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Platz machen für die Top-Athletin

Hausbesitzer kündigt 62-jährige Kreuzbergerin wegen Eigenbedarfs für erfolgreiche Tochter

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Kater Rudi lebt bei der Mieterin Petra, die wegen einer Eigenbedarfskündigung ihre Wohnung verlieren soll
Kater Rudi lebt bei der Mieterin Petra, die wegen einer Eigenbedarfskündigung ihre Wohnung verlieren soll

»Nachts geht das immer los, dass ich denke: ›Wo soll das hinführen, wo soll das enden?‹«, sagt Petra, an ihrem Küchentisch sitzend. Ihren vollen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie Nachteile befürchtet, falls sie eine neue Wohnung suchen muss. »Dann geht das wieder auf mein Immunsystem und dann kann ich mich am nächsten Tag nicht mehr bewegen«, schildert die 62-Jährige stressbedingte Beschwerden. Denn an diesem Dienstag soll das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg über die Eigenbedarfskündigung ihres langjährigen Zuhauses entscheiden.

Die Kündigung für ihre Wohnung in der Lübbener Straße 19 im Kreuzberger Wrangelkiez erhielt die Mieterin am 26. Juli 2019. Der Hausbesitzer benötige die Wohnung im vierten Stock des mäßig instandgehaltenen Hauses für seine Tochter, heißt es in dem Schreiben, das in einem Umschlag des Finanzamtes kam. Der Eigentümer, zusammen mit zwei weiteren Familienmitgliedern ist er Teil einer Eigentümergemeinschaft, arbeitet in leitender Position bei den Finanzämtern der Hauptstadt. Die 27-jährige Tochter ist eine aufstrebende Leichtathletin, Teilnehmerin an Europa- und Weltmeisterschaften in ihrer Disziplin, war bereits zweimal deutsche Vizemeisterin. Eine Teilnahme an den Olympischen Spielen liegt im Bereich des möglichen. Die Sportkarriere verschlug sie auch für lange Zeit in die USA.

»Was will so jemand in diesem Haus?«, fragt Petra. »Heute früh habe ich wieder eine Spritze im Treppenhaus gefunden, die Ratten laufen hier im Hof herum, ein Nachbar macht Schießübungen mit dem Luftgewehr im Keller«, schildert sie die Zustände. 365 Euro Kaltmiete inklusive Betriebskosten zahlt Petra monatlich für die Wohnung, in der sie seit 28 Jahren lebt. Eine Kohlenrechnung von rund 1000 Euro jährlich für die Ofenheizung kommt noch dazu. »Kohlen sind teuer geworden in der letzten Zeit«, erklärt Petra mit Blick auf die letzte Rechnung.

Vor etwa zehn Jahren musste schon mal ein Nachbar ausziehen, wegen Eigenbedarfs für die ältere Tochter des Hausbesitzers. »Er hat nie wieder eine Wohnung bekommen«, sagt Petra. Die Tochter zog nach fünf Jahren wieder aus. Er wolle nicht darüber sprechen, sagt der Hauseigentümer auf telefonische Anfrage von »nd« zur Eigenbedarfskündigung.

»Ich habe schon nach anderen Wohnungen in der Gegend gesucht, aber für meinen Geldbeutel finde ich nichts«, berichtet die Mieterin. Vor zwei Wochen hatte sie noch einmal kurz Hoffnung. Eine Familie in der Nähe wollte ihre kleinere Wohnung gegen die 90 Quadratmeter von Petra tauschen. 570 Euro Monatsmiete wären dann fällig geworden. »Ich habe den Hausbesitzer angerufen, aber er bestand darauf, dass er die Wohnung für seine Tochter benötigt«, berichtet sie. »Ich bin hier in der Gegend total verwurzelt, ich kann nicht einfach nach Marzahn ziehen«, sagt Petra. Seit ihre Beziehung vor einigen Jahren in die Brüche ging, lebt sie allein. Die Freundschaften in der Nachbarschaft sorgen dafür, »dass ich nicht total vereinsame«, erklärt sie. »Alle meine Ärzte sind hier, auch meine Arbeitsstelle ist nicht weit weg«, berichtet sie. Mit der Halbtagsstelle kann sie finanziell keine großen Sprünge machen, mit der näherrückenden Verrentung wird es noch enger. Und dann lebt auch noch ihr 89-jähriger Vater nicht weit entfernt in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen. »Der ruft auch mitten in der Nacht an, dass er den Katheter verloren hat. Dann muss ich sofort hin, um deswegen nicht den Notarzt anzurufen. Wie soll das aus Marzahn gehen?«

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Angefangen hatte das Drama am 20. Juli 2019. Ein heftiges Sommergewitter hatte wegen des undichten Dachs die halbe Wohnung unter Wasser gesetzt. Zwei Stunden lang lief schwarzes Wasser in Strömen die Wände herunter. »Ich habe eine Mietminderung angekündigt, bis die Schäden behoben sind«, berichtet Petra. »Das werden Sie noch bereuen«, soll der Eigentümer ihr gesagt haben. Ein paar Tage später lag die Eigenbedarfskündigung in ihrem Briefkasten. Ob das den Richter interessiert, muss sich zeigen.

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