nach alten Rezepten verkauft - ohne künstliche Zutaten, auch vegan und laktosefrei. Derzeit kommen vor allem Einheimische. »Wir könnten doppelt so viel verkaufen«, sagt Cardenas. Im April musste die Eisdiele um 22 Uhr schließen, ansonsten wurde bis nach Mitternacht verkauft. Die Menschen auf Teneriffa gehen meist spät aus.

Auch in anderen Läden wird über Verluste geklagt: Die Verkäuferin im Skate-Shop um die Ecke spricht von 60 Prozent weniger Umsatz, der Besitzer eines Andenken-Ladens sogar von 80 Prozent weniger Einnahmen: »Bei den hohen Kosten!« Er sagt, er hoffe auf den Sommer und die Rückkehr der Deutschen. Die sind nach den Briten die größte Touristengruppe auf der Insel: »Ich versuche den Laden offen zu halten, zu überleben. Aber wenn nicht bald etwas passiert, wird es sehr schwierig.«

Andere auf der Insel kämpfen mit noch schlimmeren Problemen. Sie müssen auch am Essen sparen. Vor allem in der zweiten Monatshälfte hatten Händler in den letzten Monaten berichtet, dass weniger lokal angebautes Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch gekauft werde als in Vorkrisenzeiten. Laut Verband der Landwirte und Viehzüchter der Kanarischen Inseln ist der Verkauf von Obst und Gemüse im April bereits in den ersten beiden Wochen um 40 Prozent eingebrochen. Das erzeugt Druck auf die Lieferketten - wegen gesunkener Preise mussten Landwirte einen Teil ihrer Produktion vernichten. Anbau und Vertrieb lohnen sich nicht mehr, die Kosten dafür liegen über den Preisen, die erzielt werden.

Schwierige Prognose

»Wir hatten noch nie null Tourismus. Es wird schwierig, da wieder rauszukommen«, sagt Tourismusprofessor Eduardo Parra Lopez. »Es ist schrecklich, wenn Sie sich die Daten ansehen.« Wie kann es weitergehen mit dem Tourismus auf den Kanaren? Vermutlich erst mal wie bisher, sagt er. »Es ist schwierig, ein Modell zu ändern, das auf Sonne und Strand setzt«, so Parra Lopez. Sicherheit und Gesundheitsaspekte würden wichtiger in nächsten Monaten und Jahren.

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»Es wird ein großer Kampf um europäische Touristen ausbrechen, wir müssen ihnen etwas bieten«, prognostiziert der Tourismusforscher. Es sei noch nicht klar, mit wie viel Geld die Menschen aus der Coronakrise herauskommen und ob sie es eher für Reisen auf die Kanaren ausgeben werden oder für Tourismus in Deutschland. Eine Prognose zur Entwicklung des Tourismus der Kanaren wolle er nicht geben, schließlich hänge dies von vielen Faktoren ab. Doch dann folgt eine vorsichtige Einschätzung: »Ende des Jahres gibt es vermutlich eine leichte Erholung. 2022 und 2023 wird die echte Erholung stattfinden. Zum Tourismus auf Vorkrisenniveau werden wir vermutlich erst 2024 zurückkehren«, sagt Parra Lopez.

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