Verkaufsschlager Jogginghose

Der Hamburger Versandhändler Otto profitiert vom E-Commerce-Boom

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Passendes Outfit für das Homeoffice
Passendes Outfit für das Homeoffice

Der in der Coronakrise boomende Versandhandel wird meist mit Konzernriesen aus den USA und China verbunden, doch ein Urgestein sitzt in Hamburg: die Otto Group, die soeben Rekordeinnahmen meldete. Im zurückliegenden Geschäftsjahr bis Ende Februar legte der Umsatz im Onlinehandel um außergewöhnliche 25,6 Prozent auf fast zehn Milliarden Euro zu. »Allein unser Flaggschiff Otto hat mehr als 3,7 Millionen neue Kunden gewonnen«, freute sich Vorstandsvorsitzender Alexander Birken auf der Jahrespressekonferenz am Mittwoch. Dabei habe es einen starken Zuwachs in allen Altersgruppen gegeben. Mittlerweile kaufe auch fast ein Drittel der Menschen über 60 Jahre im Internet ein.

Insbesondere das Homeoffice wurde zum Umsatztreiber. Dazu trugen besonders Möbel, Büroartikel, Unterhaltungselektronik und Heimwerkersachen bei, auch Jogginghosen wurden zum Verkaufsschlager. Dennoch glaubt man beim Otto-Versand, dass die Neukunden gekommen sind, um zu bleiben. Den rasanten Coronaboom wertet Birken als Beschleunigung eines ohnehin vorhandenen Wandels im Kundenverhalten.

Tatsächlich legte der E-Commerce insgesamt schon vor Corona mit zweistelligen Wachstumsraten zu. Die 13 größten Handelsplattformen der Welt, darunter nicht allein Versandhändler, sondern auch Essenslieferanten und Immobilienanbieter, haben im vergangenen Jahr laut einer UN-Studie Waren im Wert von 2400 Milliarden Euro verkauft. Wenigstens in der Bundesrepublik wird der Onlinehandel auch dadurch beflügelt, dass der stationäre Handel auf die Bedrohung durch Amazon, Otto und Co. mit eigenen E-Commerce-Angeboten über seine Internetseiten reagiert und seine Bemühungen verstärkt, über diese Plattformen seine und auch andere Produkte an die Kundschaft zu bringen. Über die Otto-Plattformen vertreiben mehr als 1000 Anbieter ihre Waren auf eigene Rechnung; das Unternehmen kommt in Deutschland auf etwa ein Drittel des Umsatzes von Amazon.

Das Thema »Dritthändler« auf Plattformen hat das Bundeskartellamt auf den Plan gerufen. Die Behörde hat insbesondere Amazon im Visier: Zwei Verfahren laufen bereits gegen den US-Riesen. Seit dieser Woche geht das Kartellamt gegen Amazon auch auf Grundlage des im Januar in Kraft getretenen GWB-Digitalisierungsgesetzes vor. Der neue Paragraf 19a im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) betrifft das »missbräuchliche Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung« - wie eben Amazon, Facebook und Co. Außerdem hat die Behörde dazu eine eigene E-Commerce-Abteilung geschaffen.

Die Otto Group sei davon zurzeit nicht betroffen, teilte das Bundeskartellamt auf nd-Anfrage mit. Es seien »keine kartellrechtlichen Beschwerden oder Vorwürfe gegen den Otto Versand bekannt«, wie ein Sprecher mitteilte. Der Gesetzgeber wollte mit seiner Reform allein die großen Internetkonzerne erfassen.

Der Familienkonzern war 1949 von Werner Otto im Hamburger Stadtteil Schnelsen gegründet worden. Als eines der wenigen überlebte das Unternehmen das langsame Aussterben der schwerfälligen Kataloghändler wie Neckermann oder Schöpflin-Haagen. Heute ist man in drei Dutzend Ländern aktiv. Online vertreibt die Otto Group Fremd- und Eigenmarken wie Bonprix, betreibt stationäre Läden der Kaufhauskette Manufactum und setzt auf das eigene Inkassounternehmen EOS, um Forderungen einzutreiben.

Otto gibt sich in der Öffentlichkeit lauthals als »nachhaltig und sozial«, doch mit seiner Tochtergesellschaft Hermes handelte man sich immer wieder Ärger ein. Der Logistiker transportierte im Coronajahr 2020 erstmals eine Milliarde Pakete, ein Plus von 34 Prozent. Trotz heftiger Proteste der Belegschaft und der Gewerkschaft Verdi will die Konzernmutter ein Retourenzentrum mit mehr als 800 Beschäftigten im Sommer aus Hamburg nach Osteuropa verlagern. Die Bearbeitung zurückgesandter Waren gilt als besonders arbeitsintensiv und daher aus Konzernsicht als kostspielig. Konzernchef Birken begründet die Verlagerung mit dem harten Konkurrenzkampf in der Branche. Und niemand sonst betreibe in Deutschland noch ein Retourenzentrum.

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