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Mietenwahnsinn bewegt viele
Dutzende Initiativen und Hausgemeinschaften mobilisieren für Demo am Sonntag
Für Pfingstsonntag ruft das Bündnis gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung zur Großdemonstration auf. »Anlass ist, dass der Mietendeckel uns geklaut worden ist«, sagt ein Sprecher des Bündnisses, er nennt sich Tim Lenau. »Gegen den Mietwahnsinn - Jetzt erst recht!« Unter diesem Motto soll die Demo um 13 Uhr am Potsdamer Platz starten und über Potsdamer und Pallasstraße zum Nollendorfplatz führen. Angemeldet sind 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. »Es ist möglich, dass das Dreifache an Menschen kommt«, sagt Lenau bei der Pressekonferenz dieser Tage.
So eine hohe Beteiligung ist durchaus im Bereich des Möglichen, immerhin sind zu der Spontandemonstration nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem der Berliner Mietendeckel gekippt worden ist, rund 15 .000 Menschen gekommen. »Alle, die sagen, dass die Niederlage vorhersehbar war, machen damit Stimmung auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter«, erklärt Franziska Schulte vom Berliner Mieterverein, der den Aufruf zur Demo unterstützt.
»Es wird aufgefordert, dass alle zu Hausen bleiben sollen. Aber es hat nicht jeder ein Zuhause. Menschen können ihren Kinderwunsch nicht umsetzen, Frauen können häuslicher Gewalt nicht ausweichen«, sagt Lenau über die aktuelle Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht nur in Berlin.
Gut möglich, dass sich auch die Bewohner der Reichenberger Straße 108 in Kreuzberg in den Zug einreihen. Ihre Hoffnung auf die Ausübung des Vorkaufsrechts hat sich zerschlagen, die Senatsfinanzverwaltung gewährte den erforderlichen Zuschuss nicht. Am Mittwoch lief die Frist aus. Das Agieren erzürnt auch die Linke-Politikerin Gaby Gottwald. »Die Frage der Wirtschaftlichkeit des Ankaufs ist ein Kriterium bei der Abwägung. Die Senatsverwaltung für Finanzen erhebt dies jedoch zum zentralen, oft alleinigen Kriterium, fokussiert sich auf den Aspekt Wirtschaftlichkeit«, kritisiert sie gegenüber »nd«. »Wir müssen dafür sorgen, dass die Schlüsselfrage - Schutz vor Verdrängung - wieder in den Mittelpunkt rückt«, ist sie überzeugt. Gottwald fordert deswegen »ein Begleitgremium bei der fachlichen Entscheidungsfindung«. Es könne »nicht eine Person in der Finanzverwaltung das letzte Wort haben«.
»Die Koalition darf jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Das dogmatische Beharren des Finanzsenators auf einem Zuschuss von maximal zehn Prozent des Kaufpreises führt inzwischen dazu, dass gerade Häuser mit einkommensschwachen Mieterinnen und Mieter durchs Raster fallen«, sagt der Linke-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser zu »nd«. Damit werde der Zweck des Vorkaufsrechts immer stärker ausgehöhlt. »Die Entscheidung über Zuschüsse muss den einsamen Entscheidungen des Finanzsenators entzogen und klar auf den Erhalt bezahlbaren Wohnraums ausgerichtet werden«, so Meiser weiter. Nur so könne das Vorkaufsrecht auch wieder die notwendige Abschreckungswirkung entwickeln, um Investoren zum Abschluss einer verbindlichen Abwendungsvereinbarung zum Schutz der Mieterinnen und Mieter zu bewegen.
Auch Mieterin Petra aus der Lübbener Straße 19 in Kreuzberg könnte dabei sein. Der Richter gab am Dienstag dem Eigenbedarf für die Tochter aus der Eigentümerfamilie des Hauses, einer Spitzen-Leichtathletin, im Prinzip statt. Allerdings werden nun Gutachten in Auftrag gegeben, ob die an einem Autoimmunleiden erkrankte 62-jährige Mieterin die Wohnung räumen muss. Der prominenteste Miteigentümer ist der Berliner Augenchirurg Thomas Pahlitzsch, der seit Februar Schlossherr in Brandenburg ist. Er übernahm das Schloss Steinhöfel, wie das brandenburgische Kulturministerium per Pressemitteilung informierte. »Ein solches einzigartiges historisches Ensemble - ein Traumambiente mit spannender Entstehungsgeschichte und beachtlicher Parkanlage - habe ich lange gesucht«, ließ sich Pahlitzsch zitieren. Alles Fälle, über die »nd« allein diese Woche berichtete.
Bereits am Freitag beginnt das Sammelcamp der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen, zu dem 300 Unterstützerinnen und Unterstützer aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet werden. Drei Tage lang werden sie sich in Sammel- und Argumentationstrainings das Handwerkszeug der Initiative aneignen, selbst Unterschriften sammeln und sich untereinander vernetzen, natürlich »unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen« wie die Initiative mitteilt. Sie werden am Sonntag zur Demonstration stoßen.
»Das große Interesse an unserem Sammelcamp zeigt die Strahlkraft unserer Initiative. Auch in anderen Städten wird bereits die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne gefordert«, erklärt Camp-Organisatorin Leonie Heine.
»Unsere Initiative wächst und wächst. Gerade weil die Chancen für einen Volksentscheid gut stehen, rufen wir alle Berliner*innen zur Demonstration am Sonntag auf: Gemeinsam wollen wir den Druck noch erhöhen«, so Heine.
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