- Politik
- Russland
Kein Bauplan für das Haus Europa
Bundestag verwies Linke-Antrag für ein besseres Verhältnis zu Russland in die Ausschüsse
Am 22. Juni 1941 überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion. In den vier Jahren dieses Krieges starben 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger aller Nationalitäten der Sowjetunion. Vor all diesen Opfern und ihren Angehörigen solle sich der Deutsche Bundestag verneigen. Das regte die Linksfraktion auch angesichts staatlicher Inaktivität an, die Regierung und Parlament derzeit zum Thema Angriffskrieg gegen die Sowjetunion erkennen lassen. Die Fraktion listet zugleich zehn Punkte auf, die nach ihrer Ansicht geeignet sind, vor allem die arg angeschlagenen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zu verbessern.
Der Parlamentsantrag 19/29437 trägt die Überschrift: »80 Jahre deutscher Überfall auf die Sowjetunion – für eine Politik der Entspannung gegenüber Russland und eine neue Ära der Abrüstung«.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die Chancen, dass die Argumente, die die Linke-Abgeordnete Sevim Dağdelen am Mittwochabend zu Gehör brachte, bei der Mehrheit der Abgeordneten Gehör finden, standen schlecht. Und sie wurden während der gerade einmal halbstündigen Debatte nicht besser. Dass die Überweisung in vier Parlamentsausschüsse daran etwas ändert, glaubt niemand. Die Sicht auf die Probleme der aktuellen Politik ist zu unterschiedlich, um überhaupt zu einer gemeinsamen Position zu finden.
Die Union lehnte den Antrag grundsätzlich ab und machte den russischen Präsidenten Wladimir Putin für alles Übel in seinem Land und in vielen Regionen der Welt verantwortlich. Johann Saathoff von der SPD sah in den Antrag dagegen »viele wichtige und richtige Anknüpfungspunkte«. Er forderte jedoch, dass man erst einmal den 1990 mit der UdSSR geschlossenen Partnerschaftsvertrag umsetzen müsse, bevor man über einen neuen redet. Der Grünen-Abgeordnete Manuel Sarrazin mochte nicht über aktuell-politische Fragen streiten, signalisierte aber Bereitschaft, mehr zu Gedenken zu ermöglichen und die noch zahlreichen »weißen Löcher« in der bilateralen Geschichte zu füllen.
Mit Bismarck'schem Pragmatismus näherten sich Armin Hampel und Alexander Gauland von der AfD dem Antrag der Linksfraktion, die betont hatte: »Weder unter ökonomischen noch geostrategischen Aspekten liegt ein neuer Eiserner Vorhang im europäischen oder deutschen Interesse.« Er löse auch keinen der schwelenden Konflikte. Notwendig sei vielmehr eine »Abkehr von militärischer Konfrontation, Eskalation und Aufrüstung«. Die Linke fordert, »Verhandlungen über einen Deutsch-Russischen Vertrag aufzunehmen«. Ziel eines solchen Abkommens solle sein, Versöhnung und Freundschaft zwischen Deutschland und Russland zu erreichen und zu verstetigen.
EU und Nato, so heißt es weiter, sollten verstärkt auf den Abschluss und die Durchsetzung umfassender Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen hinwirken. Dazu müsse die Bundesrepublik vom Zwei-Prozent-Rüstungsziel ablassen, zu einer konsequenten Abrüstungs- und zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik bereit sein und den Weg für ein atomwaffenfreies Deutschland frei machen.
Im Antrag wird weiter für eine Belebung bestehender und die Vereinbarung neuer Dialogformate geworben. Die Linke fordert ein Ende von Sanktionen, die vor allem die Bevölkerung träfen, und öffnet den Blick für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok. Alle Ex-Sowjetrepubliken könnten, so sie es wollen, einbezogen werden. Auch für gemeinsame Anstrengungen für den Umwelt- und Klimaschutz wird plädiert. Verstärkt werden sollten der Schüler- und Jugendaustausch, Städtepartnerschaften verdienten mehr Beachtung.
Die Debatte lässt allerdings befürchten, dass abermals eine Chance vertan wird, um »ein sicheres Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt« zu machen. Für diesen Gedanken hatte Putin vor fast zwei Jahrzehnten geworden, als er zu den Abgeordneten des Bundestages sprach. Für sein Land, »das ein Jahrhundert der Kriegskatastrophen durchgemacht« habe, sei ein stabiler Frieden auf dem Kontinent »das Hauptziel«, betonte er damals und zeigte sich überzeugt: »Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf, und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses.«
Es ist gewiss nicht nur Deutschlands Verschulden oder das von EU und Nato, dass 20 Jahre später von diesem »europäischen Haus« allenfalls noch die Fundamente erkennbar sind. Am Mittwochabend hat der Bundestag aber auch nichts unternommen, um – 80 Jahre nach dem barbarischen deutschen Überfall auf die Sowjetunion – einen neuen Bauplan in Auftrag zu geben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.