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Sie waren Einzelkämpferinnen

Wird beim Geburtstag der Defa oft übersehen: Die zähe, aber unaufhaltsame Emanzipation von Frauen

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 5 Min.

Heute vor 75 Jahren, am 17. Mai 1946, wurde in Potsdam die Defa, die Deutsche Film-AG, gegründet. Die neue Firma bekam von der Sowjetischen Militäradministration die Lizenz zur »Herstellung von Filmen aller Kategorien«. Jeder Defa-Überblick fokussiert auf die beliebtesten und »gängigsten« Filme. Und regelmäßig wird dabei übersehen, dass Frauen in allen Sparten am Gesamtwerk der Defa, also an 750 Spielfilmen, einen erheblichen Anteil hatten.

Von Beginn des Kinos an arbeiteten zuerst Frauen im ältesten Gewerk der Branche: als Schnittfrauen in den Kopierwerken. Man sagte ihnen nach, dass sie mit ihren gelenkigen, flinken Fingern mit den Takes am geschicktesten und schnellsten umgehen konnten. Das war nicht ganz falsch, aber doch sehr einseitig und aus dem Geist der Arbeitsteiligkeit der frühen Filmindustrie erwachsen. Dieser Nimbus brachte die Schnittfrauen dann in den 1920er Jahren an die Seite von Regisseuren und Kameraleuten. Gefragt war eine Mischung von technischen Fertigkeiten und künstlerischem Einfühlungsvermögen. Das blieb so bis in die Nachkriegs- und in die Defa-Zeit hinein. Schnittmeisterinnen wurden zu künstlerischen Partnern der Defa-Regisseure: Monika Schindler (die 2017 den Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises erhielt), Evelyn Carow (die alle Filme ihres Mannes Heiner Carow schnitt). Ella Ensink trug das solide Handwerk des Ufa-Kinos in die Defa. Traute Wischnewski wirkte vor allem im Dokumentarfilm. Lena Neumann hat viele Filme von Kurt Maetzig geschnitten. Brigitte Krex debütierte 1962 in Martin Hellbergs Klassikerverfilmung »Minna von Barnhelm« und arbeitete später viel mit Siegfried Kühn zusammen (»Platow« 1973).

Manche von ihnen konnten auch nach der Wende in ihrem Fach weiterarbeiten, so Helga Gentz, die Jürgen Böttchers 1965 verbotenen Film »Jahrgang 45« restaurierte. Manche schieden auch aus dem Beruf aus, der nun Editoring genannt wurde, weil sie den existenziellen Schritt vom analogen zum digitalen Schnitt nicht mitvollziehen konnten.

Doch für die Defa arbeiteten auch Regisseurinnen. Eine der ersten war Eva Fritzsche. Ihr Film »Die Brücke von Caputh« (1949) ist ein bemerkenswertes Zwischending zwischen Spiel- und Dokumentarfilm über ein Aufbauwerk. Marion Keller, eine der interessantesten Filmemacherinnen der ersten Nachkriegsjahre, war Gründungs-Chefredakteurin der Defa-Wochenschau »Der Augenzeuge« und Erfinderin der jahrelangen Vorspann-Sequenzen »Kinder suchen ihre Eltern«, ein noch heute erschütternder Kinder-Suchdienst per Kino. Bärbl Bergmann war die erste Spielfilmregisseurin, sie debütierte 1959 mit dem Kurzspielfilm »Ein ungewöhnlicher Tag«. Später kamen Ingrid Reschke mit »Kennen Sie Urban?«(1971) und Evelyn Schmidt mit »Seitensprung« (1980) hinzu. Sie alle einte das Interesse an der Erkundung eigener Lebensräume und die Suche nach besonderen Ausdrucksformen. Das führte teilweise auch zu Sprödigkeiten in ihren Filmfabeln, was wiederum Reibungen mit der Studioleitung hervorrief und bei den Zuschauern Zurückhaltung erzeugte.

Mehr als sechzig Regisseurinnen waren zwischen 1946 und 1992 bei der Defa tätig, in allen künstlerischen Sparten. Oft mussten sie allerlei Umwege machen, um zu ihrem Ziel zu gelangen, vor allem in langwierigen Assistenzen. Aber alle drängten zum Spielfilm und suchten dort nach einem nur ihnen gemäßen Film, wenn es ihnen die Direktion zugestand, wenn die verdeckte, aber nicht zu übersehende Konkurrenz mit den männlichen Kollegen gezügelt werden konnte und sie einen eigenen überzeugenden Entwurf lieferten. Künstlerischen Pfusch wollte keine liefern. Sie waren Einzelkämpferinnen und fanden selten dauerhafte Verbündete und Solidarität unter ihresgleichen. Alle ihre Filme gestalteten anspruchsvolle Gegenwartsprobleme, also die gesellschaftliche Situation von Frauen in der DDR mit den Hauptfeldern Arbeit und Alltag, Ehe und Beruf, Liebe und Tod. Insofern blieben sie der Arbeitsphilosophie des Studios verbunden, Filme für die Leute im Lande zu drehen. Sie brachten jedoch durch ihre subjektiven Geschichten neue Perspektiven ein.

Auch in ihrer filmbildnerischen Ästhetik folgten sie den harmonisierenden Konventionen der Defa. Und das Konfliktfeld ihrer männlichen Kollegen zwischen staatlicher Zensur und Selbstzensur durchlebten sie alle, auch in der Selbstbehauptung als Künstlerinnen. »Lolita«-Blicke und Voyeur-Filme hat es bei der Defa nicht gegeben.

Zu diesem Personal gehören profilierte Autorinnen: Helga Schütz konnte ihre exquisite Prosa mühelos in Drehbücher transformieren und fand in Egon Günther den kongenialen Regie-Partner: die Zauberkomödie »Wenn du groß bist, lieber Adam« (1965) oder die Liebesgeschichte »Die Schlüssel« (1974). Regine Kühn schrieb neben anderen Szenarien für Iris Gusner die herb-poetische Dreiecksgeschichte »Die Taube auf dem Dach« (1973) und für Siegfried Kühn »Die Schauspielerin« (1988). Lange blieben Verfasserinnen von Drehbüchern auch Einzelfiguren wie Margot Beichler, die viel dramaturgisch arbeitete. Interessanterweise wirkten etliche Autorinnen vor allem beim Kinderfilm. Ihnen allen zur Seite standen profilierte, kluge Dramaturginnen wie Erika Richter und Christel Gräf, die alles »Weibliche« im Defa-Studio und besonders die Regisseurinnen nach Kräften unterstützten, auch in den Defa-internen und oft heftigen Diskursen. Allen gemeinsam war wachsender künstlerischer Antrieb, verbunden mit persönlichem Selbstbewusstsein.

Zu den Künstlerpersönlichkeiten in der männerdominierten Filmfirma Defa gehörten freilich auch solche eigenwilligen Frauen wie die Kostümbildnerin Christiane Dorst (mit ihrer kompetenten Werkstatt) oder die lebenslange Assistenz-Regisseurin Doris Borkmann, deren exquisite Schauspielerkenntnisse allen Defa-Regisseuren zugutekam (Casting wird das heute genannt), und sie hat wirklich mit allen zusammengearbeitet und hatte dennoch nie den Ehrgeiz, selbst Regie zu führen.

Zu den Frauen bei der Defa gehören auch zahlreiche Dokumentarfilmerinnen, die hier wenigstens genannt werden sollen: Annelie Thorndike, Gitta Nickel, Helke Misselwitz, Tamara Trampe, Petra Tschörtner und Barbara Junge. Alle haben sie viele wichtige Filme gemacht. Und letztlich soll hier noch auf das weibliche Gesicht der Defa-Filme nach außen wenigstens hingewiesen werden, auf die Schauspielerinnen: Angelica Domröse, Annekathrin Bürger, Jutta Wachowiak, Monika Lennartz und die vielen anderen.

Gab es einen »weiblichen Blick« bei der Defa? Wenn ja, dann war es der Blick produktiver Frauen auf die Menschen aus ihrer Umwelt und die sehr nachdrückliche Einladung, sich mit diesen Zeitgenossinnen auf der Leinwand anzufreunden. Dieses kreative Erbe haben sie als enormes und dauerhaftes Potenzial in die bundesdeutsche Film- und Fernsehproduktion eingebracht.

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