Moralisch flexibel

Die Sängerin Julia Wolkowa will in Russland für die Duma kandidieren.

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 2 Min.

Sie tanzten in engen Schuluniformen, und knappen Miniröcken, küssten sich im strömenden Regen und sangen von der großen Liebe - zu einer Frau: Mit »All the Things She Said« und dem dazugehörigen Musikvideo landete das russische Popduo Tatu 2002 einen Hit, der für heftige Kontroversen sorgte. Konservative Elternverbände und homophobe Gruppen empörten sich über die damals noch minderjährigen Sängerinnen, die sich öffentlich als lesbische Lolitas inszenierten.

Auch im Westen ging manchen die Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe zu weit, es gab Pädophilie-Vorwürfe und Boykottforderungen. Dem Erfolg des Liedes schadete das nicht: »All the Things She Said« verkaufte sich weltweit mehr als sechs Millionen Mal und wurde in der LGBTQ-Community gefeiert. Tatu standen für ein offenes Russland, das seine sexuelle Minderheiten toleriert.

All das ist lange her. Das Lesben-Image der Band entpuppte sich später als cleverer Marketingtrick, 2011 lösten sich Tatu auf. Drei Jahre später sorgte Ex-Sängerin Julia Wolkowa, deren Solokarriere nur stockend anlief, mit schwulenfeindlichen Aussagen für Schlagzeilen. Einen homosexuellen Sohn könne sie nie akzeptieren, erklärte die sich als bisexuell bezeichnende Künstlerin 2014 im ukrainischen Fernsehen. Ein Mann müsse ein Mann bleiben, schließlich sei er zur Fortpflanzung bestimmt.

Nun wurde bekannt, dass die mittlerweile 36-Jährige in die Duma will - als Kandidatin der Regierungspartei »Einiges Russland« für das Gebiet Iwanowo bei Moskau. »So kann es nicht weitergehen«, erklärt die von zahlreichen Schönheitsoperationen gezeichnete Nachwuchspolitikerin in einem Werbeclip im Internet.

Sie schäme sich für die verbreiteten Missstände und wolle die Einstellung der Behörden gegenüber den Bürgern ändern. Ihre fehlende politische Erfahrung sei kein Problem, erläutert Wolkowa pathetisch. »Man kommt nicht als Politiker zur Welt, man wird erst zu einem.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.