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Kurierfahrer sind künftig Angestellte
Neuregelung in Spanien untersagt Scheinselbstständigkeit bei Lieferdiensten
»Spanien ist zum Vorreiter internationaler Gesetzgebung geworden«, erklärte die spanische Arbeitsministerin Yolanda Díaz stolz, nachdem das Kabinett vor wenigen Tagen das sogenannte »Rider-Gesetz« auf den Weg gebracht hatte. Die Neuregelungen, die am 12. August in Kraft treten sollen, machen aus bisher selbstständigen Fahrradkurieren von Internetplattformen wie Glovo aus Barcelona, Deliveroo aus Großbritannien und Uber Eats aus den USA nun Angestellte.
Dabei sieht sich die spanische Regierung als Vorreiterin. Ministerin Díaz fügte an, es gebe »kein Land auf der Welt, das es gewagt hat«, digitale Plattformen derart zu regulieren. »Erstmals schaut die Welt auf Spanien«, meint die Politikerin, die nach dem Abgang des Unidos-Podemos-Chefs Pablo Iglesias demnächst an die Spitze des Bündnisses mehrerer linker Parteien vorrücken dürfte. Ihre Formation ist dringend auf solche Erfolge angewiesen. Als Juniorpartnerin in der Koalition mit der sozialdemokratischen PSOE konnte sie bisher nicht sehr viele ihrer Vorstellungen umsetzen.
Der Kompromiss, den Díaz mit Gewerkschaften und dem Unternehmerverband CEOE ausgehandelt hat, ist aber auch nur bestenfalls ein halber Sieg. Das Gesetz kommt eigentlich zu spät, da über die Frage bereits höchstrichterlich entschieden wurde. »Rider« wie Isaac Cuende waren es, die in langen Jahren über Proteste, Streiks und die Justiz bis hin zum Obersten Gerichtshof erkämpft hatten, dass Beschäftigte auf Fahrrädern, Motorrädern oder Elektrorollern nicht länger als Selbstständige behandelt werden dürfen. Zuvor hatten schon untergeordnete Gerichte die bislang geltende Praxis als illegale Scheinselbstständigkeit gewertet. Auch Arbeitsinspekteure kamen nicht selten zu diesem Schluss und verhängten Bußgelder gegen bestimmte Unternehmen.
So wurde jetzt also nur in ein Gesetz gegossen, was bereits Rechtslage ist. Vor allem deshalb wollte sich auch der Branchenverband nicht querstellen. Neu ist, dass Rechtssicherheit geschaffen wurde. Sollte das Dekret im Parlament bestätigt werden, wovon auszugehen ist, sind die Fahrradkuriere nicht mehr darauf angewiesen, ihre Rechte einzeln einzuklagen. Für die Gewerkschaften ist das ein »wichtiger Schritt«, wie Gonzalo Pino vom Dachverband UGT erklärt. Zwar habe man auch die Regulierung anderer Plattformen angestrebt, doch das Gesetz sei »ein annehmbarer Kompromiss und ein bedeutender Etappensieg im Kampf gegen Scheinselbstständigkeit«, erklärte der UGT-Sekretär für Gewerkschaftspolitik.
Freiheit an kurzer Leine
Lieferando-Fahrradkuriere in Wien kämpften erfolgreich für Kollektivvertrag - nun klagt das Unternehmen
Verhindern konnte der Unternehmerverband, dass alle digitalen Plattformen reguliert werden, wie es die Arbeitsministerin versprochen hatte. Das hatten auch Aktivisten erwartet, denn Lieferdienste sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Isaac Cuende etwa hatte darauf verwiesen, dass dieses Modell immer breiter genutzt werde. So arbeite sein Sohn als Scheinselbstständiger in einem privaten Krankenhaus.
Der Lieferdienst Glovo zeigte sich enttäuscht, dass die CEOE den Kompromiss nicht blockierte, und kündigte den Austritt aus dem Unternehmerverband an. Unter den bekannteren Lieferdiensten äußerte sich nur Just Eat positiv über die Neuregelung. Hingegen wetterte zusammen mit Deliveroo, Stuart und Uber Eats gegen das Gesetz, da es die Entwicklung dieses Sektors »gefährdet«. APS beschwert sich zudem darüber, dass die Neuregelung als Dekret ohne Debatte im Parlament verabschiedet werden solle. Ferner sind die Unternehmen entsetzt darüber, dass sie ihre Algorithmen offenlegen müssen, nach denen Fahrer ausgewählt werden.
Kein Test, keine Lieferung
Fahrradkuriere fordern Schutzmaßnahmen
Allerdings gibt es auch unter diesen Kritik. Nicht alle Fahrradkuriere sind erfreut, dass das recht starre Dekret Selbstständigkeit praktisch verbietet. Einige fürchten um ihre Flexibilität, andere sogar um ihren - wenngleich prekären - Job. Die Firmen spielen nämlich in der Coronakrise mit der Angst vieler in einem Land, in dem man leicht durch die weiten Maschen des sozialstaatlichen Netzes fallen kann. Laut Umfragen sollen von den geschätzt 30 000 Fahrern in Spanien künftig nur noch etwa 12 000 als sozialversicherungspflichtige Angestellte weiterbeschäftigt werden.
So kommt es weiterhin zu Protesten von Fahrern und auch zu erheblichen Konflikten untereinander. Bei einer Live-Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bezichtigte ein »Rider« den Sprecher der Initiative »Vereinte Fahrer«, Gustavo Gaviria, ein Glovo-Verantwortlicher zu sein. Gaviria tue nur so, als sei er Fahrradkurier, um seine Kritik an der Neuregelung in die Öffentlichkeit bringen zu können. Hinter ihm und den Protesten stünden Firmen wie Glovo, die sie auch finanzierten.
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