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Wie es war und wie es ist

Die Münchner Ausstellung »Zeitlang« zeigt ein »unbekanntes Bayern«

  • Beatrix Dargel
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwölf Minuten dauert die Fahrt mit der U-Bahn bis zum Marienplatz, ein Katzensprung. Bis zum Odeonsplatz plus zwei Minuten. Die Fahrplanauskunft berechnet noch den Fußweg: »zum Ziel, ca. 9 Minuten - 495 m«. Wohin soll denn die Reise gehen? Ins Literaturhaus. Genauer gesagt: ins »unbekannte Bayern«. Mitten in München.

Dahin begaben sich seit vielen Jahren immer wieder zwei Redakteure der »Süddeutschen Zeitung«. Hans Kratzer schrieb und Sebastian Beck fotografierte. Und jetzt gibt es eine Ausstellung, in den letzten zehn Jahren entstanden. Sie heißt: »Zeitlang. Unbekanntes Bayern«. Zu sehen sind Fotos von den Randgebieten Bayerns. Es geht um Orte und Menschen, die Geschichten erzählen, fernab der Klischeelandschaften in Oberbayern und in den Metropolen. Alle Regierungsbezirke sind vertreten. Bayern kann sehr schön, aber auch zwiespältig oder hässlich sein. Die Tendenz geht leider mehr und mehr zu hässlich: ausgeräumte Landschaften oder Überformung mit Großstrukturen. Hans Kratzer kennt sich am besten in Bayern aus. Wenn Sebastian Beck etwas wissen möchte, befragt er nicht das Internet, sondern seinen Kollegen Kratzer, »weil der in der Regel mehr weiß«.

Es sind mehr als 70 großformatige Fotos. Sebastian Beck: »Wir haben am Anfang Zweifel gehabt, ob das überhaupt irgendjemand interessiert. Weil, was wir zeigen, sind ganz banale Dinge, in dem Sinne nichts Spektakuläres.« Überrascht waren sie über den Zuspruch und Diskussionen mit Menschen, die sich das anschauen. Für viele ist es wichtig, die Heimat mit einem anderen Blick präsentiert zu bekommen. Vergleichen, wie es war und ist.

Die Themen der Ausstellung sind »Zeitlang«. Furche, Allerseelen, Liebelei, Tagtraum, Böfflamott, Stehplatz, Kraft, Land und Sonnwend. Was aber meint zeitlang? Das ist ein anderes Wort für Sehnsucht, Heimweh, auch Langeweile. »Ein segensreicher Zustand für Geist und Seele«, wie Kratzer findet. Und Allerseelen? »Es ist ein veritabler Totentanz, wie er in Form von Gemälden manch alte Wand in bayerischen Kirchen schmückt.« Und was bitte ist Böfflamott? Ein Rinderbraten in Rotwein. Oder wie Kratzer meint: »Beim Böfflamott schimmert das französische Boeuf a’ la Mode durch, das Rindfleisch nach der Mode, in der soliden Wirtshausküche niemals drangsaliert vom Aktionismus eitler Fernsehköche.«

In der Ausstellung ist nicht Wunschdenken, sondern die Realität abgebildet. Da gibt es den Ausschnitt eines heruntergekommenen Hauses. Kletterpflanzen halten sich an der Hauswand fest, das Fenster überwuchert, unter dem abgebröckelten Putz Mauerwerk. In der Tür steht ein älterer Mann in zerschlissener Kleidung. Er wohnt dort. Der Traum vom Eigenheim sieht wahrlich anders aus. An einem nebligen Dezembertag hatte Sebastian Beck dort einen Menschen gesehen. Er dachte, das heruntergekommene Haus sei unbewohnt, doch nein, der Mensch »haust da, unfassbar«. Für ein Bild braucht man eine schriftliche Einverständniserklärung. Der alte Mann hat unterschrieben und ein Honorar bekommen.

Ein anderes Foto zeigt einen Seziertisch von oben im ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg. In dem Lager sind 20 000 Menschen gestorben. Bis in die 1990er Jahre wurde die Geschichte in der Oberpfalz verdrängt. Das Gelände des Terrors und Leidens hat man mit Einfamilienhäusern überbaut. Erst Jahrzehnte später wurde eine Gedenkstätte an diesem düsteren, abgelegenen Ort eingerichtet.

Das Gestern oder Vorgestern mit dem Heute verbindet ein Foto von Michael Stöhr, einem Maskensammler aus Diedorf bei Augsburg. Auf einem alten Bauernhof hat er über 10 000 Stück zusammengetragen, aus allen Epochen und verschiedenen Regionen, darunter auch die neuen, nicht so schön und faszinierend, dafür praktisch und zweckmäßig, die FFP 2 und wie sie alle heißen. »Wer also Platz und Geld für den Erhalt einer einmaligen Sammlung hat - bitte in Diedorf melden.«

Im empfehlenswerten Audioguide erzählen die Kuratoren Kratzer und Beck die Geschichten hinter den Fotos. Auch die Porträtierten kommen zu Wort, desweiteren Claudia Pichler, Gerhard Polt, und andere. Ausserdem sind die Well-Brüder aus dem Biermoos zu hören, mal mit und mal ohne Gesang.

Ausstellung bis 6. Juni. Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, Galerie im Erdgeschoss. Öffnungszeiten: täglich von 11 bis 18 Uhr. Bitte telefonisch voranmelden unter: 089/29 19 34 27.

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