Himmelfahrtskommando bei der SPD

Auch der Bundestagswahlkampf der Sozialdemokraten wird von der Affäre um die Doktorarbeit von Franziska Giffey überschattet

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Bundestagswahlkampf der SPD ist in diesem Jahr Understatement angesagt. Die Sozialdemokraten wollen darauf verzichten, ein sogenanntes Schattenkabinett zu präsentieren. Kanzlerkandidat Olaf Scholz bezeichnete dies kürzlich als eine »Marotte, von der ich noch nie etwas gehalten habe«. Vermutlich hängt die Entscheidung aber auch mit den geringen Chancen der SPD bei der Bundestagswahl zusammen. Der erhoffte Aufschwung ist nach dem Nominierungsparteitag, auf dem Scholz am 9. Mai als Spitzenmann von den Delegierten bestätigt und das Wahlprogramm verabschiedet wurde, ausgeblieben. Die meisten Umfragen sehen die Partei bei lediglich 15 Prozent.

Der am Mittwoch von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey verkündete Rücktritt wegen Plagiatsverdachts macht die Lage für Scholz nicht einfacher. Seine Genossin will zeitgleich mit der Bundestagswahl im September einen Erfolg bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin einfahren und Bürgermeisterin der Stadt werden. Die Bundeshauptstadt ist eine der letzten Hochburgen der Sozialdemokraten, doch auch hier drohen nun Verluste. Gemeinsame Wahlkampfauftritte von Scholz und Giffey könnten für den Kanzlerkandidaten eher zu einer Belastung werden, wenn die Affäre um die Doktorarbeit der SPD-Politikerin weiter schwelt.

Giffey war im März 2018 zur Ministerin ernannt worden. Aus ihrer Amtszeit wird das sogenannte Gute-Kita-Gesetz in Erinnerung bleiben. Der Bund beschloss Ende 2018, in vier Jahren 5,5 Milliarden Euro zusätzlich an die Länder zu überweisen, um die Qualität der Kleinkindbetreuung zu verbessern. Das Gesetz sieht vor, dass die Länder diese Bundesmittel in die Einstellung zusätzlicher Erzieher investieren können oder auch in bessere Ausstattung, längere Öffnungszeiten, Sprachförderung oder besseres Essen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass Eltern teilweise oder vollständig von den Gebühren befreit werden. Während der Coronakrise kam Giffey vor allem mit ihren Ankündigungen in die Schlagzeilen, die Kitas möglichst lange offen zu halten.

Innerhalb der Bundesregierung hat sich Giffey dafür eingesetzt, zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rassismus und Rechtsradikalismus zu unterstützen. Mit einem Budget von 150 Millionen Euro ist das Bundesprogramm »Demokratie Leben« deutlich großzügiger finanziert als die Vorgänger. Allerdings müssen die Gelder alle fünf Jahre neu beantragt werden. Das schafft Unsicherheiten für die Empfänger. Giffey hatte kürzlich ein »Wehrhafte-Demokratie-Gesetz« vorgelegt, das die langfristige Finanzierung von Projekten ermöglichen soll. Die Antragsteller müssen sich dafür aber schriftlich »zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung« bekennen und erklären, dass sie die Mittel nur für Aktivitäten verwenden, die »förderlich« für die Ziele des Grundgesetzes sind.

Für die SPD war neben der Erfahrung von Giffey als frühere Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln auch die Herkunft der gebürtigen Frankfurterin (Oder) wichtig, als es darum ging, den Ministerposten zu besetzen. Frauen aus Ostdeutschland sind nämlich in der Politik weiterhin unterrepräsentiert. Hinzu kam, dass Giffey die Rückendeckung des einflussreichen konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion hatte.

Sie ist auch eine Bundesgenossin von Olaf Scholz und versucht, den linken Flügel der Sozialdemokraten kleinzuhalten. So hatte Giffey im Februar dieses Jahres die beiden eher linken SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dazu aufgerufen, sich im Wahlkampf dem Kanzlerkandidaten ganz unterzuordnen. Versuche von Esken und Walter-Borjans, linke Akzente zu setzen, hielt Giffey für wenig zielführend. »Die Menschen wünschen sich eine pragmatische, bürgernahe Politik. Es geht darum, Lösungen für die Krise aufzuzeigen und wie es danach weitergeht«, sagte die Sozialdemokratin der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. »Ideologien helfen nicht weiter, das ist meine feste Überzeugung, und das gilt für die Bundespolitik und auch für meinen Wahlkampf in Berlin.«Das zeigt, dass es hinter den Kulissen weiterhin einige Querelen in der SPD gibt. Allerdings ist ausgeschlossen, dass in Wahlkampfzeiten der Streit offen ausbricht. Das wäre politischer Selbstmord. Protagonisten des linken SPD-Flügels verhalten sich derzeit ruhig. Möglich ist aber, dass es nach der Bundestagswahl innerparteilich zu heftigen Auseinandersetzungen kommen wird, wenn die Sozialdemokraten ein historisch schlechtes Ergebnis einfahren und auch bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin abschmieren sollten. Giffey könnte dann wegen des Umgangs mit ihrer Doktorarbeit zur Zielscheibe werden.

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Große Aufgaben warten im Familienministerium in dieser Legislaturperiode nicht mehr. Der Bundestag wird sich in wenigen Wochen in die Sommerpause verabschieden. Dann beginnt die heiße Phase des Wahlkampfes. Die sozialdemokratische Justizministerin Christine Lambrecht wird das Amt zusätzlich übernehmen. Das teilten die SPD-Vorsitzenden am Mittwoch mit.

In führenden Parteikreisen war die Entscheidung von Giffey offensichtlich schon länger bekannt. Trotzdem hat sie in der SPD weiterhin Rückhalt für den Wahlkampf in Berlin. Dabei mussten schon einige Politiker in den vergangenen Jahren wegen Plagiatsaffären ihre Karriere beenden. Das betraf auch den früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und die einstige Bildungsressortchefin Annette Schavan.

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