»Gemeint sind wir alle«

Das Berliner Hausprojekt »Jagow15« wurde wiederholt angegriffen - die Bewohner vermuten, dass die Attacken von rechts kommen

  • Josefine Körmeling
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein weitläufiger Hof, Beete voll blühender Tulpen und gemütliche Sitzecken unter hohen Bäumen. Der Innenhof des Hausprojekts »Jagow15« im Bezirk Spandau lädt zum Verweilen und Entspannen ein - eigentlich. Doch schon beim Betreten des Geländes sieht man die Spuren der Brandanschläge, die in den vergangenen Wochen auf das Projekt verübt wurden. Die Decke des Hausdurchgangs, der von der Jagowstraße zum Innenhof führt, ist schwarz verrußt. Im Hof selbst liegt Bauschutt, und zwei komplett ausgebrannte Autos stehen in einem Carport. Direkt daneben lehnt ein großer roter Feuerlöscher an einer ausladenden Eiche.

»Die Angriffe haben uns ganz schön aus der Bahn geworfen«, sagt Leo, der seit ein paar Monaten in der »Jagow15« wohnt. »Wir hätten unsere Energie lieber in andere Projekte gesteckt.« Neben den anstrengenden Renovierungsarbeiten ist vor allem die psychische Belastung hoch. Ruhig geschlafen habe in der letzten Zeit niemand mehr, berichtet die Hausgemeinschaft. »Sobald ich im Bett liege, werde ich total sensibel für Geräusche«, erzählt Marlena, die ebenfalls im vorigen Jahr nach Spandau gezogen ist.

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Gleich zweimal hat es in den vergangenen vier Wochen auf dem Grundstück gebrannt. Während das erste Feuer im Hauseingang noch von den Bewohner*innen des Projektes selbst gelöscht werden konnte, wurde der zweite Brand erst nach stundenlangem Einsatz der Feuerwehr erstickt. Ein Bewohner verletzte sich bei dem Versuch, mit seiner Familie vor den Flammen aus dem Haus zu fliehen, bei einem Sturz. Die gemeinsame Wohnung blieb wegen des Rauchs für vier Wochen unbewohnbar.

Die Verantwortlichen für die Anschläge wurden noch nicht gefasst. Doch obwohl die Situation in der Jagowstraße angespannt bleibt, kehrt auch eine Art neuer Normalität im Hausprojekt ein. »Wir wissen inzwischen gut mit der Situation umzugehen«, sagt Marlena. »Aber jeder von uns hat seine Tasche gepackt und an der Tür stehen.« Mit den zwei Bränden waren die Attacken noch nicht vorbei. Zwei Tage nach dem letzten Feuer ging bei der Polizei eine anonyme Bombendrohung gegen das Hausprojekt ein, zwei Wochen später eine weitere. Beide Male durchsuchte die Polizei das Haus, fand allerdings keine Anzeichen von Sprengstoff.

Die Hausbewohner*innen vermuten ganz klar einen rechtsextremen Hintergrund der Taten. In den vergangenen Monaten haben sie vermehrt rechte Anfeindungen wahrgenommen. In der Nähe des Hauses seien immer mehr rechte Schmierereien aufgetaucht, und von ihnen selbst aufgehängte Plakate seien immer wieder abgerissen worden, berichtet Leo. »Dazu war die ganze Altstadt teilweise mit Plakaten der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg zugeklebt«, erzählt er.

Elvira, die als gebürtige Spandauerin den Kiez gut kennt und sich seit den 90ern antifaschistisch in Spandau engagiert, registriert eine Verschärfung der Situation. »Es gab schon immer rechte Gewalt hier im Kiez. Aber sie ist zielgerichteter und organisierter geworden«, sagt die 64-Jährige, die seit mehr als zehn Jahren in der »Jagow15« wohnt. Vor allem Lillith E., beim III. Weg in einer Führungsposition, sei im Bezirk als gewaltbereit bekannt. Von ihr sollen auch schon persönliche Drohungen und handgreifliche Auseinandersetzungen ausgegangen sein. Darüber hinaus sei sie vermutlich eng vernetzt mit Sebastian T., einem der mutmaßlichen Täter des sogenannten Neukölln-Komplexes. Zwischen dieser seit Jahren nicht aufgeklärten rechten Anschlagsserie in Neukölln und den Angriffen auf die »Jagow15« sieht Elvira Parallelen.

Auch der Bezirksbürgermeister von Spandau, Helmut Kleebank (SPD), ordnet die Anschläge eindeutig ein. »Ich halte es angesichts der öffentlich bekannten Tatsachen für plausibel, wenn nicht gar nachgewiesen, dass es einen rechtsextremen Hintergrund für diese Taten gibt«, sagt er auf nd-Anfrage.

Das Berliner Register Spandau, das Vorfälle rechtsextremer und diskriminierender Gewalt dokumentiert, verzeichnete 2020 eine Zunahme rechter Gewalt in Spandau. Besonders die Zahl tätlicher Angriffe ist den Angaben zufolge im vergangenen Jahr signifikant gestiegen, von neun Angriffen 2019 auf 21 im Folgejahr. Propagandadelikte, die 45 Prozent aller gemeldeten Vorfälle in Spandau ausmachen, nahmen ebenfalls leicht zu.

»Spandau ist unserer Erfahrung nach kein Bezirk mit rechtsextremem Schwerpunkt. Aber dennoch beobachten wir verstärkte Aktivitäten von extrem rechten Akteuren wie der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg. Und auch die NPD ist nach wie vor aktiv im Bezirk«, sagt Kerstin Kuballa von der der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) zu »nd«. »Dass die Anwohner*innen der ›Jagow15‹ innerhalb so kurzer Zeit immer wieder einer derartigen Bedrohungslage ausgesetzt sind, ist erschreckend. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Polizei in dem Fall mit Nachdruck ermittelt.«

Die Polizei teilt auf nd-Anfrage mit, dass das Kommissariat Politisch motivierte Kriminalität - rechts (PMK-rechts) ermittele und einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Taten und anderen Vorfällen prüfe. Solange die Täter*innen nicht gefasst sind, bleiben die Menschen in der »Jagow15« aufmerksam und haben Selbstschutzmechanismen entwickelt. Vor allem des Nachts fielen ihnen immer wieder Leute auf, die das Haus zu beobachten schienen. »Die Haustür stand wahrscheinlich seit Erbauung des Hauses immer offen. Es ist superschade, da jetzt ein Schloss reinzuprügeln und die Pforten zu schließen«, sagt Leo.

Das Grundstück im Spandauer Stadtteil Neustadt ist schon lange ein Freiraum für die alternative Szene und ein Ort der Begegnung. »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie das früher hier war«, sagt Elvira und erzählt von langen Sommern, in denen der Hof stets voll mit Menschen und Ideen war. In den 90er Jahren tagte die Alternative Liste im Gebäude, der Westberliner Vorläufer der Grünen. Nach langem Prozess wurde das Grundstück 2014 schließlich durch Beteiligung des Mietshäuser-Syndikats gekauft. Damit ist die »Jagow15« eines von 159 Projekten in Deutschland, die durch Unterstützung der Syndikatsgesellschaft zu Kollektiveigentum wurden, und das erste in Spandau.

Leo und Marlena fühlen sich im Stadtteil wohl. »Hier ist noch nicht alles so gentrifiziert wie in anderen Teilen der Stadt«, sagt Leo. Beide stammen eigentlich aus dem Zentrum von Berlin, aber fanden dort keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Außerdem hatten sie Lust auf das Leben in Gemeinschaft in einem Wohnprojekt. Über einen Bekannten sind sie schließlich in die »Jagow15« gelangt.

Momentan wohnen rund 30 Menschen in dem Projekt, unterschiedlichen Alters und Nationalität und mit verschiedenen Lebensentwürfen. Durch die jetzige Situation habe man das Haus und die Menschen ganz anders kennengelernt, berichtet Marlena. »Wenn es einen positiven Aspekt an der ganzen Sache gibt, dann dass es uns als Projekt enger zusammengeschweißt hat«, sagt auch Elvira.

Solidarität erfahren die Bewohner*innen auch von außen. »Wir haben so viele schöne E-Mails und Spenden von anderen Wohnprojekten und solidarischen Menschen erhalten«, sagt Marlena. Das gebe Hoffnung und Energie. Denn die Hausgemeinschaft lässt sich von den Anschlägen nicht unterkriegen. Für den Sommer sind Arbeiten am Haus geplant. Das Projekt soll im Kiez besser vernetzt und im Bezirk sichtbarer werden. Ein erster Schritt dazu ist die Teilnahme an der antifaschistischen Kiezdemo an diesem Samstag, zu der das Spandauer Bündnis gegen Rechts unter dem Motto »Solidarisch gegen Rechts« aufgerufen hat. Die »Jagow15« hat sich an der Organisation beteiligt und will sich klar gegen rechte Gewalt positionieren. Zudem soll politisch Druck gemacht werden. Denn, so Leo: »Jetzt hat es uns getroffen, aber gemeint sind wir alle.«

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