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- Corona im Gefängnis
Zu viele Menschen in schmutzigen Zellen
Tausende Gefangene mit Corona infiziert - auch durch die Verhaftung von Demokratieaktivisten sind die Knäste überfüllt
Am Montag dieser Woche registrierten die thailändischen Behörden 9635 neue Covid-19-Infektionen und damit den höchsten Anstieg innerhalb eines Tages seit Beginn der Pandemie. Schockierende 71 Prozent der Neuinfektionen fanden in überfüllten Gefängnissen Thailands statt.
»Am Tag vor meiner Entlassung wurde mir bekannt, dass mehr als 50 Gefangene in der Einrichtung infiziert waren. Ich gehe davon aus, dass eine große Zahl der Menschen im zentralen Frauengefängnis und auch in anderen Gefängnissen infiziert sind.« In diesem Post auf ihrer Facebook-Seite warf die Demokratieaktivistin Panusaya »Rung« Sithijirawattanakul nach ihrer Haftentlassung am 6. Mai ein grelles Schlaglicht auf die Coronalage in Bangkoks Haftanstalten. Doch generell sind Thailands Gefängnisse notorisch überfüllt. Rung selbst war in der Haft mit Covid-19 infiziert worden, frei kam sie auf Kaution nach einem mehrtägigen Hungerstreik. Die vom Militär gestützte Regierung reagierte auf den Kommentar von Rung auf ungewöhnliche Weise: Sie gab den Corona-Ausbruch in den Gefängnissen zu und veröffentlichte konkrete Zahlen. Demnach waren bereits in der zweiten Maiwoche im Männergefängnis »Bangkok Remand Prison« 1795 und im Frauengefängnis »Central Women’s Correctional Institution« 1040 Insassen positiv auf Corona getestet worden. Thailandexperte Brad Adams von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) fordert angesichts der steigenden Fallzahlen die sofortige Entlassung aller politischen Häftlinge, aller Kleinkriminellen sowie von Strafgefangenen mit Vorerkrankungen aus den überfüllten Haftanstalten.
Thailand erlebt aktuell die dritte Coronawelle, die auch schon Gefängnisse in den Provinzen erreicht hat. Insgesamt wurden seit Pandemiebeginn 101 000 Coronafälle registriert. 590 Thais sind bisher an der Viruserkrankung gestorben.
Die 22 Jahre alte Rung war 2020 das Gesicht der Studentenproteste gegen die Regierung von Premierminister Prayut Chan-o-cha, der im Mai 2014 als Oberbefehlshaber der Armee die demokratisch gewählte Regierung stürzte und seit der manipulierten Parlamentswahl vom März 2019 einer zivilen Regierung vorsteht. Die Sprecherin der »Studentenunion von Thailand« wurde vor allem bekannt durch einen absoluten Tabubruch: Sie fordert die Reform der Monarchie. Rung und 14 ihrer Mitstreiter wurden im Herbst 2020 verhaftet und wegen Majestätsbeleidigung angeklagt.
In diesem Jahr hat die Zahl der Festnahmen von Führern der sehr jungen Demokratiebewegung drastisch zugenommen. Rund 400 Aktivisten, darunter 13 Minderjährige, wurden wegen Computerkriminalität, Aufruhr und Majestätsbeleidigung angeklagt. Angesichts der steigenden Zahl politischer Gefangener kündigte Justizminister Somsak Thepsuthin bereits im März einen Ausbau der Kapazitäten der Haftanstalten an. Sowohl das Untersuchungsgefängnis als auch das Zentralgefängnis Klong Prem in Bangkok seien durch die Verhaftungen von Demokratieaktivisten überfüllt, gab er zu.
Mit rund 380 000 Häftlingen, davon rund 20 Prozent Untersuchungshäftlinge, hat das Königreich weltweit eine der größten Gefängnispopulationen. Die 144 Haftanstalten sind mit gut dem Doppelten ihrer Aufnahmekapazität hoffnungslos überfüllt. An die Einhaltung von Hygieneregeln und Abstandhalten zur Vermeidung einer Corona-Infektion ist in den aus allen Nähten platzenden Knästen nicht zu denken. Zudem reichen die sanitären Einrichtungen nicht annähernd. Fotos zeigen, wie Hunderte Strafgefangene in tropischer Hitze in stickigen Sammelzellen eingepfercht sind, dicht an dicht auf dem Boden schlafen. Ex-Häftlinge berichten, dass es überall nach Urin, Fäkalien, Abfall und Schweiß stinke.
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Der Brite Kai Isaacs verbrachte 2019 wegen eines Visavergehens drei Monate in thailändischen Gefängnissen, zuletzt im berüchtigten »International Detention Center« in Bangkok. Hier teilen sich durchschnittlich 1200 Häftlinge den Platz, der eigentlich für 500 Gefangene vorgesehen ist. Gegenüber britischen Medien sagte der heute 37-Jährige nach seiner Haftentlassung, er sei mit 150 anderen Insassen, darunter Gangster und Mörder, in einer schmutzigen Zelle gefangen gehalten worden. »Wir schliefen in Zehnerreihen auf dem Boden. Wasser gab es nur für ein paar Stunden am Tag. Einige der Männer pulten sich Würmer aus ihren Körpern. Es war ekelhaft«, erinnerte sich Isaacs und betonte: »Jeder Moment dort war schrecklich. Ich wünsche das niemandem.«
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