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- Ballstädt-Überfalll 2014
Die große Dealerei
Neonazis, die brutal eine Kirmesgesellschaft überfielen, könnten bei Geständnissen milde davonkommen
Seit Wochen wird die Neuauflage des Ballstädt-Prozesses von einer Frage überschattet: Wird es Deals des Gerichts mit den Angeklagten geben? Diese gelten als tief in der rechten Szene verstrickt und sollen nach Überzeugung der Ermittler vor mehr als sieben Jahren eine Gruppe friedlich-feiernder Kirmes-Gänger in der besagten Ortschaft brutal überfallen haben.
Noch ehe der Prozess am Montag in Erfurt - coronabedingt auf der Messe - beginnt, weht dort ein Banner. Es macht deutlich, was viele Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, von der Idee halten, mit den Angeklagten Absprachen zu treffen. Absprachen, deren Kern so aussieht: Du gestehst, dass Du eine Straftat begangen hast, dafür bekommst Du eine mildere Strafe. Auf dem Banner - grellgrün, damit man es auch ja nicht übersieht - steht: »Klare Kante gegen Rechts«. Und darunter: »Kein Deal mit Nazis!« Mehr als 40 000 Menschen haben inzwischen im Internet eine Petition unterschrieben, die das gleiche fordert.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Der Hintergrund des Prozesses: Im Februar 2014 wird in Ballstädt im Landkreis Gotha eine Kirmesgesellschaft von mehr als einem Dutzend Tätern überfallen. Polizei und Staatsanwaltschaft machen schließlich 14 Männer und eine Frau als Angreifer aus. Das Landgericht Erfurt spricht 2017 elf von ihnen der Tat schuldig, der Bundesgerichtshof hebt das Urteil allerdings 2020 auf. Er kritisiert formelle Fehler, unter anderem bei der Beweiswürdigung des Landgerichts. Diese elf Angeklagten müssen sich nun erneut vor einer anderen Kammer des Gerichts verantworten. Vier der ursprünglich Angeklagten waren im ersten Ballstädt-Prozess freigesprochen worden. Sie hatten keine Rechtsmittel gegen dessen Urteil eingelegt und sitzen so auch nicht erneut auf der Anklagebank. Seit einiger Zeit schon ist klar, dass Staatsanwaltschaft und Gericht bei der Neuauflage des Prozesses Deals mit den Angeklagten erwägen.
Die Hoffnung, dass die Stimmen, die vor solchen Absprachen warnen, sich schließlich durchsetzen werden, ist nach Beginn des ersten Verhandlungstages jedoch bald dahin. Es dauert aber ein wenig, bis sich diese Gewissheit einstellt. In diesem Verfahren, das so viele Angeklagte, etwa zwei Dutzend Anwälte, mehrere Richter, Schöffen sowie mehr als dreißig Zuschauer und Journalisten trotz Corona in einem Raum versammelt, benötigt es Zeit, bis die vielen anwesenden Polizisten alle Anwesenden auf Waffen kontrolliert haben. Bis sich alle Anwesenden schließlich dort eingefunden haben, wo sie hin müssen.
Doch kaum sind die Formalia abgehandelt, bietet die Vorsitzende Richterin genau die Deals an, die kurz darauf im Internet für einen Aufschrei der Empörung sorgen. Bis zum Redaktionsschluss haben bereits zehn von elf Angeklagten das angeboten, was im Juristendeutsch verniedlichend »Verständigung« heißt. Für einen Angeklagten solle das Angebot nach Angaben der Vorsitzenden Richterin noch erfolgen. Den meisten der Angeklagten schlägt das Gericht Bewährungsstrafen von etwa einem Jahr vor, sollten sie ihre mutmaßliche Beteiligung am Überfall gestehen. Einem weiteren Angeklagten stellt das Gericht eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten bis zwei Jahren in Aussicht, sollte er gestehen. Die Haftstrafen, die im ersten Ballstädt-Prozess gegen sie verhängt worden waren, lagen bei etwas oberhalb von zwei Jahren. Sie können nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Der weitere Angeklagte hatte damals eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erhalten.
Angesichts dieser milden, in Aussicht gestellten Strafen ist es also kein Wunder, dass fast alle Angeklagten über ihre Verteidiger erklären lassen, sie würden die Deals annehmen wollen. Einzelne legen noch an diesem Tag ihr - sehr kurzes - Geständnis ab. Die, die das nicht tun, gehen sogar noch weiter und spekulieren darauf, dass das Verfahren gegen sie ganz eingestellt wird; sie also gar nicht verurteilt werden. Unter anderem hofft darauf die angeklagte Frau. Weitere Geständnisse sollen in den nächsten Tagen folgen.
Während die Staatsanwaltschaft Erfurt diese Dealerei - vor allem auch angesichts der seit der Tat vergangenen Zeit - verteidigt, erzürnt sie die Nebenklage-Anwälte maßlos. Schon während das Banner vor Beginn der Verhandlung draußen im Wind weht, schimpft der Nebenklage-Vertreter Alexander Hoffmann über einen »schmutzigen Deal«. Als die meisten Angebote verlesen sind, stellt er einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht.
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