- Politik
- Ceuta und Melilla
Marokko macht den Erdoğan
Königreich setzt einseitige Grenzöffnung als Druckmittel gegen Spanien und EU ein
Es ist eine Verhaltensweise, die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, aber seit langem auch aus Marokko bekannt ist: Beide Länder benutzen Geflüchtete und Migranten, um Druck auf die EU oder einzelne Länder zu machen, um eigene Interessen durchzusetzen. Dieses Mal hat Marokko seine Tore sperrangelweit geöffnet: Die Kontrolle über die Strände nahe der spanischen Exklave Ceuta wurde ausgesetzt. Damit wurde bereits am Montag der Weg für Tausende Menschen freigemacht, die so das spanische Hoheitsgebiet erreichen konnten. Da sich das in Marokko schnell herumsprach, gelangten auch am Dienstag zahlreiche Menschen nach Ceuta.
Auf den veröffentlichten Bildern ist zu sehen, wie die Menschen schwimmend oder bei Ebbe durch das Wasser watend die abgesicherte Mole am Strand von El Tarajal umgehen. Die Fotos zeigen auch, dass es sich bei den Menschen, die jetzt nach Ceuta kamen, vor allem um Marokkaner handelt. Denn viele wollen das arme und autokratische Königreich verlassen, gerade junge Menschen haben kaum Perspektiven, die Arbeitslosigkeit liegt bei unter 30-Jährigen seit langem bei über 40 Prozent. Genutzt haben die Verwirrung in Ceuta aber auch Flüchtlinge und Einwanderer um Melilla, um über die hohen und gefährlichen Grenzzäune in diese 380 Kilometer weiter östlich gelegene spanische Exklave in Marokko zu klettern. Bei ihnen soll es sich vor allem Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara handeln.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
In Ceuta haben nach Angaben lokaler Medien vom Dienstagvormittag bereits mehr als 10 000 Menschen die Grenze überschritten. Etwa ein Viertel von ihnen sollen unbegleitete Minderjährige sein. Für die Zeitung »El Faro« aus Ceuta ist klar, dass es sich bei ihnen um Marokkaner handelt. Marokko benutze »seine Bürger«, um Druck auszuüben. »Es zeigt, zu was es fähig ist, wenn es seine Grenzschützer anweist, einfach wegzuschauen«, heißt es in dem spanischen Medium, das diese Aussage mit Videoaufnahmen belegt. Diese zeigen, dass marokkanische Sicherheitskräfte sich am Strand aufhielten, aber niemanden am Grenzübertritt hinderten.
Inzwischen wurde auf spanischer Seite neben der Nationalpolizei und der paramilitärischen Guardia Civil auch Militär am Strand von Tarajal aufgefahren. Schützenpanzer bewachen das Gebiet, Hubschrauber kreisen darüber. Die Sicherheitskräfte bringen Menschen zurück auf marokkanisches Territorium, die aber umgehend erneut ihr Glück versuchen. Berichtet wird auch, dass spanische Grenzposten von Migrationswilligen mit Steinen beworfen wurden.
Die spanischen Behörden haben damit begonnen, Erwachsene in einem Stadion in Ceuta unterzubringen, um sie wieder nach Marokko zurückzubringen. Inzwischen wurde auch ein Krisenkomitee gebildet. Madrid will mit Marokkos Autoritäten nun über die Rücknahme ihrer Landsleute verhandeln. Die Regierung in Rabat wird dafür einen Preis fordern: Sie macht Druck, um sich endgültig die Kontrolle über die seit mehr als 45 Jahren besetzte Westsahara zu sichern.
Kürzlich hatte Rabat schon die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland eingefroren, nachdem die Bundesregierung auf eine »gerechte, praktikable, dauerhafte und für alle Seiten akzeptable Lösung des Konflikts« in der Westsahara unter »Achtung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte« und unter Aufsicht der UNO gedrungen hatte. Besonders, dass Berlin die Entwicklungen in der Westsahara »mit Sorge« beobachtet, verärgerte die Marokkaner.
Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska wiegelte unterdessen ab: »Wir haben eine absolut fruchtbare Beziehung mit der marokkanischen Regierung in Migrationsfragen«, erklärte er am Dienstagmorgen im spanischen Fernsehen. Man habe schon 1500 Personen wieder nach Marokko zurückgebracht. Spanien befinde sich »schon seit drei Jahren in einer Migrationskrise«. Gerade gebe es eine »Ausnahmesituation«, aber wie bereits in der Vergangenheit werde man die Lage in den Griff bekommen, betonte er.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!